© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/21 / 12. März 2021

Im Netz der Gesinnungskontrolle
Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft: Die unheimliche Macht der „Big Tech“-Konzerne
Jan Schad

Im Jahr 2011 behauptete der WikiLeaks-Gründer Julian Assange, daß Internet-Suchmaschinen Schnittstellen hätten, über die Nachrichtendienste Informationen abgreifen. Während der NSA-Affäre wurde dies bestätigt. Assange warnte auch vor politischem Druck zum Daten- und Machtmißbrauch. 

Der Cambridge-Analytical-Skandal seit 2018, die Löschkultur und die gelebte Praxis des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes gegen „Hate Speech“ bestätigten diese Befürchtung. Besonders deutlich wurde das im zurückliegenden US-Präsidentschaftswahlkampf. Ein Artikel der New York Post behauptete im Oktober, daß Joe Biden als Vizepräsident gegenüber der ukrainischen Regierung seinen Einfluß zum persönlichen Vorteil mißbraucht habe. Facebook und Twitter blockierten die Verbreitung dieses Artikels auf ihren Plattformen. Begründung: Verstoß gegen Nutzungsrichtlinien, da die Informationen ungesichert und eventuell illegal beschafft worden seien (letzteres hatte bei den WikiLeaks-Dokumenten zum Irakkrieg nur die US-Regierung interessiert). 

Zwei private Online-Plattformen gerierten sich also in der durch sie bereitgestellten Öffentlichkeit, mit etwa 2,9 Milliarden Nutzern weltweit, als gesetzgebende Legislative, als Richter, als Exekutive und als Aufsichtsorgan gegenüber den marginalisierten Print-Medien. Die CEOs wurden vor den US-Senat zitiert. Die Janusköpfigkeit der Internet-Riesen wurde offensichtlich: Sind sie lediglich soziale Plattformen? Dann sollten sie nichts blockieren/löschen ohne richterlichen Beschluß. Oder sind sie so etwas wie Zeitungen, die über ihre Inhalte bestimmen, dann aber auch für alle (!) Inhalte verantwortlich zeichnen? Der Senat löste das Problem nicht. 

Zwei Monate später, nach dem Sturm auf das Kapitol in Washinton, wurden die Accounts von Donald Trump auf Twitter und Facebook dauerhaft gesperrt. Einer juristischen Bewertung der Kapitol-Vorgänge wurde so bereits folgenreich und öffentlichkeitswirksam vorgegriffen. Die Internet-Giganten hatten gezeigt, wer in Wahrheit das Sagen hat. Selbst einige Trump-Gegner konnten sich nicht unbefangen darüber freuen. 

Das vorliegende Buch „Prinzip Mensch. Macht, Freiheit und Demokratie im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz“ dokumentiert die Macht der „Big Tech“-Konzerne in beeindruckender Tiefe. Die umfangreichen Recherchen der beiden Autoren, Paul Nemitz und Matthias Pfeffer, erhellen das Spannungsfeld zwischen moderner Informationstechnologie, Fortschrittsoptimismus, Freiheit, demokratischer Legitimation und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. 

Das Buch stellt sich in die Tradition der Technikkritik. Schon Platon hatte solche Fragen angekratzt. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die Betrachtung der Mensch-Technik-Beziehung im Zuge der Industriellen Revolution. Hegel, Marx und später Heidegger oder Adorno befaßten sich intensiv damit. Max Weber erkannte einen spezifisch westlichen Rationalismus, der sich auch in der omnipräsenten Arbeitsteilung, Innovation und Technik des Okzidents niederschlägt. 

Oswald Spengler griff diese Gedanken auf und beschrieb die Technik als Ausdruck einer „faustischen Kultur“ des Abendlandes. Ernst Jünger prophezeite 1932 in „Der Arbeiter“ eine totale technische Mobilmachung, die den bürgerlichen Wertekanon quasi industriell zertrümmert. 

