© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/21 / 05. März 2021

„Erhebliche Belastungen und Risiken für den Wohlstand“
Stiftung Familienunternehmen: Im Jahresbericht analysieren prominente Professoren den „Green Deal“ der EU / Rettungsanker für den Verbrennungsmotor?
Jörg Fischer

Vor zwei Jahren ging es mit den „Fridays for Future“-Kundgebungen in Deutschland los. Bereits im April 2019 wurde ein radikaler „Forderungskatalog“ vorgelegt: Einführung einer CO2-Steuer, Senkung der „Treibhausgasemissionen“ bis 2035 auf netto null und Kohleausstieg bis 2030. Da ein halbes Jahr zuvor in Bayern die Grünen mit 17,6 Prozent zweitstärkste Partei wurden, gab Ministerpräsident Markus Söder der Klimajugend Zucker: „Wir müssen entschieden handeln! Uns bleiben nur noch wenige Jahre, um eine Chance im Kampf gegen den Klimawandel zu haben“, verkündete er die neue „Klimastrategie der CSU“.

Die Corona-Pandemie änderte daran nichts: Am 23. November 2020 nickte der Landtag das „Bayerische Klimaschutzgesetz“ ab, das fordert, den Freistaat bis 2050 „klimaneutral“ zu machen. Schon 2030 soll das „CO2-Äquivalent der Treibhausgasemissionen“ auf „unter fünf Tonnen pro Einwohner und Jahr sinken“. Derzeit sind es wie in Japan etwa acht bis neun Tonnen, in den USA oder Australien über 15 Tonnen. Das deindustrialisierte und AKW-Mekka Frankreich liegt hingegen schon jetzt knapp unter der Söder-Grenze.

Ab 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen

Globale Konzerne können ihre Produktion nach Asien oder Amerika verlagern – doch was ist mit den etwa 7.500 mittelständischen Firmen des verarbeitenden Gewerbes und ihren 1,2 Millionen Mitarbeitern allein in Bayern? Eine Flucht nach Österreich, Polen oder in die Tschechei bringt nur einen temporären Aufschub, denn Ursula von der Leyens EU-Kommission hat in ihrem am 11. Dezember 2019 dekretierten „European Green Deal“ festgelegt, daß ab „2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden“.

Deshalb hat nun die Münchner Stiftung Familienunternehmen in ihrem Jahresbericht vor einer Deindustrialisierung gewarnt: „Klimaschutz kann nicht bedeuten, daß wir andere Aufgaben vernachlässigen. Die Corona-Pandemie hat der Weltwirtschaft enormen menschlichen und ökonomischen Schaden zugefügt. Wichtig ist, daß unsere Volkswirtschaft wieder zum Wachstum zurückkehrt“, erklärte Stiftungsvorstand Rainer Kirchdörfer, Wirtschaftsanwalt und früherer Industriekaufmann bei Bosch. Die Konjunktur-, Finanzmarkt- und Wettbewerbspolitik dürfe nicht mit klimapolitischen Zielen überfrachtet werden: „Das fördert Planwirtschaft, Kleinteiligkeit und Fehlsteuerung.“

Familienunternehmen seien als größte Steuerzahler und Arbeitgeber „eng mit ihren Standorten verbunden. Sie sind auf verläßliche Standortbedingungen angewiesen“, so Kirchdörfer. Prinzipiell widerspricht der 62jährige aber weder Söder noch grünen Anliegen: „Klimaschutz ist eine der wichtigsten Aufgaben unserer Zeit.“ Strittig sei nicht das Ziel, „aber der Weg dorthin“ – sprich: Während der „Grüne Deal“ immerhin noch verbal verspricht, „das Risiko der Energiearmut“ einzudämmen und einen „Mindestlebensstandard“ zu sichern, steht bei den Firmenvertretern der EU-Plan einer „effektiven CO2-Bepreisung“ unwidersprochen im Mittelpunkt.

Benzin, Diesel, Kerosin, Gas, Heizöl und Kohle massiv zu verteuern, wie durch das Brennstoffemissionshandelsgesetz begonnen, müsse das „klimapolitische Leitinstrument“ sein, denn dies setze „technologieneutral Anreize für strukturelle Anpassungen, Verhaltensänderungen und notwendige Investitionen, ohne daß der optimale Technologie- und Reduktionsmix vorab bekannt sein muß“, dozieren die Professoren Gabriel Felbermayr und Sonja Peterson vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) in ihrem Beitrag. Die CO2-Bepreisung gewährleiste, „daß Emissionen dort vermieden werden, wo es am kostengünstigsten ist“. Konsequent umgesetzt hieße das: Das bislang unbesteuerte Kerosin müßte so teuer werden wie Benzin, was den Geschäftsflug im Learjet nicht verhindert, die Urlaubsreise nach Antalya oder auf die Kanaren aber nur noch für gutverdienende FFF-Eltern bezahlbar macht. Der 2020 erfolgte Einbruch der Fluggastzahlen von 227 auf coronabedingt 58 Millionen an den 24 deutschen Verkehrsflughäfen wäre da nur ein kleiner Vorgeschmack.

