© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/21 / 19. März 2021

Joachim Streit. Der heimliche Wahlsieger von Mainz genießt bundesweit Aufmerksamkeit.
Der Streiter
Christian Schreiber

Die Entscheidung, daß Joachim Streit eine relevante Persönlichkeit der Politik werden wird, ist im vergangenen Sommer am heimischen Küchentisch gefallen. Da saß die Familie zusammen und schmiedete politische Pläne. Der heute 55jährige, bis jetzt für die Freien Wähler Landrat des Eifelkreises Bitburg-Prüm, schlug seiner Ehefrau Petra vor, als Direktkandidatin bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz anzutreten. Für sich selbst hielt er es für unangebracht, „als Landrat in die direkte Konkurrenzkandidatur zu gehen“. Doch Petra winkte ab. Stattdessen meldete zwar Sohn Jakob, 22, Ambitionen an, am Ende aber ließ Streit sich umstimmen und führte selbst seine Freien Wähler als Spitzenkandidat an. Mit einem alten Feuerwehrauto, seinem „Streitwagen“, sauste er im Wahlkampf durchs Land und am vergangenen Sonntag mit 5,4 Prozent zum Erfolg.  

Mit den etablierten Parteien konne der Jurist mit dem sprechenden Nachnamen noch nie etwas anfangen. Aufgewachsen im kleinen Beilingen und der Kreismetropole Bitburg, studierte er in Trier und arbeitete ein paar Jahre als Repetitor, bereitete also Studenten aufs Staatsexamen vor. In die Politik zog es ihn 1989. Mit nur 24 Jahren gelang ihm mit der von ihm gegründeten „Liste Streit“ der Einzug in den Bitburger Stadtrat. Sieben Jahre später schaffte er das Unvorstellbare, eroberte die CDU-Hochburg und wurde ihr Bürgermeister. 2009, inzwischen als Freier Wähler, folgte der nächste Coup: Diesmal luchste er der Union den Posten des Landrats ab. 

Vor Ort gilt Streit als ein „Kümmerer“, der regelmäßig alle 234 Gemeinden des Kreises abklappert. Früh entdeckte er die sozialen Medien für sich und schaffte es so zu landesweiter Bekanntheit an Rhein und Mosel. Im Wahlkampf engagierte er sich vor allem für Einzelhändler und Gastronomen, forderte „Perspektiven statt Dauerlockdown“ und startete eine Petition für ein „Entschädigungsgesetz“ zugunsten von der Pandemie betroffener Selbstständiger; so wilderte er im Revier von AfD und FDP.  

Die Familie, die bei ihm „an erste Stelle steht“, muß den dreifachen Vater und Hobbysportler künftig wohl noch häufiger entbehren, denn Streit wird nicht nur die Fraktion im Landtag anführen, er hat weitergehende Ambitionen: „Mein Ziel ist Volkspartei!“ Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, doch, so Streit: „Ich habe Zeit.“ Gelänge das, wären es schlechte Nachrichten für alle Parteien. Vor allem aber für die AfD, deren Wähler der sich als liberal-konservativ betrachtende Streit gewinnen will, während er seine Freien Wähler gleichzeitig als rechts der CDU stehend und als „Brandmauer gegen Rechts“ sieht. 

Und wenn es nicht nur momentaner Lockdown-Protest war, der ihn in den Landtag getragen hat, dann dürfte der Sieg ihres Streiters bei den Freien Wählern erneut die alte Debatte darum anheizen, künftig vielleicht auch bei Bundestagswahlen anzutreten.