© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/21 / 12. März 2021

„Mehr Tierwohl gibt es aber nicht zum Nulltarif“
Agrarpolitik: Milch und Fleisch sollen gesetzlich teurer werden / Der Bund erwartet Mehreinnahmen von 5,5 bis 6,3 Milliarden Euro
Paul Leonhard

Die Regierung will erneut an der Preisspirale drehen. Diesmal sollen die Bürger nicht für das Weltklima tiefer in die Tasche greifen, sondern für das Tierwohl. „Unsere Gesellschaft will mehr Tierwohl“, glaubt Agrarministerin Julia Klöckner. Daß nur sechs Prozent des Lebensmittelumsatzes in Deutschland teure Bio-Produkte sind, ist für die CDU-Vizechefin kein Widerspruch, sie bereitet die Verbraucher auf eine Trendwende von oben vor: „Mehr Tierwohl im Stall und auf der Wiese gibt es aber nicht zum Nulltarif!“

Die 48jährige Winzertochter sorgt sich um die Lebensumstände der Nutztiere in der immer stärker industriellen Landwirtschaft. Sie wirbt für eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz – aber das geht nicht ohne eine verläßliche, langfristige Finanzierung für die deutschen Bauern, die seit zwei Jahren sogar in Deutschland richtig rebellisch geworden sind (JF 8/21). Viele sind in Existenznot, ihre Initiative „Land schafft Verbindung“ demonstriert mit Traktorkorsos gegen die Agrar- und Umweltpolitik der Bundesregierung und der EU. Seit 2019 hat daher eine von Ex-Landwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU) geleitete Kommission Lösungsansätze gesucht. Die Vorschläge wurden von der Bonner Kanzlei Redeker, Sellner, Dahs rechtlich untersucht. Das Ergebnis der 286seitigen „Machbarkeitsstudie zur rechtlichen und förderpolitischen Begleitung einer langfristigen Transformation der deutschen Nutztierhaltung“ hat Klöckner nun vorgestellt.

Sollten den Landwirten die Kosten für den tierwohlgerechten Umbau der Ställe und die höheren laufenden Kosten ausgeglichen werden, wären 2025 etwa 2,9 Milliarden Euro fällig, 2030 wären 4,3 Milliarden Euro nötig und ab 2040 nur noch vier Milliarden Euro. Drei Finanzierungsoptionen wurden konkret durchgerechnet: die Anhebung des Mehrwertsteuersatzes für tierische Produkte von sieben auf 19 Prozent, die Einführung einer Verbrauchersteuer („Tierwohlabgabe“) oder einer „Ergänzungsabgabe Tierwohl“.

Alle drei wären rechtlich umsetzbar und könnten dauerhaft erhoben werden. Während die Ergänzungsabgabe keinen Einfluß auf den Produktpreis hätte, wären die ersten beiden Optionen für den Normalbürger und insbesondere für Familien mit Kindern spürbar. Denn nicht nur Fleisch und Wurst würden teurer, sondern auch Milch, Eier, Käse, Quark, Joghurt, Schokolade oder Eis.

„An der Ladenkasse zeigen, was mehr Tierwohl wert ist“

Eine höhere Mehrwertsteuer auf diese Waren würde bedeuten, daß der Preis für einen Liter Vollmilch von derzeit 79 Cent auf 88 Cent steigt. Zehn Eier aus Bodenhaltung würden statt 1,69 dann 1,89 Euro, 400 Gramm Gouda-Schnittkäse nicht mehr 1,99 Euro, sondern 2,21 Euro kosten. Die Einnahmen aus der „Tierwohlabgabe“ oder der Ergänzungsabgabe kämen zu 100 Prozent dem Bund zugute. Bei der Variante Mehrwertsteuererhöhung – jährliche Mehreinnahmen von 5,5 bis 6,3 Milliarden Euro – kassiert er lediglich 52,8 Prozent, 45,2 Prozent fließen in die Länderetats, zwei Prozent an die Gemeinden. Eine „Tierwohlabgabe“ von 47 Cent pro Kilo Fleisch und zwei Cent pro Kilo Milch würde zusätzliche Einnahmen von 4,2 Milliarden Euro bedeuten, wobei hier – im Unterschied zur Mehrwertsteuer – jederzeit „nachgesteuert“ werden kann.

