© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/21 / 19. M?z 2021

„Toleranz statt deutscher Gründlichkeit“
Hierzulande viel zu wenig beachtet, gedeiht im österreichischen Privatsender ServusTV die wohl einzige nicht-linke Polittalkshow des deutschsprachigen Fernsehens. Moderator Michael Fleischhacker lädt dazu mitunter auch Gäste ein, die bei uns tabu sind
Moritz Schwarz

Herr Fleischhacker, warum ist eine Sendung wie „Talk im Hangar 7“ hierzulande undenkbar, in Österreich aber möglich?

Michael Fleischhacker: „Undenkbar“ ist sie wohl nicht im deutschen, als vielmehr im öffentlich-rechtlichen TV. Zum einen, weil die Öffentlich-Rechtlichen (ÖR) – das gilt sowohl für ARD und ZDF, wie für den ORF – in Krisenzeiten Staatsfernsehen sind. Zum anderen, weil die meisten ihrer Journalisten einen pädagogischen Zugang zu ihrem Beruf haben und politisch eine Post-Achtundsechziger-Position einnehmen.

Darauf sind viele Journalisten sogar stolz, „Staatsfernsehen“ aber weisen sie zurück. 

Fleischhacker: In normalen Zeiten sind die ÖR zu Ausgewogenheit verpflichtet. In Krisenzeiten, ob Krieg oder Katastrophe, ist man dagegen Sprachrohr der Regierung. Das ist auch nicht zu kritisieren, da die Exekutive in so einer Lage ein zuverlässiges Massenkommunikationsmittel braucht. So war es verständlich, daß man während des ersten Lockdowns, als noch unklar war, womit wir es bei Corona genau zu tun haben, zum Staatssender wurde. Übrigens in Österreich mehr als bei Ihnen, wo wenigstens auch Virologen und nicht wie im ORF nur Politiker zu Wort kamen. Nun aber können wir Covid einschätzen, wissen etwa, daß es kein „Ebola“ ist. Nicht die Krise, aber der akute Alarmfall ist also vorbei, und jedes seriöse Medium müßte zur Ausgewogenheit zurückkehren, inklusive Distanz zur Exekutive und Diskussion konträrer Meinungen.

Und das passiert nicht? 

Fleischhacker: Nein – jedoch sind die ÖR der Pflicht zur Ausgewogenheit auch schon vor Corona nicht nachgekommen.

Tatsächlich machen aber ARD und ZDF jenseits von Corona sehr viel Regierungskritisches – wenn auch fast ausschließlich von „links“ –, so daß sich der Vorwurf des Staatsfunks nicht belegen läßt. Im Gegenteil, immer wieder, etwa in Sachen Einwanderung, Energie, Familie, Gender oder „Rassismus“, treiben sie und andere Medien die Regierung sogar vor sich her. 

Fleischhacker: Das ist von Thema zu Thema, Krise zu Krise, Sender zu Sender in der Tat unterschiedlich. Etwa ist die Stellung des ORF hierzulande weit dominanter als die von ARD und ZDF in Deutschland. Zum einen, weil bei uns das Privatfernsehen fünfzehn Jahre später als bei Ihnen eingeführt wurde. Zum anderen, weil unser Markt viel kleiner ist, auf Österreich ausgerichtete Sender es also schwerer haben, die Kosten zu decken. Auch meine ich, daß beim ORF der Impetus weniger ist, die Politik vor sich her zu treiben, als öffentlich zu demonstrieren, daß man eine politisch-moralisch einwandfreie Position vertritt.   

Sie scheuen sich nicht, auch Gäste in Ihre Sendung einzuladen, die hierzulande tabu sind, etwa den Corona-Kritiker Sucharit Bhakdi, den rechtskonservativen Verleger Götz Kubitschek oder sogar wiederholt den Identitären-Chef Martin Sellner. Müssen Sie sich da gegen Widerstände durchsetzen oder geht das problemlos vonstatten?