Würden Gas und Heizöl wirklich nach ihrem CO2-Potential „bepreist“, wäre Thilo Sarrazins umstrittener Ratschlag von 2008 nicht nur für Hartz-IV-Bezieher wieder aktuell: „Wenn die Energiekosten so hoch sind wie die Mieten, werden sich die Menschen überlegen, ob sie mit einem dicken Pullover nicht auch bei 15 oder 16 Grad Zimmertemperatur vernünftig leben können“, empfahl der damalige Berliner SPD-Finanzsenator damals in der Rheinischen Post.

Grüne Durchdringung aller Politikbereiche

Schwieriger scheint, die energieintensive Chemie, Metall- oder Zementindustrie gleichermaßen zu schröpfen, denn „sofern es keine global einheitliche Klimapolitik gibt, besteht bei unilateraler CO2-Bepreisung in der EU tatsächlich die Gefahr, daß Produktionsaktivitäten und Emissionen ins Ausland verlagert werden“, so die IfW-Ökonomen. Die EU will daher einen „Grenzausgleichsmechanismus“ etablieren – doch wenn so die Importe aus China, Indien oder den USA mit einem „Klimazoll“ belegt werden, dann dürfte die deutsche Exportindustrie mit Gegenzöllen drangsaliert werden. Wenn gleichzeitig die „europäischen Exporte von einer CO2-Bepreisung ausgenommen werden“, ist ein Handelskrieg unvermeidlich.

Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts, sieht im „Green Deal“ – ohne das explizit zu schreiben – sogar faktisch einen „Great Reset“, denn der erfordere „eine tiefgreifende Transformation der Wirtschaft“. Das gehe „mit erheblichen Belastungen und Risiken für den Wohlstand einher“. Das klingt nach AfD, Donald Trump, Werteunion und Stammtisch, weshalb Fuest im Marketing-Sprech sogleich hinzufügt: Dies eröffne „aber auch neue Möglichkeiten und Chancen“. So schaffe eine Verteuerung von Heizöl „Anreize, Gebäude besser zu isolieren“. Das bringt Handwerker Umsatz und Eigentümern Anlaß für Mietsteigerungen, aber auch Schimmel- und Brandgefahr.

Immerhin hätten Familienfirmen aber einen echten Nachhaltigkeitsvorteil, denn bei anonymen Aktiengesellschaften sei „es schwierig, die Interessen eines für fünf Jahre oder noch kürzere Zeit beschäftigten Managers mit den langfristigen Unternehmensinteressen hinreichend in Einklang zu bringen“. Als Fazit mahnt Fuest: „Die Durchdringung aller Politikbereiche mit Nachhaltigkeitsanliegen birgt die Gefahr, daß die allgemeine Bürokratiebelastung steigt, politisches Marketing mit Nachhaltigkeitsthemen zu-, aber Transparenz abnimmt, Verantwortlichkeiten verwischt werden und Nachhaltigkeitsziele – wenn überhaupt – dann nur zu überhöhten Kosten erreicht werden.“

Nur der frühere Verfassungsrichter Udo Di Fabio äußert prinzipielle Bedenken gegen den „Green Deal“ und die Umsetzung in Deutschland: „Dem Klima und der ökologischen Nachhaltigkeit ist nicht gedient, wenn die Substanz von Wirtschaftsgrundrechten, und damit auch die Leistungsfähigkeit einer offenen sozialen Marktwirtschaft ausgehöhlt wird, sei es durch Verbote, durch Kontingentierungen, Ausstiegsanordnungen oder durch Lenkungssubventionen.“

Und Di Fabio entdeckt in den Brüsseler Vorgaben sogar einen Rettungsanker für den verteufelten Verbrennungsmotor: „Von der Förderung alternativer Treibstoffe wie etwa Compressed Natural Gas (CNG), Rapsöl, Biodiesel oder Bioäthanol sehen die Green Recovery-Maßnahmen ebenfalls nicht ab, obwohl die vehemente Begünstigung der Elektromobilität mit der Nullemissionsfiktion, kombiniert mit rigiden EU-Abgasnormen, für Verbrennungsmotoren viel stärker in eine andere Richtung wirkt.“

 â€žChancen und Risiken in der Politik des Green Deal“ (Jahresheft 2021): familienunternehmen.de

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