© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/21 / 05. März 2021

Schnell auf Linie gebracht
Vor 75 Jahren wurde unter Regie der Kommunisten die Freie Deutsche Jugend gegründet
Karlheinz Weißmann

Am 6. März 1946 erteilte die Sowjetische Militäradministration (SMAD) die Genehmigung zur Bildung einer Organisation unter dem Namen „Freie Deutsche Jugend“ (FDJ). Nach außen handelte es sich um einen überparteilichen und überkonfessionellen Verband, der allerdings von Beginn an unter kommunistischer Kontrolle stand. Aus taktischen Gründen sollte der Führungsanspruch der KPD, dann der SED, aber nicht offen gezeigt werden, immer der Maßgabe Walter Ulbrichts folgend: „Es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“

Mit der Bezeichnung „Freie Deutsche Jugend“ weckte man bewußt Erinnerungen an die „Freideutsche“ Richtung der klassischen Jugendbewegung. Gesang, Volkstanz, Fahrt und Lager spielten anfangs eine entscheidende Rolle, das Symbol der aufgehenden Sonne wirkte harmlos. In der zweiten Hälfte der 1940er Jahre warb die FDJ gezielt um Jugendliche aus kirchlich gebundenen oder liberalen Elternhäusern, aber auch um desillusionierte HJ-Führer. Der Akzent lag auf Bildungsveranstaltungen, bei denen die Pflege der deutschen Klassiker im Zentrum stand, wobei der Kanon „humanistisch“ und „fortschrittlich“ erweitert wurde. 

In Vorträgen und Diskussionen ging es um die scharfe Abrechnung mit dem NS-Regime, aber auch mit der „reaktionären“ Vergangenheit. Als politische Vorbilder wurden den „Jugendfreunden“ die Revolutionäre von 1848 und 1918, Arbeiterführer und selbstverständlich die „Märtyrer im Kampf gegen den Faschismus“ nahegebracht. Allerdings gab es noch keine „Schulung“ im Sinne des Marxismus-Leninismus. Das änderte sich erst, als die werbende Wirkung des „antifaschistischen“ Ansatzes verbraucht war und deutlich wurde, daß Deutschland auf absehbare Zeit gespalten bleiben werde.

Erich Honecker hatte als Vorsitzender der FDJ noch bei deren „I. Parlament“ im Juni 1946 erklärt, die Überparteilichkeit des Verbandes „wie seinen Augapfel hüten“ zu wollen. Aber als führendes SED-Mitglied folgte er selbstverständlich der Parteilinie, die zunehmend auf Disziplinierung der „Massenorganisationen“ ausgerichtet war. Schon beim „II. Parlament“ zu Pfingsten 1947 war die systematische Zurückdrängung der bürgerlichen Delegierten festzustellen. Auf dem „III. Parlament“ des nächsten Jahres beschloß die FDJ formell, das Gesellschaftsverständnis der SED zu übernehmen, nach der Staatsgründung der DDR am 7. Oktober 1949 folgte die förmliche Anerkennung der „führenden Rolle“ der SED im Aufbau des Staates, dann die vollständige Reorganisation des Jugendverbandes nach dem Grundsatz des „Demokratischen Zentralismus“.

Am Komsomol ausgerichtet, aber mit HJ-Ähnlichkeiten 

Parallel dazu wuchs der Druck, der auf der FDJ-Basis lastete. Bereits 1948 hatte man ein Hemd beziehungsweise eine Bluse von tiefblauer Farbe für die männlichen und weiblichen Mitglieder eingeführt. Man vermied den Begriff „Uniform“, doch war unübersehbar, in welche Richtung es weitergehen würde. Wehrerziehung, militärische Disziplin und Fahnenkult zeigten, daß es darum ging, die FDJ am Muster des sowjetischen Komsomol auszurichten. Das führte durchaus zu Irritationen, die ihre Ursache in der pazifistischen Umerziehung der Nachkriegszeit hatten. 

