© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/21 / 05. März 2021

In einer festen Beziehung
Fragwürdiges Geschäftsmodell: Hinter dem Etikett der Demokratie-Erziehung diffamiert die Amadeu-Antonio-Stiftung politische Gegner der Bundesregierung. Die fördert deren Arbeit dafür großzügig
Hermann Rössler

S-Bahnhof Yorckstraße in Berlin. „Die einen küssen sich, wann und wo sie wollen. Die anderen nur, wenn sie sich trauen“, steht auf einem Plakat, das ein ineinander verschlungenes, nicht weiter identifizierbares Pärchen zeigt. „Unterstütze Betroffene von Homo- und Transfeindlicher Gewalt jetzt mit deiner Spende,“ fordert ein Schriftzug den Betrachter auf. Das Plakat ist Teil der aktuellen Kampagne „Berlin zeigt CURAge“ von der Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS), die für den „Opferfonds gegen rechte Gewalt“ namens „Cura“ Geld einsammelt; auch das Land Berlin setzt seinen Stempel unter das Poster.

Die Bundesregierung und einige Landesregierungen machen aus ihrem guten Verhältnis zur AAS kein Geheimnis. Dabei handelt es sich auch nicht um einen Seitensprung, vielmehr um eine feste Beziehung. Das Bundesprogramm „Demokratie leben“, das inzwischen über jährlich 115 Millionen Euro verfügt, sichert der AAS seit seinem Entstehen durch die damalige SPD-Familienministerin Manuela Schwesig 2014 verläßlich Kapital zu. Als das Programm im vergangenen Jahr einige Projekte aussparte, darunter zwei der AAS, sprang der Berliner Senat ein und stellte 900.000 Euro zur Rettung der „Demokratieprojekte“ bereit. Laut dem aktuellen Tätigkeitsbericht 2019 kamen durch „Cura“ 48 Betroffenen über 25.000 Euro zu.

1998 von Anetta Kahane gegründet, benannt nach dem 1990 in Brandenburg von Rechtsextremisten getöteten Angolaner Amadeu Antonio Kiowa, setzt die in Heidelberg ansässige Stiftung es sich zum Ziel, „eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet“, wie es auf der Netzseite heißt. Es gelte, alle „Ideologien der Ungleichheiten“ zu bekämpfen. Vom seit der Jahrtausendwende ständig steigenden Budget im „Kampf gegen Rechts“ profitiert auch stets die AAS, die sich über das jüngst beschlossene eine Milliarde schwere Maßnahmenpaket nur freuen kann.

Jährlich über eine Million an Bundeszuschüssen

Den größten Teil des Jahresbudgets der Stiftung machen jährliche Zahlungen vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSJ), der Gesellschaft für gemeinnütziges Privatkapital Dreilinden und der Freudenbergstiftung aus.

Die Dreilinden-Gesellschaft unter Leitung von Ise Bosch setzt sich für „gesellschaftliche Akzeptanz und sexuelle Vielfalt durch Mittelvergabe“ ein. Bei der Geldzuweisung gehe sie „sehr selektiv“ vor, warnt Dreilinden auf ihrer Homepage. Die AAS hat den Auswahlprozeß zu den Mittelempfängern offenbar bestanden: Für jeweils zwei verschiedene Projekte überwies Dreilinden zwischen 2017 und 2019 157.000 Euro an die AAS. Bosch ist die Enkelin des Industriellen Robert Bosch. Nach Ise Bosch sei eine Kultur danach zu bemessen, „wie sie mit Diversität umgeht“.

Die Freudenbergstiftung wiederum will „avancierte Modelle sozialer Inklusion und demokratischer Kultur“ fördern. Geschäftsführerin ist seit 2008 Pia Gerber, die zeitweise ebenfalls die stellvertretende Vorsitzende der AAS war und im Integrationsbeirat der Bundesregierung saß. 2019 förderte die Freudenbergstiftung für mehr als 5.607.000 Euro Projekte. Wieviel von dieser Summe an die AAS geht, wollte sie auf Anfrage der JF nicht sagen.

Den Löwenanteil bestreitet indes die Bundesregierung. Vor allem das Justizministerium, das Familienministerium und das Ministerium für Bildung und Forschung speisen die AAS mit finanziellen Mitteln. Eine Anfrage des AfD-Bundestagsabgeordneten Harald Weyel förderte im Februar zutage, daß die AAS von den verschiedenen Ministerien in den vergangenen zwei Jahren rund 2,3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt bekam. Zwischen 2010 und 2020 belief sich die Summe der aufgebrachten Steuermittel demnach auf beinahe sieben Millionen Euro. Die Bundeszuschüsse stiegen in diesem Zeitraum kontinuierlich. Waren es 2017 noch etwa 967.000 Euro, die die AAS von den Ministerien erhielt, knackten die Geldbeträge 2018 die Millionenmarke: 1.036.000 Euro landeten in dem Jahr in den Töpfen der AAS. In den vergangenen zwei Jahren hielt der Aufwärtstrend weiter an. 2019 bekam die Stiftung Fördermittel in Höhe von 1.105.000 Euro. 2020 waren es 1.209.000.

