© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/21 / 12. März 2021

„Europas rechte Kräfte vereinen“
Bruch zwischen Fidesz und EVP: Die Abgeordneten der ungarischen Partei verlassen die Fraktion
Zita Tipold

Was Viktor Orbán verspricht, das hält er auch. Insbesondere wenn das Versprechen eine Drohung ist. Die Fidesz-Abgeordneten im EU-Parlament sind künftig nicht mehr Teil der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP). Nach jahrelangen Streitigkeiten erfolgte nun der Bruch zwischen dem ungarischen Regierungs­chef und dem EVP-Vorsitzenden Manfred Weber (CSU) oder mit den Worten der Nachrichtenagentur dpa: „Die Scheidung einer längst zerrütteten Ehe“. 

Der Tropfen, der das Faß nun zum Überlaufen brachte, war die Abstimmung der EVP über eine Änderung der Geschäftsordnung, die am Mittwoch voriger Woche mit der nötigen Mehrheit angenommen worden war. 

Unionspolitiker forderten Fidesz-Ausschluß

Der Fidesz-Chef hatte zuvor den Austritt seiner Parteikollegen aus der Fraktion angekündigt, falls die Änderung der Geschäftsordnung gebilligt werde. Auch der Chef der Fidesz-Gruppe im EU-Parlament, Tamás Deutsch, nannte das Vorhaben „inakzeptabel“ und bekräftigte, seine Partei werde in dem Fall die EVP-Fraktion verlassen. 

Die beschlossene Änderung zielte explizit auf die Möglichkeit ab, Fidesz-Mitglieder zu suspendieren. Bislang war dies nur bei einzelnen Abgeordneten möglich. Nun kann die Fraktion aber ganze Länder-Delegationen absetzen. Der EVP-Koordinator im Ausschuß für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, Dennis Radtke (CDU), hatte sich optimistisch gezeigt, schon in der kommenden Woche eine Entscheidung über die Suspendierung der Fidesz-Mitglieder vorliegen zu haben. Auf Parteiebene ruht die Mitgliedschaft des Fidesz in der EVP bereits seit 2019, ohne Auswirkung auf die entsprechenden Abgeordneten in der Fraktion.

 Deshalb wollten mehrere EVP-Parlamentarier nachlegen. Die ungarische Regierungspartei ist vielen von ihnen ein Dorn im Auge. Besonders Politiker der Unionsparteien hatten sich immer wieder dafür ausgesprochen, den Fidesz gänzlich aus der EVP auszuschließen. So auch die damalige CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. „Es liegt an der ungarischen Seite, belastbar zu beweisen, daß sie sich der EVP noch zugehörig fühlt“, sagte sie dem Spiegel im vergangenen Jahr. 

Weber hatte der Partei zudem vorgeworfen, mit ihrer Politik das Europa Helmut Kohls zerstören zu wollen. Besonders aneinandergeraten war Orbán zudem mit dem ehemaligen EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, der ebenfalls der EVP angehört. Nach einer ungarischen Kampagne gegen seine Flüchtlingspolitik hatte dieser betont, der Fidesz habe keinen Platz in der Fraktion, da er ihre christdemokratischen Werte in keiner Weise vertrete. 

Den nun erfolgten Austritt der Abgeordneten lobte er gegenüber der Wirtschaftswoche, wenn auch mit der Anmerkung: „Das kommt zu spät.“ Orbán hat Wort gehalten und seine Parteikollegen aus der EVP zurückgezogen. „Die Änderung der Geschäftsordnung der EVP-Fraktion ist offenkundig ein feindseliger Zug gegen den Fidesz und seine Wähler“, begründete er seine Entscheidung in einem Brief an Weber. Der Beschluß der Fraktion sei „antidemokratisch und ungerecht“. Seine Parteikollegen in der EU würden weiterhin für ihre Wähler sprechen und die Interessen Ungarns verteidigen, kündigte er an. 

Fidesz-Gründungsmitglied Gábor Fodor hält den Austritt für keinen Verlust. Eine starke Partei habe eine schwache EVP verlassen. „Die Starken werden dadurch noch stärker und die Schwachen noch schwächer werden“, prognostizierte er auf dem ungarischen Nachrichtenportal Mandiner. Fidesz christdemokratischer Regierungspartner KDNP verbleibt weiterhin in der EVP. Wohin die Reise für die zwölf Fidesz-Abgeordneten auf Fraktionsebene geht, ist allerdings noch offen. Nach der „zerrütteten Ehe“ steht der Partei nun die neue Partnerwahl bevor. Orbán sieht darin eine neue Perspektive für die europäische Politik. „Jetzt muß ohne die EVP die europäische, demokratische Rechte aufgebaut werden, die jenen europäischen Bürgern eine Heimstatt bietet, die keine Migranten wollen, die die christliche Tradition Europas verteidigen und die die Souveränität der Nationen respektieren“, teilte Orbán in einer Erklärung mit. 

EVP hat ein „Stück ihrer Seele verloren“

Angebote für eine Zusammenarbeit sind bereits eingegangen. Offene Arme bekundet etwa der Vize-Vorsitzende der Europäischen Rechtspartei Identität und Demokratie (ID), Jörg Meuthen (AfD). „Wir sind überzeugt, daß die patriotischen und freiheitlichen Kräfte Europas an einem Strang ziehen sollten“, teilte er mit. Die ungarische Regierungspartei sei immer das „konservative Feigenblatt“ der „scheinkonservativen“ EVP gewesen. Nun bröckle die Fassade der Fraktion. 

Auch ein Wechsel zur Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), zu der auch die polnische PiS-Partei gehört, ist denkbar. Ihr Vorsitzender Raffaele Fitto hat bereits Solidarität mit dem Fidesz bekundet. Die EU befinde sich in einer schweren Krise, dennoch würden pro-europäische Parlamentarier die verschiedenen Völker Europas spalten. Die EVP-Fraktion habe nun den letzten Rest ihrer einst christdemokratischen Seele verloren.

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