© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/21 / 19. März 2021

Sanfte Ruh’, CDU
Landtagswahlen: Vor allem Christdemokraten und AfD verlieren an Stimmen / Grüne und FDP gewinnen
Ronald Berthold

Die CDU kam in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg unter die Räder. Die Wähler in beiden Ländern verspürten wenig Wechselstimmung und bestätigten die amtierenden Ministerpräsidenten; in Mainz sogar gegen den Bundestrend. Vom Debakel der Union konnte die AfD trotz ihrer Lockdown-kritischen Haltung nicht profitieren. Sie gehört bei beiden Landtagswahlen zu den großen Verlierern und büßte ihre Stellung als jeweils drittstärkste Kraft ein.

Für eine weitere Auffächerung des Parteiensystems sorgen die Freien Wähler (FW). Nach Bayern (11,6 Prozent) und Brandenburg (5 Prozent) zogen sie auch in den Mainzer Landtag ein. Theoretisch wäre eine bürgerliche Koalition aus CDU, AfD, FDP und FW möglich. Sie hätte die absolute Mehrheit der Sitze. In Stuttgart blieben die FW dagegen draußen. Mit ihrem konservativ-liberalen Kurs haben sie dort ebenfalls frühere AfD-Wähler angezogen, denen die Partei inzwischen zu radikal erscheint. Ihren Erfolg in Rheinland-Pfalz führen die FW auch auf ihre Forderung nach Öffnung von Geschäften und Gastronomie zurück.

Vor allem die widrigen Umstände im Wahlkampf machte der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen für die Verluste seiner Partei verantwortlich. Dazu zählte er die „Lockdownbedingten“ Einschränkungen, die den direkten Kontakt zu den Wählern verhindert hätten, gewaltsame Angriffe Linksextremer auf Wahlstände und die rechswidrige Ankündigung einer Beobachutng der Gesamtpartei durch den Verfassungsschutz. Trotz des juristischen Erfolgs dagegen „ist bei den Leuten da was hängengeblieben“ und habe in den beiden Bundesländern mit ihrer zutiefst  bürgerlichen Struktur geschadet, sagte Meuthen am Montag. „Und das war ja wohl auch die Absicht.“ 

Der baden-württembergische AfD-Spitzenkandidat Bernd Gögel sprach von einem „fatalen Ergebnis“. Er erwarte vom Landesvorstand eine umfassende Aufarbeitung der Gründe für die Wählerwanderung, die in seinem Bundesland vor allem zu den Nichtwählern, mehr aber noch in Richtung CDU und FDP zusammen zogen. Sein rheinland-pfälzischer Kollege Michael Frisch wies den Vorwurf zurück, man habe einen zu wenig „scharfen“ Wahlkampf betrieben. Diese Behauptung werde schon durch den Erfolg der Freien Wähler widerlegt. Im Gegenteil hätte man wahrscheinlich zwei Prozent mehr bekommen, wenn es nicht aus anderen Landesverbänden manche Irritationen gegeben hätte, ist der Mainzer Fraktionsvorsitzende überzeugt.

Für das frühere Mitglied des Stuttgarter Landtags und derzeitigen Europa-Abgeodneten Lars Patrick Berg resultiert dieses „enttäuschende Ergebnis nicht nur auf der Verbreitung der Nachricht, daß die Partei unter Beobachtung gestellt werden würde“. Vielmehr war, so sagte er der JUNGEN FREIHEIT, „für einige meiner Kollegen mit großen Egos Effekthascherei wichtiger als Substanz“. Dies habe der Wähler jetzt abgestraft, ist der AfD-Politiker überzeugt. 

Rechnerisch können beide Landesregierungen weiterregieren. In Rheinland-Pfalz läuft alles auf eine Fortsetzung der SPD-Grüne-FDP-Koalition unter Führung von Ministerpräsidentin Marie-Luise („Malu“) Dreyer (SPD) hinaus. Daß es diese „Ampel“ auch in Baden-Württemberg geben wird, gilt als nicht unwahrscheinlich. Auf ein erneutes Bündnis mit der gebeutelten CDU will sich der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann nicht festlegen. Er könnte, wie schon 2016, auch mit SPD und FDP regieren.