„Rechts ist Teil des normalen politischen Spektrums“

Doch auch aus den Ländern gibt es Geld. Für 2019 plante der Berliner Senat 121.000 Euro für verschiedene Projekte der AAS ein. Mit über 558.000 Euro förderte das Land 2018 die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus, einen Partner der AAS. Die AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus fragte die Landesregierung, ob der Senat mit der Unterstützung der Stiftung das Neutralitätsgebot und die Chancengleichheit der Parteien verletze, schließlich rücke diese die AfD in die Nähe des Rechtsextremismus. Der Senat verneinte, denn private Initiativen stünden nicht im direkten Wettbewerb der Parteien. Ferner entsprächen die Ausführungen der Einrichtungen den „anerkannten Standards der politischen Bildungsarbeit“.

In Brandenburg gab die Landesregierung auf Nachfrage des AfD-Landtagsabgeordneten Andreas Kalbitz 2019 an, die AAS nicht finanziert zu haben, stellte jedoch klar: „Die Landesregierung unterstützt die von der Stiftung verfolgten Ziele.“ In Thüringen kamen dem Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ), dessen Träger die AAS ist, im Zeitraum von 2016 bis 2019 etwa 1.018.000 Euro Landesmittel zu. Eine Ausstellung im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart 2019, die in Zusammenarbeit mit der AAS entstanden war, wurde vom Land mit 281.500 Euro finanziert.

Die Beziehung der AAS zu Institutionen des Bundes fußt auf dem Grundsatz Geben und Nehmen. So dient sie staatlichen Einrichtungen auch als Ratgeber. Im Juni vergangenen Jahres gab der Militärische Abschirmdienst (MAD) Broschüren der Stiftung als Quelle für seine Kriterien an, anhand derer er Bundeswehrsoldaten auf ihre Verfassungstreue prüft. Das, obgleich ein sogenannter Rechtsextremismusexperte, der bei der AAS auf Honorarbasis arbeitete und für das hauseigene Rechercheportal „BelltowerNews“ schrieb, im Verdacht stand, das Auto eines Berliner AfD-Politikers angezündet zu haben.

Doch auch ohne mutmaßliche Brandsatzleger sorgt die AAS für genügend politischen Zündstoff. Ein Blick in die Publikationen der als gemeinnützig anerkannten Organisation offenbart ein linksideologisches Weltbild, in dem Rechtsextremismus auf der politischen Skala ziemlich mittig angesiedelt ist. Bekannt wurde 2018 vor allem die vom Bundesfamilienministerium für 4.600 Euro mitfinanzierte Broschüre „Ene, mene, muh – und raus bist du“, die Erziehern Tips und Tricks verrät, um eine mögliche „rechte“ Gesinnung der Eltern zu erkennen. Indizien dafür seien etwa Mädchen mit Zöpfen und Kleidern oder Jungs, die „stark körperlich gefordert und gedrillt“ würden. Die stellvertretende Vorsitzende der CDU im Bundestag, Nadine Schön, forderte nach Erscheinen der Handreichung, diese einzustampfen. „Eine Broschüre, die Vorurteile bekämpfen will, vermittelt selbst welche“, urteilte Schön. Eine Unterlassungsklage der AAS, weil das Neuköllner Bezirksamt Kindertagesstätten von der Lektüre abriet, scheiterte vor dem Berliner Verwaltungsgericht.

Innerhalb von fünf Jahren aktualisierte die AAS viermal ihre „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD“. Dabei behauptete sie bereits 2016: „Mit einer Partei, die die Gleichheit aller Menschen bestreitet, kann man nicht in den Dialog treten.“ 2021 sieht sie sich in ihrer Annahme bestätigt. Unter dem Titel „Demokratie verteidigen“ bekräftigt die AAS, daß „Menschenfeindlichkeit keine Alternative für Deutschland sein kann“. Bebildert ist das 97seitige Heft mit dem in linken Kreisen zum Sinnbild eines politischen Sündenfalls gewordenen Handschlag des Thüringer Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) und des Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke im Februar 2020. Man dürfe sich nicht täuschen lassen: Unterschiede zwischen der „völkisch-nationalistischen Strömung“ um Höcke und dem „vermeintlich gemäßigten“ Teil der AfD um Parteichef Jörg Meuthen seien rein formaler Art. In der Auseinandersetzung mit der AfD gehe es nicht „nur um einen Meinungsstreit, sondern um die Verteidigung der offenen Gesellschaft und des demokratischen Miteinanders“. Vertreter von CDU, SPD, FDP, Grünen und Linkspartei erläutern in der Broschüre, wie sie die parlamentarische Arbeit der AfD „ins Leere laufen lassen“ oder boykottieren.

