© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/21 / 05. März 2021

Angriff auf die freie Wissenschaft
Studie zur akademischen Freiheit: Politische Diskriminierung und Selbstzensur unter Konservativen ist an vielen Universitäten die Regel, nicht die Ausnahme
Björn Harms

Ist die akademische Freiheit an den Universitäten in Gefahr? Kann an den Hochschulen überhaupt noch unabhängig gedacht und frei geforscht werden? Gerade im anglophonen Sprachraum lautet die Antwort immer häufiger: Nein. Viele liberale und konservative Akademiker fühlen sich zunehmend an den Rand gedrängt und geraten selbst im Kollegenkreis unter Druck. Linke Studenten, die allerorts Diskriminierung und Rassismus wittern, verhindern immer häufiger eine freie Meinungsäußerung. Ausladungen unliebsamer Stimmen sind keine Seltenheit geworden.

Im August 2020 lieferte das interdisziplinäre „Center for the Study of Partisanship and Ideology“ (CSPI) an der Universität Nottingham eine erste Bestandsaufnahme für Großbritannien. Die erschreckenden Befunde legten den Grundstein für ein neues Gesetz der britischen Regierung, das die Redefreiheit an den Universitäten schützen und „Cancel Culture“ verhindern soll (JF 9/21).

Nun legte die Mannschaft um den renommierten kanadischen Politikwissenschaftler Eric Kaufmann nach. Das CSPI nahm die britischen Erkenntnisse und ergänzte sie um Datenmaterial aus den USA und aus Kanada. Herausgekommen ist eine 190seitige Studie, die es so noch nie gegeben hat und die eines klarmacht: Politische Diskriminierung und Selbstzensur ist an den Universitäten der drei anglophonen Länder die Regel, nicht die Ausnahme. 

Rechtslastige Bewerber werden offen diskriminiert 

Bereits im Juli 2020 hatten 150 liberale Schriftsteller und Akademiker in einem öffentlichen Brief vor einer ausufernden „Cancel Culture“ gewarnt. Ein Teil der Medien gab ihnen damals recht, ein anderer überzog sie mit Häme. Die jetzt von Eric Kaufmann gemachten Befunde bestätigen die Befürchtungen für die Universitäten. „Rechtsgerichtete Akademiker geben eher an, daß sie wegen ihrer öffentlichen Äußerungen, ihrer Forschung oder ihrer Lehre Disziplinarmaßnahmen ausgesetzt waren“, heißt es in der Studie.

Tatsächlich können sich auch immer mehr Akademiker vorstellen, eine Entlassungskampagne gegen einen vermeintlich unliebsamen Kollegen zu befürworten. Die Gründe dafür sind vielfältig: Der Gescholtene sieht etwa Diversität nicht als positiv an, hält das traditionelle Elternmodell für besser, will Einwanderung beschränken oder glaubt, daß durch Quoten angeworbene Frauen und Minderheiten schlechtere Leistungen im akademischen Bereich erzielen. 24 Prozent der amerikanischen, 20 Prozent der kanadischen und 25 Prozent der britischen Sozial- und Geisteswissenschaftler würden aus einem der vier genannten Gründe eine Entlassungskampagne befürworten.

Wenig überraschend: Jener „Illiberalismus“ sei „häufiger verbreitet unter Akademikern, die sich als ‘sehr links’ identifizieren“, heißt es in der Studie. Ein klares Bekenntnis liefert auch die Untersuchung der Altersstruktur. Gerade jüngere Akademiker unter 35 Jahren können sich die Unterstützung einer solchen Kampagne vorstellen (siehe Graphik 1). Der Blick in die Zukunft sieht deshalb nicht gerade rosig aus: „Die Unterstützung für akademische Freiheit könnte schwinden, wenn ältere Akademiker in den Ruhestand gehen und wenn eine weniger tolerante Kohorte von Millennial-Doktoranden und Akademikern die eher an der freien Meinungsäußerung orientierten Generationen der Boomer und Generation Xer ersetzt“, schreiben die Studienautoren.