Die Sozialdemokraten haben in beiden Ländern verloren und erzielten in Baden-Württemberg ihr schlechtestes Ergebnis nach dem Krieg. In Rheinland-Pfalz fielen sie auf den geringsten Stand seit 62 Jahren zurück. Im Gegensatz dazu steht das Auftreten der Funktionäre auf Bundesebene. Spitzenkandidat Olaf Scholz gab sich selbstbewußt und behauptete, er könne nun Bundeskanzler werden. Und SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sieht seine Partei auf der Siegerstraße, sprach von einem „hervorragenden Ergebnis“ und will Bündnisse „ohne Konservative“ schmieden.

Möglich wäre dies, wenn sich der Höhenflug der Grünen fortsetzt. Die Partei fuhr in Baden-Württemberg ein Ergebnis ein, das noch über dem Rekord von vor fünf Jahren liegt. In Rheinland-Pfalz blieb die Partei zwar einstellig, legte aber dennoch stark zu. Sie ist die einzige in beiden Landtagen vertretene Partei, die ihre Stimmenanteile jeweils erhöhte. 

Die FDP kann trotz ihres zweistelligen Ergebnisses in ihrem Stammland Baden-Württemberg nicht zufrieden sein. Für mehr als Platz vier reichte es nicht. In Rheinland-Pfalz fiel sie sogar auf den fünften Rang zurück und schaffte nur knapp den Wiedereinzug. Bei der Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung mit der Corona-Politik der CDU hatte sich die Partei mehr erhofft.

FDP-Chef Christian Lindner rief CDU und CSU zu einer schnellen Corona-Kurskorrektur auf: Die Wahlergebnisse seien „auch ein Votum über die Krisenpolitik der unionsgeführten Bundesregierung“. Daraus müßten „umgehend Konsequenzen gezogen werden“. Er forderte, die Freiheitsrechte „weniger stark“ einzuschränken.

„Von der Regierung emanzipieren“

Tatsächlich scheint in der Union ein leichtes Umdenken einzusetzen, das zunächst von notdürftigen Erklärungen übertüncht wurde. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sieht die Ursache für die jeweils schlechtesten Ergebnisse der Parteigeschichte in der „Popularität der Ministerpräsidenten“. Daß dies im Gegenzug bedeutet, kein adäquates Personalangebot machen zu können, sagte er nicht.

Dabei ist die Auszehrung der CDU nach den Merkel-Jahren offensichtlich. Das macht das aktuelle Krisenmanagement deutlich: Weder Kanzleramtsminister Helge Braun noch Wirtschaftsminister Peter Altmaier oder Gesundheitsminister Jens Spahn sind ihren Aufgaben gewachsen. Das gilt auch für Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner und Bildungsministerin Anja Karliczek. Ebenso überfordert ist die baden-württembergische CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann. Die Kultusministerin sprach davon, „die Verantwortung zu übernehmen“. Bitter für sie persönlich: Ebenso wie der Landesvorsitzende und amtierende Innenminister Thomas Strobl verpaßte auch Eisenmann den Einzug ins Stuttgarter Landesparlament. Am Dienstag dann teilte die Kultusministerin mit, sie wolle die Politik an den Nagel hängen und sich beruflich neu orientieren. 

Wahrnehmbar in der Union ist eine leichte Absetzbewegung von der Pandemiepolitik – selbst in Bayern, von Corona-Hardliner Markus Söder regiert. Der Ministerpräsident schwenkte um, freilich ohne Selbstkritik zu üben: „Entscheidend ist insbesondere die Skepsis gegenüber dem Corona-Krisenmanagement gewesen.“ Die sieht er nur beim Bund.

Deutlicher wurde Carsten Linnemann. „Die CDU muß jetzt endlich beweisen, daß sie Corona-Management kann“, forderte der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion. Der Fraktionsvize sieht auch ein tieferliegendes Problem: „Wir haben von den letzten 22 Landtagswahlen 21 verloren.“ Das sei „katastrophal“. Seine Partei müsse sich von der Regierung „emanzipieren“.

Viel Zeit bleibt nicht. Am 6. Juni folgt die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Dreieinhalb Monate später finden gleichzeitig mit der Bundestagswahl die Urnengänge in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen statt.

(Grafiken siehe PDF)