Die JF fragte die AAS, warum sie in den „Handlungsempfehlungen“ die Gewalt gegen AfD-Politiker und -Mitglieder, die Angriffe auf Wahlkampfstände oder Privatautos, nicht erwähne; warum sie angesichts dessen von einer „Opferinszenierung“ seitens der AfD spreche. Diese und weitere Fragen ließ die AAS unbeantwortet.

Anläßlich der Veröffentlichung der Broschüre forderte die stellvertretende Bundessprecherin der AfD, Beatrix von Storch, „diesen antidemokratischen Aktivisten der Stasi-Amadeu-Stiftung“ die öffentlichen Mittel zu streichen. Die AAS mache sich die „in der DDR erprobten Mittel der Diffamierung und Ausgrenzung“ zunutze.

Der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, sagte der JUNGEN FREIHEIT in bezug auf die Broschüre, er könne sich vorstellen, „daß es sich für Rechtsanwälte lohnen könnte, sich näher mit ihr zu befassen“. „Die Bekämpfung von Rechts“ sei nicht in Ordnung, „da Rechts Teil des normalen politischen Spektrums ist“, meint Maaßen. „Dies mit staatlichen Mitteln zu bekämpfen, wäre rechtswidrig.“ Er hege Zweifel, ob es rechtmäßig sei, „eine höchstumstrittene private Einrichtung, die AAS, mit dem Kampf gegen Rechts zu beauftragen“. Dies gelte gerade dann, wenn eine solche Einrichtung von einer Person geleitet werde, die Mitarbeiterin der Stasi war. „Das klingt nach kommunistischer Feindbekämpfung.“ Maaßen sprach sich gegenüber der JF weiter dagegen aus, „daß man die Radikalen von der einen Seite finanziert, um politische Gegner der anderen Seite zu bekämpfen“.

2019 unterstützte die Amadeu-Antonio-Stiftung 114 Projekte mit 241.929 Euro. Des weiteren bekam der Verein Campact, dem im selben Jahr der Status der Gemeinnützigkeit aberkannt wurde, 88.620 Euro. In der Regel dienen die Projekte der AAS dazu, sowohl analoge wie digitale gesellschaftliche Räume nach Aussagen und Verhaltensweisen zu durchforschen, die aus Sicht der Mitarbeiter als antisemitisch, antifeministisch, sexistisch, rechts, rechtsradikal oder rechtsextremistisch einzuordnen sind. Aus den Analysen erstellt die AAS Handlungsanweisungen, die sie publiziert oder in Arbeitsgruppen und auf Veranstaltungen vermittelt. Das Mantra ist stets die „starke Zivilgesellschaft“.

1.700 Projekte und Initiativen entwarf und begünstigte die AAS nach eigenen Angaben. Die sollen gemäß dem Stiftungszweck zur Förderung der „internationalen Gesinnung, der Toleranz und des Völkerverständigungsgedankens“ dienen sowie der „Dokumentation und Vermittlung von demokratischer Kultur und von Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Jugendgewalt“. Die AAS ist Mitglied im Bundesverband Deutscher Stiftungen und von der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) als anerkannter Bildungsträger geadelt. Deren Projekte förderte die BpB 2019 und 2020 mit insgesamt 87.000 Euro. 2016 zeichnete der Bund Deutscher Kriminalbeamter die AAS mit dem Preis „Bul le mérite“ aus. Ihrerseits vergibt die Stiftung jährlich den Sächsischen Förderpreis für Demokratie; bis 2010 zusammen mit dem Land Sachsen. Nachdem sich in dem Jahr eine nominierte Organisation weigerte, eine Extremismusklausel zu unterschreiben, wurde diese abgeschafft. Das Land Sachsen verleiht seither seinen eigenen Preis.

Laut der Bilanz- und Ergebnisrechnung für 2018 (für die nachfolgenden Jahre liegt noch keine Rechnung vor) verfügt die Amadeu-Antonio-Stiftung über mehr als zweieinhalb Millionen Euro Eigenkapital. In dem Jahr bekam die AAS Zuschüsse in Höhe von rund 2,8 Millionen Euro und Spenden von rund 1,5 Millionen Euro.

Von 1974 bis 1982 arbeitete die in Ost-Berlin aufgewachsene Anetta Kahane unter dem Decknamen „Victoria“ als IM der Staatssicherheit zu. Soviel ist erwiesen. Der Historiker und geschaßte Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen Hubertus Knabe beurteilte ihre dortige Tätigkeit einmal als „mittelschwer“. Mehr als zwanzig Jahre nach ihrer Gründung durch Kahane hat sich die Amadeu-Antonio-Stiftung im Zuge des verschärften „Kampfes gegen Rechts“ zum „Bundeszentralen Träger“ gemausert – ein Großauftragnehmer der öffentlichen Hand mit inzwischen halbstaatlicher Autorität.

Foto: Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung: Eine „höchst umstrittene private Einrichtung“, so der frühere oberste Verfassungsschützer Hans-Georg Maaßen