© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/21 / 19. März 2021

Grüße aus Bern
Keine Verschleierten
Frank Liebermann

Mittlerweile sind zwei Wochen seit der letzten Volksabstimmung vergangen. Gefühlt die ganze Welt regt sich über die Schweiz auf, weil sich das Volk erdreistet hat, für ein Vermummungsverbot zu stimmen. Das stolze Bergvolk ist nun ein Schurkenstaat wie Frankreich, Belgien oder Österreich. Nicht einmal das Interview von Meghan und Harry konnte davon ablenken. Künftig ist es verboten, daß sich Hooligans mit Schals und Mützen tarnen und Frauen sich unter Burkas verstecken. 

Bei meinem sonntäglichen Spaziergang sehe ich die letzten Ãœberbleibsel aus dem Abstimmungskampf hängen. Einzelne Plakate kleben noch an den Wänden, sie werden demnächst sicher mit Werbung für Schokolade oder Unterwäsche überklebt. Die verschleierte Frau auf dem Poster hat einen bösen Blick. Mit blauen Augen und hochgezogenen Brauen starrt sie mich an, der Rest vom Kopf ist von einer schwarzen Burka verdeckt. Sie hat eine große Ähnlichkeit mit den Superschurkinnen aus Comics. Auf dem Weg durch einen kleinen Park sehe ich etliche Trunkenbolde. Corona hat ihre Zahl deutlich anschwellen lassen. Kein Wunder, schließlich sind die sonst frequentierten Lokalitäten in diesem Viertel auf bundesrätliche Weisung hin geschlossen 

Vielleicht wäre eine Zwangsverschleierung für manche Menschen gar nicht so schlecht.

Die überdrehten Männer haben es sich mit zwei Paletten Bierdosen, Joints und einem Boulespiel gemütlich gemacht. Jeder gelungene Wurf wird von einem aufheulenden Gegröle begleitet. Einige spielen mit freien Oberkörpern. Manchen ist ihr ungesunder Lebenswandel anzusehen. Dünne Ärmchen, dicke Bäuche und rote Säufernasen sind häufig vertreten. Vielleicht wäre eine Zwangsverschleierung für manche Menschen gar nicht so schlecht. Nur so wegen der Ästhetik. Ich nehme auf einer Parkbank Platz. Kurz darauf setzt sich ein ehemaliger Nachbar neben mich. 

In Ruhe Zeitung lesen ist nicht mehr möglich, nun muß ich mich unterhalten. Ein wenig Anonymität wäre schön. Bern ist ein großes Dorf. Sich zu verstecken ist unmöglich. Zu Hause werfe ich einen Blick in das Internet. Etliche kreative Denker meinen, sie müßten Bilder von maskierten Menschen auf Fasnachtsumzügen teilen oder von Personen, die Schutzmasken tragen, um den vermeintlichen Unsinn des Verbots aufzuzeigen. Hat die Abstimmung gewirkt? In den wenigen Momenten an der frischen Luft sah ich keine Verschleierten. Wie in den Jahren zuvor.