Explizit genannt werden von Nemitz/Pfeffer die Arbeiten von Heinrich Popitz und Hans Jonas. Ersterer legte mit „Der Aufbruch in die artifizielle Gesellschaft“ eine Epochengeschichte der Technik und ihrer Macht vor. Seine Übersicht endet mit der Kerntechnik. Jonas inspirierte mit seiner Arbeit „Das Prinzip Verantwortung“ nicht nur den Titel des hier vorgestellten Buches, sondern entwarf bereits ethische Standards für das „Schnittstellenproblem“ Mensch-Technik. Das Buch zeichnet nun den pandemischen Aufstieg von Gafam (Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft) nach. Vom Arpanet – einem 1969 vom US-Militär und dem MIT entwickelten Computernetzwerk – bis zum kommerzialisierten Internet, das ab den 19990ern die Digitale Revolution vom Silicon Valley aus in die Welt trug. 

Verschiedene Technologien werden hinsichtlich ihres Machtpotentials untersucht: Von „Big Data“ über „Cloud“, von „5G“-Mobilfunk bis zur Künstlichen Intelligenz und Quantencomputern mit unfaßbarer Rechenleistung. Ein alarmierender und dystopischer Befund. Trotzdem wollen die beiden Autoren keine „Maschinenstürmer“ sein. Sie liefern Regulierungsvorschläge. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, daß Nemitz als Beamter in Brüssel an der EU-Datenschutzgrundverordnung arbeitete und auch die Bundesregierung beriet. Hieraus erklärt sich möglicherweise die einzige Schwäche des Buches: nämlich der Mangel an differenzierter Kritik gegenüber staatlicher Regulierung. 

Gesinnungsalgorithmen und Zensur-Gremien

Nemitz und Pfeffer kritisieren die sogenannte „Californian Ideology“ der großen Digitalkonzerne als fortschrittsgläubig, sozialdarwinistisch, neoliberal, faschistoid und antidemokratisch (es fehlen die Prädikate „weiß“ und „männlich“). Belegen sollen dies Aussagen von Peter Thiel oder Ray Kurzweil. Thiel ist „Big Tech“-Investor und hält Freiheit und Demokratie im digitalen Zeitalter für unvereinbar. Er plädiert für Freiheit und dafür, Regierungen einer rationalen künstlichen Intelligenz zu überantworten. Kurzweil, als technischer Direktor bei Google, visioniert davon, daß Technik sich in naher Zukunft selbst verbessert, selbst erschafft und den Menschen durch Genetik und Kybernetik aus seinen biologischen Fesseln (wie der Sterblichkeit) befreit. 

Die Auseinandersetzung mit solchen Nerd-Phantasien, die auf TED-Konferenzen Aufmerksamkeit garantieren, ist berechtigt, verstellt aber den Blick darauf, daß nicht nur die digitale Entwicklung einen Januskopf hat, sondern auch der staatliche Eingriff. Die „Kalifornische Ideologie“ wollte vor allem Wissen und Informationsaustausch frei von staatlichen und politischen Zwängen ermöglichen. Genau das wurde ihr vorgeworfen: fehlende politische Positionierung und Haltung! Dem wurde nun mit Gesinnungsalgorithmen und Zensur-Gremien abgeholfen. Die Online-Öffentlichkeit folgt aktuell dem jakobinischen Prinzip einer „Herrschaft des Verdachts“ (Hegel). Sie hat sich somit gesellschaftspolitisch angepaßt. An der Macht der Internet-Konzerne hat dies freilich nichts geändert. Diese wurde weniger reguliert als vielmehr zeitgeistkonform kanalisiert. 

Paul Nemitz, Matthias Pfeffer: Prinzip Mensch. Macht, Freiheit und Demokratie im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. Dietz Verlag, Bonn 2020, broschiert, 432 Seiten, 26 Euro

Foto: Technik kontrolliert  den Menschen: Die Internet-Konzerne wurden weniger reguliert als vielmehr zeitgeistkonform kanalisiert