Fleischhacker: Natürlich haben wir die Rückendeckung der Intendanz von ServusTV, die für diese Linie einer breiten Toleranz steht. Übrigens in alle Richtungen, so hatten wir auch Attac-Vertreter, Zero-Covid-Aktivisten, radikale Globalisierungskritiker und Extremlinke zu Gast, die meinten, man müßte in den Hotels des G20-Gipfels eigentlich Putzmittel in die Wasserleitungen einbringen, damit sich die Teilnehmer verätzen. Das ist dann aber die Grenze, nämlich das Strafrecht. Ansonsten jedoch sollte alles gesagt werden können, was, bis in die Extreme hinein, eben auch Teil der Debatten ist. Jedoch, damit kein falscher Eindruck bei Ihren Lesern entsteht, es ist nicht unsere Philosophie, das ständig auszureizen. Wir laden ganz normale Gäste zu den Themen der Woche ein. Nur wenn es die Themenlage angezeigt erscheinen läßt, auch mal extreme Gäste einzuladen, weil die auch repräsentativ sind für eine Strömung in der Gesellschaft, tun wir das. Solche Gäste um des Schocks willen einzuladen, wäre schlicht kindisch. Wichtiger ist mir, daß die Menschen an einem offenen Austausch interessiert sind, und vielleicht sogar einmal während der Sendung ihre Ansicht ändern, weil sie ein Argument überzeugt. Ulrike Guérot, Gerald Hüther, Manfred Lütz, Michel Friedman, Boris Palmer: Das waren in jüngerer Zeit Gäste, mit denen das gelungen ist.     

Wenn, wie Sie sagen, eine Sendung mit solchen Gästen auch in bundesdeutschen Privatsendern laufen könnte, warum gibt es sie dort dann nicht?  

Fleischhacker: Daß etwas möglich ist, heißt nicht, daß es auch stattfindet. Und einiges gab es ja: Bei Markus Lanz kamen meinem Eindruck nach recht früh Leute zu Wort, die eine etwas abweichende Meinung zu Covid vertraten. Und auch wenn ich selbst das, was Kollegen wie Anja Reschke oder Georg Restle machen, für offensiv unintelligent halte – oder auch der ARD-Chefredakteur Rainald Becker, der sich in einem „Tagesthemen“-Kommentar zu Corona ernsthaft unter anderem auf die Meinung von Madonna und Robert De Niro berufen hat. Dennoch haben natürlich auch sie ein Recht auf ihre Meinung und darauf, sie in ihren Medien zu vertreten. Es ist wichtig, das zu akzeptieren. Denn wer will, daß die eigene Meinung als legitim anerkannt wird, muß das auch anderen zugestehen. Warum sollte ich fair behandelt werden, wenn ich nicht bereit bin, andere fair zu behandeln? 

Sind Liberalität und Pluralismus in Österreich vielleicht entwickelter, beziehungsweise ist die demokratische Debatte in der Bundesrepublik verengt?

Fleischhacker: Es heißt ja, in Österreich seien selbst die Katastrophen noch irgendwie gemütlich. Was ich damit sagen will: Ich glaube nicht, daß es eine Sendung wie meine gibt, weil es hier bei uns mehr Bewußtsein für Pluralismus oder einen subtileren Zugang zur Demokratie gäbe. Sicher kennen Sie das hiesige Motto: „Die Lage ist hoffnungslos – aber nicht ernst.“ Will sagen, der Grund ist wohl eher eine gewisse Wurstigkeit. Es handelt sich vermutlich um eine Art Kollateralnutzen der intellektuellen Schlampigkeit in Österreich.   

Sie betrachten die Existenz Ihrer Sendung als Folge mangelnder Intellektualität?

Fleischhacker: Nein. Ich glaube nur nicht, daß hinter dem, wonach Sie fragen, etwas Konsequentes steht – sondern im Gegenteil eine Mentalität, die vielleicht nicht so auf Radikalität ausgerichtet ist wie die deutsche. Denn die deutsche Gründlichkeit ist gleichzeitig ja auch eine rechthaberische Gründlichkeit, die kaum noch Luft läßt. Der Österreicher hat wohl einfach eine größere Devianz-Toleranz, und das ist durchaus positiv. 

Ist der bundesdeutsche Meinungskorridor also zu eng? 