Auch verpflichtende Lektüre-Quoten (gemeint ist also eine „Dekolonisierung des Curriculums“ oder einfach „mehr weibliche Autoren“) werden immer populärer. Jüngere Akademiker würden zwar die „Dekolonisierungs“-Agenda an den Universitäten eher unterstützen, so die Studienlage, eine Mehrheit, die eine „Dekolonisierungsquote“ fordert, gebe es jedoch nicht. Einen deutlichen Unterschied beim Wunsch nach „Quoten für Grundlagentexte“ gibt es zwischen Männern und Frauen. Durchschnittlich 58 Prozent der Frauen befürworten eine solche, bei den Männern sind es knapp 29 Prozent der Wissenschaftler. Da der Frauenanteil an Hochschulen steige, „sollten wir erwarten, daß sich das Gleichgewicht der internen Meinung in Richtung emotionale Sicherheit gegenüber akademischer Freiheit verschiebt“, kommentieren die Wissenschaftler den Befund.

Erstaunlich hoch ist auch der Anteil an Akademikern, die in Umfragen offen zugeben, politisch zu diskriminieren. Ãœber 20 Prozent der Wissenschaftler und sogar 30 Prozent der Doktoranden in den USA, Kanada und Großbritannien geben offen zu, daß sie den Antrag einer rechtsgerichteten Person auf ein Stipendium abqualifizieren würden. „Ein offen Konservativer hat eine mindestens 80prozentige Chance, in einem vierköpfigen, zufällig ausgewählten Gremium diskriminiert zu werden“, warnen die Autoren der Studie. Etwas geringer sind die Zahlen bei eingereichten Papern oder Promotionen rechtsgerichteter Personen. 

Kein Wunder also, daß ein großer Teil der konservativen Wissenschaftler meint, sich an der Universität in einem „feindlichem Klima“ zu befinden (siehe Graphik 2). Rechtsgerichtete Akademiker verstünden, „daß sie Teil einer Minderheit sind, die mit strukturellen Barrieren konfrontiert ist“, erkennt der Report. Selbst in den sogenannten Mint-Fächern hat das unangenehme Befinden bedrohliche Ausmaße angenommen. 

Das spiegelt sich auch in einer wahrzunehmenden Unsicherheit unter Studenten wider. 62 Prozent der „Graduate Students“ (Masterstudenten, Magisterstudenten oder Doktoranden), die sich als „rechts“ beschreiben, sind der Meinung, ihre Ansichten würden einer akademischen Karriere im Weg stehen. Auch 34 Prozent derjenigen, die sich als „eher rechts“ beschreiben, und 18 Prozent der Liberalen („Centrists“) sind der Ãœberzeugung, daß ihre „politischen Ansichten nicht dazu passen würden“. Ein universitärer Berufsweg wird somit von vornherein ausgeschlossen, da man sich eh wenig Chancen ausrechnet. 

Dieses Klima der Angst an den Hochschulen mündet häufig genug in der wohl schlimmsten Form der Zensur: der Selbstzensur (siehe Graphik 3). Besonders ausgeprägt sei sie „in Bereichen, die die heiligen progressiven Kategorien von Rasse, Geschlecht und Sexualität berühren“, heißt es in der Studie. Ganze 70 Prozent der US-Konservativen bzw. Rechten zensieren ihre Ansichten in Lehre und Forschung. Selbst unter Liberalen („Centrists“) in den USA liegt dieser Wert bei 42 Prozent. Die Ergebnisse der ersten großen Untersuchung zur akademischen Freiheit in den anglophonen Ländern sind also eindeutig. Es bleibt zu hoffen, daß eine derartige Studie auch einmal die deutschen Universitäten auf Herz und Nieren prüfen würde. Ob die Befunde viel anders wären?

Link zur Studie „Akademische Freiheit in der Krise: Bestrafung, politische Diskriminierung und Selbstzensur“ (1. März 2021):  cspicenter.org