© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/21 / 26. Februar 2021

Geistige Vorväter von „Black Lives Matter“
Vor fünfzig Jahren erschütterten Terroranschläge der linksextremistischen „Weathermen“ die USA
MIchael Dienstbier

Der Siegeszug einer totalitären Ideologie fällt nicht vom Himmel. Das Feld muß bereitet sein durch einen gewogenen akademisch-medialen Mainstream, personelle Verbindungen zumindest zu einer relevanten politischen Kraft und eine identitätsstiftende Erzählung, die das eigene Handeln durch den Bezug auf eine historische Traditionslinie legitimiert. 

Die Ursprünge des derzeit tobenden Kulturkampfes, der sich in Phänomenen wie „Cancel Culture“ oder „Kritische Weißseinsforschung“ manifestiert, liegen in einer der zahlreichen Abspaltungen der US-amerikanischen Studentenbewegung der sechziger Jahre. 1969 gegründet, sind die „Weathermen“ von einer linksextremistischen Terrororganisation zu einem modernen Mythos geworden, deren ehemalige Mitglieder erfolgreich den Marsch durch die Institutionen angetreten haben.

Die Politisierung der Studentenschaft mündete 1960 in der Gründung der „Students for a Democratic Society“ (SDS), die als Vertretung einer Neuen Linken den als hierarchisch-autoritär empfundenen USA den Kampf ansagten. Innerhalb weniger Jahre wurde sie zur einflußreichsten studentischen Organisation im ganzen Land, da ihnen die Opposition gegen den Vietnamkrieg und die an Fahrt aufnehmende Bürgerrechtsbewegung einen Mitgliederaufschwung bescherte. Doch schon bald verzettelte man sich in zeitraubende Ideologiedebatten, die zu einer Ausfransung der Bewegung führten. 

Die Radikalsten versammelten sich in den „Weathermen“, benannt nach einer Textzeile aus einem Bob-Dylan-Lied von 1965 („You don’t need a weatherman to know which way the wind blows“). Im Gründungsdokument formulierte man in aller Deutlichkeit die Zerstörung des US-Imperialismus und die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaft als Ziel. Daneben verschrieb man sich einer dezidiert antirassistischen Ausrichtung, die vor allem als Waffe gegen die ehemaligen Weggefährten im SDS in Stellung gebracht wurde. 

Als Rassist galt jeder, der lediglich die Situation der (zumeist weißen) Arbeiter im eigenen Land verbessern wollte, und nicht zuerst das Wohl des internationalen Proletariats im Blick hatte. Als Weißer habe man die Pflicht, die Privilegien, die einem aufgrund des eigenen Weißseins zukommen würden, in Denken und Handeln zu berücksichtigen. Hier finden wir die identitätspolitischen Prämissen der Gegenwart zum ersten Mal konkret ausformuliert.

Nur ein Jahr nach ihrer Gründung gingen die „Weathermen“ in den Untergrund – der erwartete Massenzulauf bei Demonstrationen zum Sturz des Systems hatte sich nicht eingestellt. Es folgten Bombenanschläge unter anderem auf das Kapitol vor genau fünfzig Jahren am 1. März 1971 und das Pentagon 1972, letzterer an Ho Chi Minhs Geburtstag am 19. Mai. Im selben Monat fanden in Deutschland die Anschläge der RAF auf US-amerikanische Militäreinrichtungen in Frankfurt und Heidelberg statt. Für Aufsehen sorgte auch die Gefängnisbefreiung des LSD-Gurus Timothy Leary, einer frühen Ikone der Hippie-Bewegung.

Personifiziert wurden die „Weathermen“ durch ihren Gründer Bill Ayers und Bernardine Dohrn, die auf der Flucht vor dem FBI 1973 heirateten. Dohrn gehörte ab 1970 zu den zehn meistgesuchten Personen des Landes. Der von ihnen verachtete Staat ging gnädig mit den beiden um. Gegen Ayers wurden wegen illegaler Ermittlungsmethoden alle Klagen bereits 1973 fallengelassen, Dohrn stellte sich 1980 und kam mit einer Bewährungsstrafe davon. Beide legten anschließend beachtliche akademische Karrieren hin, Ayers als Professor für Erziehungswissenschaften, Dohrn als Professorin für Jura. Bis heute bereuen sie keine ihrer Taten.

Von der Staatsfeindin zur Juraprofessorin

Von Staatsfeindin Nummer eins zur Rechtsgelehrten – der Lebenslauf von Bernardine Dohrn steht stellvertretend für den Siegeszug der ideologischen Exzesse der Gegenwart. Das Weltbild der „Weathermen“ gehört mittlerweile zum akademischen Mainstream, ihr totalitärer Antirassismus ist dabei, zur Staatsideologie zu werden. Offiziell distanziert sich das linksprogressive Milieu zwar von Gewalt, akzeptiert sie aber, wenn sie im Namen der „richtigen“ Sache ausgeübt wird. So ist der Triumph von „Black Lives Matter“ ein später Erfolg der terroristischen Aktivitäten der „Weathermen“. Die Gewalttäter von heute, die Polizisten ermorden und ganze Stadtviertel niederbrennen, werden als antirassistische Widerstandskämpfer gefeiert, und in vielen Stadien der Welt solidarisiert man sich niederkniend mit ihnen. Jede Figur des öffentlichen Lebens, die sich ähnlich verständnisvoll etwa über den Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Januar dieses Jahres äußern würde, wäre beruflich und gesellschaftlich erledigt. 

Dohrn ist seit Jahren Teil der amerikanischen Popkultur. In der Erfolgsserie „Die Simpsons“ weist die Figur der ausschließlich positiv dargestellten Mona Simpson, Homer Simpsons Mutter, deutliche Parallelen zu ihrem Leben auf. Der identitätspolitische Furor hat mittlerweile auch Deutschland erreicht, liegt aber immer noch ein Jahrzehnt hinter der Entwicklung in den USA zurück. Ein Blick über den Atlantik ist also ein Blick in unsere Zukunft.