Auch der Aufbau einer Art Marine-, Flieger- und Motor-FDJ legte den Vergleich des neuen mit dem alten „Rummel“ nahe. Was aber weder die Parteispitze noch Honecker beunruhigte, die alles daransetzten, die FDJ in das von der Sowjetunion geführte „Weltfriedenslager“ einzugliedern. Seit dem Frühjahr 1952 traten weibliche wie männliche FDJ-Verbände bewaffnet bei öffentlichen Veranstaltungen auf. Im Zentralrat der Organisation fand eine Säuberung statt, der alle zum Opfer fielen, deren Linientreue in Zweifel stand. Ersetzt wurden sie unter anderem durch drei Generalinspekteure der Volkspolizei, die mit ihren kasernierten Truppen schon als Kern der späteren DDR-Streitkräfte zu betrachten war.Die Anziehungskraft, die die FDJ unmittelbar nach dem Zusammenbruch ausgeübt hatte, erlosch in dem Maß, in dem die „Stalinisierung“ der DDR fortschritt. Die Bevölkerung erkannte rasch, daß die Freie Deutsche Jugend nichts anderes als ein Zwangsverband des totalitären Systems war, dem man sich kaum verweigern konnte. Hatte die FDJ im Gründungsjahr gerade 16 Prozent der jugendlichen Bevölkerung zwischen 13 und 26 Jahren erfaßt, wuchs dieser Anteil bis zum Untergang der DDR auf 88 Prozent an. Sie war damit ein wesentlicher Faktor im Aufbau des „Ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaates“.

Darin lag ein grundsätzlicher Unterschied zur FDJ-West, die die Besatzungsbehörden bereits im Dezember 1945 auf dem Gebiet der britischen, französischen und amerikanischen Zone zugelassen hatten. Sie trat zwar nach außen als selbständiger, überparteilicher Jugendverband auf, blieb aber faktisch so unselbständig wie die KPD, die „Partei der DDR“ auf westdeutschem Boden. Auch die Teilnahme von Westdelegationen an den „Parlamenten“ der FDJ war kein Ausdruck von Mitbestimmung. Ab 1949 erhielt die FDJ-West direkte Anweisungen aus dem Zentralrat der FDJ-Ost, der außerdem 500 „Instrukteure“ entsandte, um die Arbeit der Genossen vor Ort zu kontrollieren.

Zu den Nebeneffekten der engen Anbindung gehörte, daß die FDJ-West über erhebliche Mittel verfügte, um ihre subversive Tätigkeit zu finanzieren. Es gab deshalb auch eine große Zahl von offen oder getarnt für ihre Sache werbenden Zeitungen und Zeitschriften. In ihrer Blütezeit konnte sie bis zu 20.000 Mitglieder sammeln und die Gewerkschaftsjugend relativ erfolgreich infiltrieren. Doch das aggressive Auftreten – etwa im Zusammenhang mit dem Deutschlandtreffen 1950 unter der Parole „Jugend stürmt Berlin“ – und die Tatsache, daß die FDJ-Propaganda nur die politischen Forderungen des Ostens nachbetete, machte sie immer unglaubwürdiger.

FDJ im Westen war geplant als Untergrundgruppe 

Bereits am 26. Juni 1951 erging ein Verbot der „FDJ in Westdeutschland“ als verfassungsfeindlicher Organisation durch die Bundesregierung, am 16. Juli 1954 – mehr als zwei Jahre vor dem Verbot der Mutterpartei KPD – bestätigte das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung. Allerdings hatte die FDJ in Ost-Berlin bereits Maßnahmen für diesen Fall getroffen. Die Arbeit der Instrukteure wurde intensiviert, gleichzeitig schuf man Tarnorganisationen und baute die „Bündnispolitik“ aus, vor allem im Hinblick auf linke Gruppen am Rande oder außerhalb der SPD, Pazifisten und Neutralisten, mit denen man in „Aktionseinheit“ gegen die „Kriegspolitik“ der „illegitimen“ oder gleich „faschistischen“ Regierung Adenauers vorgehen wollte.

Ein ehemaliger Funktionär der FDJ-West urteilte, „daß die KPD wie die FDJ mit (auch materieller) Hilfe der SED …, bestrebt waren, das demokratische System zu beseitigen und stattdessen die stalinistische DDR-Diktatur in ganz Deutschland zu errichten“ (Hermann Weber). Ein Ziel, das auch nach dem Verbot der FDJ, dann der KPD nicht aufgegeben wurde. Die Nationale Volksarmee begann ohne Zögern mit der Rekrutierung einer „Untergrundtruppe“, die auf Strukturen der FDJ-West zurückgriff, aus jungen Bundesbürgern bestand und im Fall eines Konflikts zwischen Warschauer Pakt und Nato hinter den feindlichen Linien operieren, Attentate und Sabotageakte durchführen sollte.

Foto: Berliner Bezirkssekretär der FDJ, Siegfried Lorenz (l.), verabschiedet nach dem Mauerbau am 22. August 1961 Mitglieder der Freien Deutschen Jugend, die den Dienst bei der Grenzpolizei aufnehmen: Die FDJ war nichts anderes als ein Zwangsverband des totalitären Systems, dem man sich kaum verweigern konnte