© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/21 / 05. März 2021

Gefährliches Neuland in Frankfurt
Geschäftsmodell Börsenmantel: In Deutschland sind Spacs bislang exotisch, in den USA werden längst Milliarden Dollar eingesammelt
Thomas Kirchner

Deutsche Investoren wie Dietmar Hopp (SAP), Hasso Plattner (Actris, Curevac), Klaus-Michael Kühne (Hapag-Lloyd) oder den vorige Woche 79jährig verstorbenen Heinz Hermann Thiele (Knorr-Bremse, Lufthansa) kennen nicht nur Börsen-Insider. Den in der Schweiz lebenden Risikokapitalgeber Klaus Hommels, der mit seinen frühzeitigen Beteiligungen an Facebook, Klarna, Skype oder Spotify und seinem Tech-Fonds Lakestar erfolgreich ist, kennen die wenigsten.

Mit dem Börsenmantel Lakestar Spac I SE, der seit 22. Februar an der Frankfurter Börse notiert ist, feierte der 54jährige frühere AOL-Geschäftsführer das nächste erfolgreiche Debüt. Denn Special Purpose Acquisition Companies (Spacs) sind in Deutschland „Neuland“. In den USA ist das anders: 1,7 Milliarden Dollar sammelte Michael Klein mit zwei Neuemissionen am 12. Februar an der Börse ein. Damit hat der frühere Citi-Banker zum siebten Mal innerhalb von drei Jahren eine solche Mantelgesellschaft an die Börse gebracht. 2020 haben sich Spacs zu einem solchen Volumen gemausert, daß Beobachter schon von einer neuen Börsenblase sprechen.

Nicht der schnellste Weg zum Reichtum

Dabei sind die Anfänge eher halbseiden: Seit den 1980er Jahren brachten Makler Firmen ohne Geschäftsmodell an die Börse – allerdings mit dem Versprechen, für das eingesammelte Geld ein Unternehmen zu kaufen. Auch wenn nie ein Kauf zustande kam, zahlte sich die Geschäftsleitung üppige Gehälter, bis das Kapital aufgezehrt war. Nebenbei wurde häufig der Börsenkurs durch Meldungen über angeblich bevorstehende Übernahmen manipuliert. Hollywood verfilmte die Masche vor 21 Jahren unter dem Titel „Risiko – Der schnellste Weg zum Reichtum“ (New Line Cinema).

Durch Verschärfung bestehender Börsenregeln unterband die US-Wertpapieraufsicht SEC kurz zuvor die schlimmsten Auswüchse. Nebeneffekt war, daß auch serösen Anbietern das Geschäft erschwert wurde. David Nussbaum, der in den neunziger Jahren selbst Probleme mit der Aufsicht wegen dubioser Börsenmäntel hatte, überarbeitete das Konzept anlegerfreundlich. Mit der damals noch kleinen Investmentbank Early Bird Capital brachte er 2003 eine Neuauflage der Börsenmäntel unter dem Namen Spac in Gang.

Seitdem wird das eingesammelte Kapital von Treuhändern verwahrt. Kommt es innerhalb von 24 Monaten zu keinem Firmenkauf, wird das Kapital zuzüglich Zins an die Anleger zurückgezahlt. Bei einem Firmenkauf dürfen die Anleger abstimmen – wer dagegen stimmt, bekommt sein Geld zurück. Für die Anleger ist damit das Risiko eines Mißbrauchs ihrer Anlage ausgeschaltet. Die Geschäftsleitung arbeitet sogar ohne Gehalt. Damit es sich für sie trotzdem lohnt, bekommt sie Optionen, die nur ausgeübt werden können, wenn der Aktienkurs nach einer Übernahme steigt, meist um mindestens 15 Prozent. Diese Struktur ist ein Erfolg. Mißbräuche sind bislang keine bekanntgeworden. Inzwischen sind Spacs zum größten Segment bei Börseneinführungen geworden: Gab es 2009 nach der Krise nur eine Spac, die 36 Millionen Dollar an der Börse einsammelte, waren es 2020 schon 248 Spacs mit 83 Milliarden. In diesem Jahr sind es bisher 144 Spacs mit 44 Milliarden. Der Anlegerschutz funktioniert: 2012 und 2014 gab je ein Drittel der Spacs das Kapital mangels Firmenkauf an die Anleger zurück, bisher der höchste Prozentsatz.

