© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/21 / 12. März 2021

Kindheit zwischen zweierlei Welten
Identitätsfragen: Florence Brokowski-Shekete, erste schwarze Schulamtsdirektorin in Deutschland, hat ihre Autobiographie vorgelegt
Lorenz Bien

Seit den Protesten der „Black Lives Matter“-Bewegung nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd im vergangenen Sommer ist es wieder da: das Thema „Identität“. Auch auf dem Büchermarkt. Zahlreiche Publikationen widmen sich seitdem dem Leben von schwarzen Menschen in westlichen Ländern, häufig von den Betroffenen selbst. Und neben teils fragwürdigen Rassismusvorwürfen gegenüber der Gesellschaft, in der sie leben, kreisen die Bücher um einige sehr grundlegende Fragestellungen: Wer bin ich? Was macht meine Identität aus? Wie sollen Menschen aus vollkommen unterschiedlichen Kulturen in einem Land zusammenleben?

„Mist, die versteht mich ja! Aus dem Leben einer Schwarzen Deutschen“ lautet der jüngste Debattenbeitrag, in welchem die Autorin Florence Brokowski-Shekete, Schulamtsdirektorin in Baden-Württemberg und Gründerin der Agentur FBS intercultural communication, ihre Lebensgeschichte erzählt. Als Kind von zwei in Deutschland studierenden nigerianischen Eltern wird sie Ende der 1960er Jahre im Alter von zwei Jahren bei einer deutschen Pflegemutter gelassen, da es den Eltern zunehmend schwerfällt, sich neben dem Studium um das Kind zu kümmern. Selbst kinderlos und unverheiratet, versorgt die Pflegemutter das Kind fürsorglich; die Eltern hingegen erscheinen nicht, wie angekündigt, regelmäßig, um das Kind an den Wochenenden zu sich zu nehmen. 

Es bildet sich ein rührendes – und folgenreiches – Band zwischen den beiden: „Es heißt, ich habe sie bereits zwei Stunden nach meiner Ankunft ‘Mama’ genannt (…). Mama war das zunächst gar nicht recht, schließlich hatte ich leibliche Eltern (…)“

Als ihre leiblichen Eltern sie schließlich doch an den Wochenenden zu sich nehmen, erkennt die kleine Florence, daß sie sich bei ihnen nicht besonders wohlfühlt. Die Identität, die ihre Eltern ihr anerziehen wollen, empfindet sie als übergestülpt, falsch und weit entfernt von der Welt ihrer „Mama“. Anders als bei ihrer Leihmutter spielt emotionale Wärme für ihre leiblichen Eltern keine große Rolle, einen geregelten Tagesablauf gibt es nicht, stattdessen wird eine Spontanität gelebt, die das Mädchen als willkürlich und beinahe bedrohlich empfindet.

Es ist eine Kindheit zwischen zweierlei Welten. Einmal ist sie „Flori“, das Mädchen in einer „weißen deutschen Welt“, in der sie sich geborgen fühlt und sich ihres andersartigen Aussehens nicht bewußt ist, und dann sind da die Wochenenden, an denen ihre Eltern sie in Olatunde Gbolajoko Oluwadamilare verwandeln und ihr rasch beibringen, daß Heimweh nach der deutschen Leihmutter inakzeptabel ist. 

Im Alter von acht Jahren kommt sie schließlich nach Nigeria – sie soll bei ihrer Familie leben und sich dort einfügen. Doch der Besuch verstärkt Florences Entfremdung nur noch. Eindrücklich schildert sie, wie sie das Leben in Lagos als unverständlich, chaotisch und teilweise auch beängstigend gewalttätig erlebt. Ihre Familie weiß derweil wenig mit dem deutschsprechenden Mädchen anzufangen, das zunehmend still und verschüchtert wirkt.

Mit Deutschland und seiner Kultur verbunden

Die Rettung kommt schließlich von unerwarteter Seite: Als sie in ihrer deutschsprachigen Schule einen Aufsatz über ihren „schönsten Traum“ schreiben soll, formuliert sie ihre Sehnsucht nach der fernen Heimat und der deutschen „Mama“. Durch den Aufsatz offenbar alarmiert, sucht ihre Lehrerin das Gespräch mit den Eltern, die schließlich einwilligen, ihre Tochter in Deutschland zur Schule gehen zu lassen, unter der Bedingung, daß sie in den Sommerferien „home“ zu kommen habe.

Brokowski-Shekete erzählt ihr Schicksal eindrucksvoll und unaufgeregt. Rührend schildert sie ihre Verbundenheit mit Deutschland, seiner Kultur und den Menschen, zugleich gleitet ihre Entfremdung mit dem Land ihrer Eltern nie in Polemik ab, sondern scheint auch hier von einer grundlegenden Empathie getragen.

Angenehm herausstechend ist ebenfalls das Fehlen jenes anklagenden Tonfalls, der in Buchveröffentlichungen zum selben Thema oft die Debatte bestimmt. Zwar verschweigt auch Borowski-Shekete mitnichten die Probleme, die sich in Deutschland für sie ergeben, gelangt dabei aber stets zu einer balancierten Darstellung, in der sich viele Erlebnismosaike ineinanderfügen. Offenen Rassismus hat sie nach eigener Aussage kaum erlebt, ungefragtes In-die-Haare-Fassen wiederum schon, und manche Enttäuschung konnte auch nicht ausbleiben: „Ich gab daran jedoch nicht meiner weißen Umgebung die Schuld. Die Umgebung konnte nichts dafür, daß es nur wenige Dinge gab, die für mich paßten. Es war nicht ihre Schuld, daß es mich in ihrer Mitte gab, nicht sie mußten sich anpassen, ihr Leben verändern, so daß ich hineinpaßte.“

Also, wer ist Florence Brokowski-Shekete, was macht ihre Identität aus? Die Antworten ergeben eine interessante Lektüre. Und daß ein Zusammenleben sehr wohl funktionieren kann, davon zeugt dieses Buch auch.

Florence Brokowski-Shekete: Mist, die versteht mich ja! Aus dem Leben einer Schwarzen Deutschen. Orlanda Verlag, Berlin 2020, broschiert, 250 Seiten, 22 Euro