© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/21 / 05. März 2021

Koalitionsstreit um die Besetzung der fĂĽnf Wirtschaftsweisen
Rettet den Sachverstand
Ulrich van Suntum

Sie sind krank und wissen nicht, was Ihnen fehlt. Wem würden Sie vertrauen: erfahrenen Fachärzten, die Ihnen reinen Wein einschenken, oder einer Gruppe von Alternativmedizinern, die Ihnen das Blaue vom Himmel versprechen? Genau darum geht es bei der Zukunft des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Aktuell sperrt sich die SPD gegen die Wiederberufung des Vorsitzenden Lars Feld. An die Stelle des Freiburger Marktwirtschaftlers soll ein „Linker“ treten, im Gespräch waren DIW-Chef Marcel Fratzscher sowie der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum, SPD-Mitglied und wie Ratsmitglied Achim Truger seit 2020 in deren Wirtschaftspolitischem Beirat. Alle drei haben mit ordnungspolitischen Grundsätzen nicht viel am Hut: Schuldenbremse abschaffen, Ausgaben erhöhen, Besserverdiener schröpfen. Das ist im sozialdemokratischen Sinne, hat aber mit der bewährten Grundausrichtung der „Wirtschaftsweisen“ nicht mehr viel zu tun.

Der Rat wurde 1963 von Ludwig Erhard als ordnungspolitisches Gewissen der Regierung konzipiert – gegen den Willen Konrad Adenauers, der sich keine „Laus in den Pelz setzen lassen“ wollte. Erhard wußte, wie verführerisch die Abkehr von marktwirtschaftlichen Grundsätzen für die Politiker ist. Mit höheren Ausgaben, sozialen Wohltaten und Eingriffen in „ungerechte“ Marktpreise lassen sich leichter Wählerstimmen gewinnen. Langfristig geht das aber auf Kosten der wirtschaftlichen Dynamik und des Wohlstands. Mit den Staatsinterventionen ist es wie mit dem Rauchen: Kurzfristig genießt man sie, aber langfristig ruinieren sie die Gesundheit. Darum sollte der fünfköpfige Rat als mahnender Hort marktwirtschaftlichen Denkens unbedingt erhalten bleiben. Am besten wäre es, wenn er neue Mitglieder selbst rekrutieren könnte. Informell war es schon bisher häufig so, wenngleich in Absprache mit dem Wirtschaftsministerium.

Offiziell werden die Ratsmitglieder vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung berufen. Das klappte gut, der Rat erarbeitete sich höchstes Ansehen, auch über die Grenzen Deutschlands hinaus. Jetzt aber droht anstelle der bewährten Praxis eine ungeschminkte Politisierung des Besetzungsverfahrens. Was kommt als nächstes, vielleicht die umstrittene Umweltökonomin Claudia Kemfert als Zugeständnis in einer schwarz-grünen Koalition? Ausgerechnet Bert Rürup, selbst ehemaliger Ratschef, will diesen sogar ganz abschaffen oder der Regierung unterstellen. Die aber hat bereits mehr als genug von ihr abhängige Claqueure. Gerade die gesetzlich garantierte Unabhängigkeit macht den Sachverständigenrat so wertvoll – er sollte nicht von Ideologen übernommen werden.






Prof. Dr. Ulrich van Suntum lehrte bis 2020 VWL an der Universität Münster.