Südkorea führte bereits 2009 spezielle Spac-Börsenregeln ein. 2020 wurden 30 Spacs an asiatischen Börsen mit einem Volumen von 2,4 Milliarden Dollar eingeführt. In Europa läuft es langsamer, auch der rechtlichen Rahmenbedingungen wegen. In Deutschland etwa ist die Auszahlung der Anleger, die gegen einen Firmenkauf stimmen, problematisch. Dementsprechend gab es 2020 nur drei Spac-Notierungen in ganz Europa. Börsenmäntel gibt es zwar auch in Deutschland, doch handelt es sich dabei um einstmals erfolgreiche Unternehmen, die ihr Kerngeschäft verkauft haben und sich neu orientieren.

Die erste „echte“ Spac wurde am 4. Februar in Frankfurt gelistet. Helikos ist allerdings eine luxemburgische AG, hinter der die französische Industriellenfamilie Wendel steht. Der Schlüssel zum Erfolg dieser Spac wird in der Bewältigung der offensichtlichen Interessenskonflikte liegen. Denn Spacs bringen häufig Firmen an die Börse, die eigentlich noch nicht börsenreif sind und sonst mit Wagniskapital ausgestattet würden. Auch Ex-Commerzbank-Chef Martin Blessing, Oliver Samwer (Rocket Internet) und Klaus Kleinfeld (Siemens) sollen Pläne schmieden.

Für Anleger sind Spacs riskant, sobald sie eine Firma kaufen. Einer Studie der Investmentbank UBS zufolge steigt der Börsenkurs nach der Ankündigung eines Kaufs im Schnitt um elf Prozent in den ersten drei Monaten. Schlecht sieht es längerfristig aus: Nach einem Jahr verlieren große Spacs im Schnitt 18, kleine sogar 36 Prozent. Diese Zahlen ähneln den Renditen von Wagniskapital, wo eine Mehrzahl der Unternehmen Verluste einbringt und es nur das beste Viertel der Fonds schafft, besser als der Aktienmarkt insgesamt abzuschneiden, dann aber spektakulär besser.

Wer überprüft die Kaufkandidaten?

Trotz insgesamt schlechter Renditen gibt es einige Ausreißer: Richard Bransons Virgin Galactic hat 400 Prozent zugelegt, Michael Kleins erste Spac, Clarivate Analytics, 200 Prozent. Spitzenreiter bleibt Sportwettenanbieter DraftKings mit 500 Prozent Kursgewinn. Angesichts solcher Erfolgsgeschichten investieren verstärkt Kleinanleger in Spacs. Deshalb handeln Spacs seit 2020 schon vor Ankündigung eines Firmenkaufs mit einem Aufschlag zum Barwert von derzeit bei drei bis sechs Prozent, in Einzelfällen auch im zweistelligen Prozentbereich.

Die vielen Fälle miserabler Ergebnisse ziehen Leerverkäufer an. Carson Block glaubt, daß Kleins dritte Spac, die eine Datenanalysefirma kaufte, bald den größten Kunden mit 35 Prozent ihres Umsatzes verlieren wird. Unter dem Druck, Unternehmen kaufen zu müssen, prüfen Spacs also möglicherweise nicht sorgfältig genug die Kaufkandidaten. Anleger müssen deshalb besonders vorsichtig sein und sich gegebenenfalls auszahlen lassen.

Special Purpose Acquisition Companies: www.sec.gov