Fleischhacker: Das ist er wohl weltweit, denken Sie nur an das universitäre Milieu der USA. Das übrigens auf Deutschland übergreift und nicht umgekehrt. Ich glaube aber auch nicht, daß die Behauptung, die Meinungsfreiheit werde bei uns eingeschränkt, einer Überprüfung standhält. Was es gibt, ist eine zu große Bereitwilligkeit, Meinungsfreiheit nicht wahrzunehmen und aus Bequemlichkeit dem Gruppendruck zu folgen. Wodurch sich die Meinungsvielfalt dann natürlich in der Tat verringert. Das ist aber nicht mit Einschränkung der Meinungsfreiheit zu verwechseln, also ihrem Beschneiden durch den Staat.

Wer sagt, die Einschränkung der Meinungsfreiheit gehe vom Staat aus? Zwar gibt es auch solche Fälle, aber vorgeworfen wird das in erster Linie den Medien und der sogenannten Zivilgesellschaft.

Fleischhacker: Es stimmt, wir haben eine Art Wildwest-Gesellschaft, in der der Mob tobt. Doch Vorsicht, denn was wir als Mob sehen, sehen andere als nötige soziale Bewegung. Ist man für deren Einschränkungen, muß man das konsequenterweise auch bei der sozialen Bewegung sein, die man gut findet und die für andere der Mob ist. Deshalb ist es wohl besser, daß der Mob aktiv sein darf, hüben wie drüben. 

Bei einer Allensbach-Umfrage gaben 2019 fast achtzig Prozent der Deutschen an, sie könnten ihre Meinung zu gewissen Themen nicht mehr frei äußern. Sie meinen also, schuld daran ist nicht das Klima im Land, sondern das feige Volk? 

Fleischhacker: Nochmal, keiner wird verfolgt, weil er seine Meinung sagt! Natürlich aber kann die Konsequenz Ächtung sein. Doch erstens: Sehr viele von denen, die darüber klagen, gehören zu jenen, die im Internet selbst andere mit Haß überziehen, nur zu gerne ächten würden und ebenso mies behandeln, wie sie selbst mies behandelt werden. Zweitens: Ich kenne einfach sehr viele Leute des liberalen und libertären Spektrums – die damit in unserer Zeit, in der der Vulgär-Sozialismus zur Staatsdoktrin geworden ist, einer kleinen Minderheit angehören –, die wahnsinnig wehleidig reagieren. Und das Selbstmitleid der Wehleidigen ist genauso schlimm wie die Selbstgerechtigkeit der Moralisten.

Selbstmitleid? Bürgern, die auf unerwünschte Weise von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch machen, drohen unter Umständen Denunzierung in der Presse, Zerstörung ihrer sozialen Existenz, Kündigung des Jobs, Verlust von Aufträgen, soziale Isolation, Mobbing am Arbeitsplatz, Rauswurf aus Verein und Ehrenamt, Hausverbot in Stammkneipen, Läden, bei Hausärzten, Ausgrenzung der Kinder in Schule und Freundeskreis – mitunter mit regelmäßiger Prügel –, Schulverweis, weinende Ehepartner wegen der sozialen Ächtung, Zerbrechen der Ehe, Zerstreiten der Familie, Sachbeschädigung, verbale oder gewalttätige Attacken durch Passanten, organisierte Antifa-Gewalt mit erheblichen Schadenssummen, Brandanschläge, Radmuttern lockern, ins Koma prügeln, lebenslange gesundheitliche Schäden sowie ermordet zu werden. Alles Genannte läßt sich belegen.   

Fleischhacker: Das ist menschlich wie gesellschaftlich natürlich völlig inakzeptabel und muß bekämpft werden. Dennoch hat das mit Demokratie, die ein Verfahren zur politischen Willensbildung ist, nichts zu tun. Es ist inakkurat und falsch, das mit ihr in Zusammenhang zu bringen. Das hat einfach mit einem Mangel an Anstand zu tun. 

Politiker, Medien und andere schüren allerdings beständig ein Klima, das all diese Auswüchse begünstigt. 

