© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/21 / 26. Februar 2021

Ein sang- und klangloses Ende
Vor dreißig Jahren wurde der von der Sowjetunion dominierte Warschauer Pakt aufgelöst
Jürgen W. Schmidt

Am 13. Februar 1991 ließ der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow seinen Pressesprecher Vitali Ignatenko verkünden, daß er den politischen Führungen der CSFR, Ungarns und Polens, den Restmitgliedern des Warschauer Paktes, auf der Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses der Pakt-Staaten in Budapest am 25. Februar 1991 die Abschaffung der militärischen Strukturen des Bündnissystems vorschlagen werde. Daran anschließend wurden die militärischen Strukturen des Bündnisses tatsächlich ab dem 31. März 1991 aufgelöst. 

Einziger Bündnisfall trat 1968 in der CSSR ein

Der militärischen Führung der Sowjetarmee kam es besonders darauf an, streng geheime militärische Planungsdokumente, Nachrichtenverbindungssysteme und Chiffrieranlagen sicherzustellen, bevor unberufene Hände in Form der Nato darauf Zugriff erhielten. Gleichzeitig begann der Abzug der sowjetischen Truppen aus Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei in Analogie zum Abzug der sowjetischen Truppen aus der ehemaligen DDR.

Václav Havel, damaliger Präsident der Tschechoslowakei empfing vergnügt am 1. Juli 1991 in Prag die amtlichen Vertreter der Sowjetunion, Bulgariens, Polens, Rumäniens und Ungarns, um gemeinsam mit ihnen pünktlich um 12 Uhr mittags das Auflösungsprotokoll des Warschauer Paktes zu unterzeichnen. Havel hatte auch allen Grund zur Zufriedenheit, denn der Warschauer Pakt schlug während seiner gesamten Existenz nur einmal zu, nämlich 1968 bei der Besetzung der Tschechoslowakei, um den Abbruch der dortigen reformkommunistischen Bestrebungen zu erreichen. Anschließend an die Unterzeichnung des Auflösungsdokumentes trat Václav Havel vor die Weltpresse und verkündete: „Unsere heutige Entscheidung ist wirklich historisch. Wir nehmen endgültig Abschied von der Ära, als Europa geteilt war durch ideologische Unverträglichkeit. Vor uns sehen wir die Vision eines geeinten, demokratischen, gerechten und friedlichen Europa.“

Gorbatschow war die ganze Angelegenheit derart peinlich, daß er sich in Prag von seinem Vizepräsidenten Gennadi Janajew vertreten ließ. 1990 noch hatte nämlich der letzte Oberkommandierende des Warschauer Paktes, der sowjetische Vier-Sterne-General Pjotr Ljuschew, vergeblich politische Einigkeit beschwörend, getönt: „Solange das nordatlantische Bündnis existiert, muß auch der Warschauer Vertrag bestehen. Das ist für uns wichtig. Und deswegen steht vor den Mitgliedern des Warschauer Vertrages die Aufgabe, solange der Warschauer Vertrag besteht, auch ihre Bündnisverpflichtungen zu erfüllen.“

Dieses schmähliche Ende war dem Warschauer Pakt nicht an der Wiege gesungen worden. Immerhin wurde der 1955 begründete Vertrag noch am 26. April 1985 von allen Teilnehmerstaaten widerspruchslos um 25 Jahre verlängert, wobei sich der Pakt nach Ablauf dieser Frist automatisch jeweils um  zehn Jahre weiterverlängern sollte.

Doch bröckelte das Bündnis Ende 1990 zunehmend auseinander. Der damalige Minister für Verteidigung und Abrüstung Rainer Eppelmann unterzeichnete mit dem Warschauer-Pakt-Oberbefehlshaber Ljuschew am 24. September 1990 ein Protokoll, welches die Nationale Volksarmee der DDR aus dem militärischen Bereich des Warschauer Paktes ausgliederte. Anschließend löste man nach der deutschen Wiedervereinigung die NVA gänzlich auf. Zudem ließ die gewaltsame politische Umwälzung in Rumänien und Bulgarien im Dezember 1990 deutlich erkennen, daß beide Länder gleichfalls aus dem militärischen Bündnissystem herausbrechen würden.

Die Auflösung paßte sich nur an die aktuelle Lage an

Es handelte sich bei der Auflösung des Warschauer Paktes auf Initiative von Gorbatschow folglich nur darum, sich seitens der Weltmacht Sowjetunion an die neue Lage, an den Verlust seiner osteuropäischen Satelliten, anzupassen. Während die einstigen osteuropäischen Mitgliedsländer des Warschauer Paktes schnell ihren Weg in das nordatlantische Bündnissystem Nato fanden, wurde nach dem Zerfall der Weltmacht Sowjetunion aus dem einstigen globalen Konkurrenten der USA eine regionale Großmacht, welche indessen durch ihr atomares Potential und ihre konventionelle militärische Stärke sich ein gewisses weltpolitisches Mitspracherecht – wie zuletzt in Syrien – bewahren konnte. 

Allerdings fehlen dem Putinschen Rußland bis heute militärische Satrapen, und Rußland steht demzufolge bei etwaigen militärischen Konfrontationen immer allein da. Wahrscheinlich erklärt dieser Umstand die hohen finanziellen und rüstungswirtschaftlichen Anstrengungen, mit welchen Rußland aktuell sein atomares Potential und seine konventionelle Bewaffnung und Ausrüstung auf technologischem Höchststand erhält. Der Nato hingegen ist der Wegfall ihres militärischen  Hauptkonkurrenten Warschauer Pakt gleichfalls nicht gut bekommen. 2019 bezeichnete der französische Präsident Emmanuel Macron mit spitzer Zunge die Nato als „hirntot“.