© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/21 / 05. März 2021

Ans Kapital verkauft
Identitätspolitik vs. Arbeitermilieu: Durch die politische Linke verläuft ein Riß
Fabian Schmidt-Ahmad

Es ist Geschäftsmodell der identitären Linken, jede ihrer Forderungen durch organisierte Empörung durchzusetzen. Ein höchst effektiver Kunstgriff, da sich ein Kritiker so quasi selbst zur Zielscheibe machen muß – oder es eben bleiben läßt. Dadurch aber steigert sie sich in eine rhetorische Eskalation hinein, ein totalitärer Furor, der inzwischen auch traditionellen Linken unheimlich wird. Wie tief dieser Riß im linken Lager geht, zeigt eine Abrechnung des ehemaligen Parlamentspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD).

„Die Tilgung von Namen, Denkmalstürze, Denunziation von Geistesgrößen gehören historisch meist zu revolutionären, blutigen Umstürzen. Heute handelt es sich eher um symbolische Befreiungsakte von lastender, lästiger, böser Geschichte“, kritisiert dieser in der FAZ. „Die Reinigung und Liquidation von Geschichte war bisher Sache von Diktatoren, autoritären Regimen, religiös-weltanschaulichen Fanatikern. Das darf nicht Sache von Demokratien werden.“

Das Unbehagen der traditionellen Linken, das sich hier ausdrückt, liegt in der Bedrohung des sozialen Zusammenhalts „durch radikale Meinungsbiotope, tiefe Wahrnehmungsspaltungen und eben auch konkurrierende Identitätsgruppenansprüche“. Schlußendlich verbirgt sich hinter „Identitätspolitik“ ein kaum kaschierter Kulturhaß, der Thierse merklich abstößt. Diese Kulturrevolution tobt auch in der Linkspartei. Und auch hier befinden sich traditionelle Linke auf dem Rückzug.

Der finanzpolitische Sprecher und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Deutschen Bundestag, Fabio De Masi, wird nicht mehr für ein Mandat kandidieren und sich aus der aktiven Politik zurückziehen. Was er in seinem Abschiedsbrief durchblicken läßt, sagt viel aus über eine Partei, die für sich reklamiert, die „realen Verhältnisse“ der Gesellschaft zu kennen und den „kulturellen Überbau“ stets bei anderen vermutet.

„Es gibt in verschiedenen politischen Spektren und vor allem in den sozialen Medien die Tendenz, Politik nur noch über Moral und Haltungen zu debattieren. Ich halte dies für einen Rückschritt“, kritisierte De Masi. Wer eine „richtige Haltung“ zum Maßstab nehme, „versucht in Wahrheit den Streit mit rationalen Argumenten zu verhindern“, heißt es weiter. „Eine solche Debattenkultur hat nichts mit Aufklärung zu tun, sondern ist Ausdruck eines elitären Wahrheitsanspruchs, wie ihn die Kirche im Mittelalter bediente.“

Es ist nicht die Enttäuschung eines kaltgestellten Politikers – als wenn die Linkspartei so viele Finanzexperten vorzuweisen hätte –, sondern Ausdruck dieses länger schwelenden Konflikts unter Linken. Die traditionelle Linke versteht sich als in der Arbeiterschaft verwurzelt, diesem Milieu zugehörig. „Parteien in der Tradition der Arbeiterbewegung waren immer lebensnah. Sie kannten die Lebenswirklichkeit der Menschen, die von ihrer Hände Arbeit lebten“, schreibt De Masi entsprechend.

Mit diesem Milieu kann die neue identitäre Linke jedoch nichts anfangen. Hier toben sich schrille Interessengruppen aus, denen bei aller vermeintlicher Buntheit eins gemeinsam ist – sie alle haben es nicht so mit der Arbeit. Oder mit De Masis vorsichtigen Worten: „Identität ist wichtig im Leben. Sie darf aber nicht dazu führen, daß nur noch Unterschiede statt Gemeinsamkeiten zwischen Menschen betont werden und sich nur noch ‘woke’ Akademiker in Innenstädten angesprochen fühlen.“

Und noch eine Gemeinsamkeit besitzen diese Interessengruppen. Es ist ihr Feindbild, der „weiße Mann“, dessen Haut als Leinwand für alle Übel dieser Welt herhalten muß. Und der ihnen zur Sühne und Buße ein angenehmes Leben finanzieren soll. „Die Rede vom strukturellen, ubiquitären Rassismus in unserer Gesellschaft verleiht diesem etwas Unentrinnbares, nach dem Motto: Wer weiß ist, ist schon schuldig“, empört sich Thierse über diese identitären Anmaßungen.

Doch letztlich ist dieser „weiße Mann“, auf den der ganze Haß projiziert wird, nichts anderes als der Arbeiter, der von dem – jetzt „woken“ – Kapitalisten ausgebeutet wird. Mit dem Unterschied, daß er dem identitären Linken einen Teil der Beute überläßt. Das ist ein Schritt, den die traditionelle Linke nicht zu gehen bereit ist. Wenn vor diesem Hintergrund De Masi „die Regulierung der Finanzmacht der großen Digitalkonzerne“ sein wichtigstes Anliegen nennt, so beschreibt er damit zugleich den Grund seines politischen Endes.

Ebenso Thierse, der eine entfesselte Identitätspolitik „erst recht in der digitalen Öffentlichkeit“ fürchtet und vor einem „Mythos der Erbschuld des weißen Mannes“ warnt. Beide verkennen, Big Tech hat bereits Lösegeld gezahlt, die identitäre Linke ist zufrieden mit dem Deal. Ihre Internationale ist der Jetset, ihre Solidarität gilt den Entrechteten dieser Welt, insofern Funktionärsposten zu verteilen sind. Ihr Klassenbewußtsein ist das gute Gewissen und Feind jeder, der dieses angreift.

„Die Kunst der Politik besteht darin, auch an die Lebensrealität und die Sprache jener Menschen anzuknüpfen, die um die Kontrolle über ihr Leben fürchten. Die politische Linke darf das menschliche Grundbedürfnis nach Sicherheit – in einem umfassenden Sinne – nicht vernachlässigen“, mahnt dagegen De Masi.

Und Thierse ergänzt: „In Zeiten dramatischer Veränderungen ist das Bedürfnis nach sozialer und kultureller Beheimatung groß. Eine Antwort auf dieses Bedürfnis ist die Nation. Das nicht wahrhaben zu wollen, halte ich für elitäre, arrogante Dummheit.“ Thierse und De Masi sollten vorsichtig sein. Linke wurden von anderen Linken schon für weniger Kritik aufs Schafott geführt.