Fleischhacker: Wir leben nun einmal leider in einer Zeit, in der die immer stärker werdende Fraktion des Ökosozialismus – für die die Coronakrise übrigens nur das Vorspiel zum kommenden großen Umbau der Gesellschaft im Namen des Klimaschutzes ist – glaubt, man müsse das Verhalten der Menschen mehr und mehr mit den Mitteln des politisch-medialen Komplexes steuern. So falsch ich das finde, so sehr findet es statt. 

Finanziert wird ServusTV von Dietrich Mateschitz, Mitbegründer der Geränkemarke Red Bull. Sollte er die Lust verlieren oder einen anders gesonnenen Nachfolger haben, wäre es mit der jetzigen Linie des Senders von heute auf morgen vorbei. 

Fleischhacker: Das kann so kommen und ist der Haken privater Medien. Ihr Vorteil aber ist, daß wir völlige politische Unabhängigkeit genießen, weil es keine Parteien, Gewerkschaften, Verbände oder Verlage gibt, die wie bei anderen Medien mitmischen. Eine gewisse Lebensversicherung, denke ich, stellt auch der Erfolg dar: Daß wir als Talkshow eines vergleichweise kleinen Senders bis zu 200.000 Zuseher mit nationalen Marktanteilen bis zu acht Prozent erreichen, macht uns doch zu einem der erfolgreichsten privaten Talk-Formate im deutschsprachigen Raum.

Hat der Umstand, daß ServusTV möglich ist, eigentlich etwas mit der FPÖ zu tun? 

Fleischhacker: Inwiefern? 

Anders als die AfD hier ist diese in Österreich fast akzeptiert. Führt das dazu, daß man auch ServusTV und eine Sendung wie Ihre akzeptiert? 

Fleischhacker: Es stimmt, daß die FPÖ im Grunde etabliert ist. Mit der Existenz und dem Profil von ServusTV hat das allerdings nichts zu tun. 

Die „Süddeutsche Zeitung“ bezeichnet ServusTV als „Heimatsender des österreichischen Rechtspopulismus“. Empört Sie das? 

Fleischhacker: Oh mein Gott, was für eine lächerliche Kritik. Was bitte wäre dann die Süddeutsche – vielleicht die „Frankfurter Schule der Unterwassermaturanten“? Im Ernst, vor kurzem war die SZ-Legende Heribert Prantl als Gast in meiner Sendung, und mir scheint, es hat ihm sehr gefallen. Mir auch übrigens. Tatsächlich hat ServusTV einen Zugang zur alpenländischen Kultur, was dem Eigentümer auch ein Anliegen ist, man setzt diesen aber nach eigentlich einhelliger Meinung der Kritiker in Österreich absolut niveauvoll um, ebenso wie seine politische Positionierung rechts der Mitte. Womit der Sender dem verbreiteten einfältigen Vorurteil, rechts zu sein, sei etwas Defizitäres, effektiv entgegenwirkt. 






Michael Fleischhacker, der Journalist und Autor, der ursprünglich einmal Priester werden wollte, war unter anderem Chef vom Dienst beziehungsweise Chefredakteur der österreichischen Tageszeitungen Der Standard und Die Presse. Er veröffentlichte zudem mehrere Bücher, zuletzt  „Corona. Chronologie einer Entgleisung“ (2020). Er übernahm 2014 die Sendung „Talk im Hangar 7“ auf ServusTV, die freitags um 22.15 Uhr läuft. Hierzulande ist der Sender per Satellit (Astra), in allen Kabelnetzen, über IPTV bei Telekom Entertain, Vodafone TV und Waipu.tv zu empfangen, sowie als Livestream auf der Netzseite des Senders.

Foto: Journalist Fleischhacker moderiert „Talk im Hangar 7“: „Eines der erfolgreichsten privaten Talk-Formate im deutschsprachigen Raum ... Hier soll alles gesagt werden können – bis in die Extreme hinein – was Teil der (politischen) Debatte ist. Wichtig ist mir, daß die Gäste an offenem Austausch interessiert sind, und vielleicht sogar einmal in der Sendung ihre Ansicht ändern“

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