© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/21 / 12. März 2021

Von der Ostsee bis hinunter zum Schwarzen Meer
Die geplante Wasserstraße E 40 könnte einstige Großraumplanungen verwirklichen / Strahlengefahren durch Tschernobyl?
Dieter Menke

Vor vier Jahren unterzeichnete Präsident Andrzej Duda ein Abkommen, das Polen verpflichtet, sich an einem Jahrhundertprojekt zu beteiligen. Zusammen mit den Nachbarländern Weißrußland und der Ukraine soll umgesetzt werden, was vor 80 Jahren schon eine Vision von NS-„Großraumplanern“ war: eine 2.000 Kilometer lange schiffbare Wasserstraße zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer.

Die EU hat dazu für eine halbe Million Euro eine Machbarkeitsstudie erstellt, die zu einem negativen Urteil kam, weil die wirtschaftlich fragwürdige Wasserstraße E 40 durch Polesien führen würde, wo das größte verbliebene europäische Sumpfgebiet liegt. Einst zur Königlichen Republik Polen-Litauen gehörend und von 1920 bis 1939 als Województwo Poleskie wieder überwiegend polnisch, ist das Gebiet heute Grenzland zwischen den drei beteiligten Ländern.

Ungeachtet der Bedenken schlugen ukrainische Behörden erste Pflöcke ein, um die Zerstörung des Überschwemmungsgebiets ins Werk zu setzen. Weltkriegsteilnehmern als die berüchtigten Pripjatsümpfe bekannt, gilt das Feuchtgebiet mit seinen 200 Vogelarten und Wolf-, Bison- und Luchspopulationen heute als Paradies der Biodiversität. Mit seinen Mooren wird es als klimarelevanter Kohlenstoffspeicher angesehen. Vorigen Sommer starteten Baggerarbeiten, um das Bett des 75 Kilometer langen Pripjat um schiffbare 1,60 Meter zu vertiefen. Dafür hatte man ausgerechnet acht Standorte ausgewählt, die mitten im Tschernobyl-Sperrgebiet liegen, einem seit der Reaktorkatastrophe von 1986 hochradioaktiv verseuchten Areal.

Besonders pikant: Die Bagger rückten an, obwohl die Untersuchungen zur Strahlengefährdung noch nicht abgeschlossen waren. Sollte das coronabedingt in den „Standby-Modus“ versetzte Projekt weiter vorangetrieben werden, hätte das verheerende Auswirkungen (Gorilla, 3/20). Etwa 20 Millionen Menschen wären durch verseuchtes Trinkwasser erhöhten Strahlenrisiken ausgesetzt, da ein Damm geplant ist, um einen Teil der Sperrzone überfluten zu können. Radioaktive Sedimente würden dann aus diesem Stausee regelmäßig stromabwärts dichtbesiedeltes Terrain erreichen.

Die von der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt und mit deutschen Stiftungsgeldern unterstützte regionale Umweltbewegung „Save Polesia – Europe’s Amazon“ hofft, dieses Horrorszenario auf dem Rechtsweg und durch UN-Intervention abwenden zu können: Polesien soll zum Biosphärenreservat und schließlich zum unantastbaren Unesco-Welterbe erklärt werden.


 www.savepolesia.org