© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/21 / 12. März 2021

Frisch gepresst

Kultur der Unterscheidung. Als Per Leos Berliner Dissertation 2013 als Buchausgabe erschien, brach im Zeitgeist-Feuilleton orgiastischer Jubel aus. Wie eine lang vermißte Offenbarung über das wahre Wesen der „strukturell rassistischen“, daher den „Nazis“ verfallenen deutschen bürgerlichen Gesellschaft, wurde das dickleibige, von Ludwig Klages und seinem konservativ-revolutionären Umfeld ausgehende Opus zur Geistesgeschichte und „Weltanschauungskultur“ des Nationalsozialismus begrüßt. Mit einem über die „Neue Rechte“ und die AfD als „zweiter nationalistischer Sammlungspartei“ nach der NSDAP frei phantasierenden Vorwort versehen, präsentiert Leo, Enkel eines im Rasse- und Siedlungshauptamt tätigen SS-Offiziers, diesen familiär motivierten Bewältigungsklimmzug nun in preiswerter Neuauflage. Was zu begrüßen ist, weil sie detaillierter als zahllose Arbeiten ähnlichen Strickmusters über die „Weltanschauungskultur“ des akademischen „Antifa“-Milieus Auskunft gibt. Zur Aufklärung über Denken und Handeln der Altvorderen indes trägt dieses Potpourri aus Plessners angejahrter „Sonderwegthese“, Cassirers kläglichen „Mythos“-Reflexionen, Bourdieus „Strukturanalyse mythisch-ritueller Weltsichten“ und den „Denkstilen“ des unvermeidlichen Ludwik Fleck wenig Neues bei. (wm)

Per Leo: Der Wille zum Wesen. Weltanschauungskultur, charakterologisches Denken und Judenfeindschaft in Deutschland 1890–1940. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2020, broschiert, 750 Seiten, 22 Euro





Prognosen. Wie der kolumbianische Denker Nicolás Gómez Dávila einst beklagte, ist das Dilemma des Konservativen, daß man seine Warnungen vor Fehlentwicklungen gern mißachtet. Bewahrheiten diese sich später, ist das meist so offensichtlich, daß sich niemand mehr der Prognose erinnert. Rainer Zitelmann behindert mit der um ein Kapitel erweiterten Neuausgabe seines 1995 erschienenen Buches dieses Vergessen. Denn entgegen der nach dem desaströsen Scheitern des Sozialismus von Großdenkern wie Friedbert Pflüger 1994 prognostizierten „Driftung nach rechts“ sezierte Zitelmann anhand der Verhältnisse in Medien, Kultur und Wissenschaft präzise heraus, daß ein links-grüner Siegeszug unaufhaltsam sein wird. Daß eine CDU-Kanzlerin deren politische Agenda einst verwirklichen würde, so kühn aber konnte selbst Zitelmann damals nicht vorausschauen. (bä)

Rainer Zitelmann: Wohin treibt unsere Republik? Wie Deutschland links und grün wurde. Books on Demand, Norderstedt 2020, broschiert, 266 Seiten, 19,90 Euro