Greenpeace ist von der Studie begeistert. Da die Machbarkeit belegt sei, gebe es nun „keine Ausreden mehr“, findet Landwirtschaftsexperte Martin Hofstetter. Der 60jährige „Political Advisor für das Thema Biodiversität“ favorisiert die 19prozentige Mehrwertsteuer. Um den Verbrauchern die richtige Ernährungsweise schmackhaft zu machen, sollte der Mehrwertsteuersatz für Obst, Gemüse und Bioprodukte gesenkt werden – doch das dürfte Wunschdenken bleiben. Klöckner präferiert aber „wegen geringerer Verwaltungskosten“ ebenfalls die höhere Mehrwertsteuer.

Bereits 300 Millionen Euro aus den Konjunkturpaketen 2020 und 2021 wurden in „Tierwohlställe“ investiert und eine Änderung des Baugesetzbuchs auf den Weg gebracht. Auch Kriterien für ein staatliches Tierwohlkennzeichen wurden erarbeitet, damit „der Verbraucher dann an der Ladenkasse zeigen kann, was ihm mehr Tierwohl wert ist“, wie der 80jährige Borchert hintersinnig sagt. Denn schon vor der Corona-Krise mußten viele Verbraucher beim Einkaufen streng rechnen. Das ökologische Gewissen kann sich nicht jeder leisten. Im Ergebnis mußten die Discounter ihre Fleischpreise wieder senken.

Doch Klöckner ist keine Sozialministerin, ihr geht es um die Bauern und „um den Platz für Tiere, Stallklima und Lichtverhältnisse sowie das Futterangebot für Nutztiere“. Ihr Fazit: „Es geht nicht um das ‘Ob’‚ es geht um das ‘Wie’.“ Die politische Forderung nach mehr Tierwohl sei „von vielen Seiten“ erhoben worden. Klar sei, daß dieser Systemwechsel über eine Legislaturperiode hinausdauere: „Es bedarf eines gesellschaftlichen Konsenses und eines Generationendialoges.“

Im Lied des WDR-Kinderchors über „Oma, die alte Umweltsau“ wurde die Marschrichtung schon vorgegeben: Sich jeden Tag ein Kotelett vom Discounter braten, das „so gut wie gar nichts kostet“, soll nicht mehr möglich sein. Und nach „konstruktiven Gesprächen über den besten Weg“ sind sicher alle Fleisch- und Milch-Junkies „geläutert“. Unbeachtet läßt Klöckner, daß der deutsche Verbraucher dann auch mitfinanziert, daß deutsche Produzenten billiges Fleisch exportieren. Speziell in Asien darf keinesfalls an der Preisspirale gedreht werden, sollen sich die Absatzchancen nicht verschlechtern. Denn der weltweiten Konkurrenz ist das Tierwohl keinen Cent wert.

Das hat beispielsweise auch Gero Hocker erkannt. Der agrarpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion warnte im Deutschlandfunk vor einem deutschen Alleingang. Sinnvoller wäre ein verbindliches EU-Tierwohllabel, sonst würden deutsche Tierhalter aus dem Markt gedrängt. Klöckner kündigte daher vorsorglich an, „weitere wichtige Erkenntnisse“ in einer Folgenabschätzung im April zu liefern.

„Machbarkeitsstudie zur rechtlichen und förderpolitischen Begleitung einer langfristigen Transformation der deutschen Nutztierhaltung“: www.bmel.de

Foto: Kälber in einem Biobauernhof im Landkreis Harz: „Wegen geringerer Verwaltungskosten“ wird eine höhere Mehrwertsteuer präferiert