© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/21 / 12. März 2021

Kuck mal, wer da spricht
AfD: Das Kölner Verwaltungsgericht rüffelt den Verfassungsschutz und verbietet ihm vorerst, die Partei als Verdachtsfall zu beobachten / Meuthen spricht von „Blamage“
Christian Vollradt

Ob es Bademeister gibt, die wasserscheu sind, ist nicht bekannt. Daß hierzulande jedoch Geheimdienstler existieren, die etwas nicht geheimhalten können, ist seit vergangener Woche erwiesen. Unmittelbar nach einer Schaltkonferenz des Bundesamts mit den Landesämtern für Verfassungsschutz am Mittwoch eilmeldeten die ersten Medien, daß seit dem 25. Februar die Gesamt-AfD als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft werde. 

Zwei Tage später, am Freitag, kassierte das Verwaltungsgericht die nachrichtendienstliche Plapperei mit einem Beschluß, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen ließ: Der Verfassungschutz wurde verpflichtet, „es zu unterlassen“, die AfD als „Verdachtsfall“ einzuordnen „zu beobachten“ und als „Verdachtsfall“ erneut „öffentlich oder nicht öffentlich“ bekanntzugeben – vorerst jedenfalls, bis eine Entscheidung im noch nicht abgeschlossenen Eilverfahren gefällt wird. 

Das Bundesamt für Verfassungsschutz, so die Begründung, habe zuvor Stillhaltezusagen abgegeben, eine eventuelle Bewertung der AfD als Verdachtsfall nicht publik zu machen. Seit Mittwoch stehe jedoch fest, „daß in dem Bundesamt zurechenbarerweise der Umstand der Einstufung“ der Partei als Verdachtsfall in „mißachtender Weise ‘durchgestochen’ worden ist“, monierten die Kölner Verwaltungsrichter. Die „Vertrauensgrundlage“ sei  dadurch „nunmehr zerstört“, was den Maulkorb durch die Judikative nötig mache, zumal „eine konkrete Wiederholungsgefahr“ bestehe. Insbesondere im Hinblick auf die anstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sei die grundgesetzlich garantierte Chancengleichheit der AfD durch das Vorgehen der Verfassungsschützer bedroht.

AfD-Parteichef Jörg Meuthen bezeichnete die Entscheidung gegenüber der JUNGEN FREIHEIT als „erneute komplette Blamage“ für Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang. „Ein Inlandsgeheimdienst, der nichts geheimhalten kann, mit Einstufungen, die keine 48 Stunden später per Gerichtsbeschluß Makulatur sind.“ Zudem forderte Meuthen Haldenwangs sofortigen Rücktritt. „Peinlicher geht es wirklich kaum mehr.“ Der Co-Vorsitzende Tino Chrupalla sprach von einer „Klatsche für den Verfassungsschutz“.

Dessen oberster Dienstherr, Bundes-innenminister Horst Seehofer (CSU), war über die juristische Klatsche denn auch alles andere als amüsiert. „Schwei­gen ist die wich­tigs­te Tugend der Nach­rich­ten­diens­te“, sagte er dem Spie­gel. Diese Tugend sei „in diesem Fall leider mißach­tet“ worden. Trotz gerichtlicher Auflagen sei „geplaudert“ worden – „von wem auch immer.“ Und der Minister machte deutlich: „Da platzt mir der Kragen.“ AfD-Chef Meuthen nannte das Vorgehen der Verfassungsschützer ein „taktisches Foul“. Denn offensichtlich wurde die – offiziell einzuhaltende – Schweigepflicht mittels Durchstechen bewußt konterkariert. 

Unterdessen hat der Bundesvorstand der AfD am Montag beschlossen, in einer Online-Befragung die Mitglieder entscheiden zu lassen, ob die Spitzenkandidaten der Partei für den Bundestagswahlkampf 2021 „von allen Mitgliedern im Rahmen einer Mitgliederbefragung gewählt werden anstelle von den Teilnehmern auf dem Bundesparteitag?“ Das Votum der Onlinebefragung soll bis zum 1. April feststehen, der Bundesparteitag findet am 10. und 11. April statt.