© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/21 / 19. März 2021

Das Versagen der deutschen Dilettanten
Finanzmarkt: Nach Wirecard nun Greensill / Welche Verantwortung tragen Politiker sowie die privaten und staatlichen Prüfer?
Martin Krüger

Eine Unglaublichkeit reiht sich an die andere – einerseits bei Wirecard, Greensill und den privaten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, anderseits bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), der Abschlußprüferaufsichtsstelle Apas und den zuständigen Ministerien. Daher kann bei dem Doku-Drama „Der große Fake – Die Wirecard-Story“ mit Christoph Maria Herbst als Konzernchef Markus Braun und Franz Hartwig als untergetauchter Finanzjongleur Jan Maršálek, das ab 31. März im RTL-Ableger TV Now gezeigt werden soll, noch nicht jede Absurdität gezeigt werden.

Für die ebenso interessante Greensill-Bank-Pleite (JF 11/21) gibt es noch nicht mal ein Drehbuch. Und die Abschlußprüfer des Bremer Geldeinsammlers für dessen britisch-australische Muttergesellschaft sind ausnahmsweise mal keine „Big Four“, sondern das angesehene Stuttgarter Haus Ebner Stolz, das wohl auch keine Unregelmäßigkeiten gesehen und beanstandet hat. Mit 1.700 Mitarbeitern an 14 Standorten ist es immerhin die Nummer 7 der Branche.

Jetzt beginnt auch hier wieder das Spiel „Jeder gegen jeden“. Die Apas wurde eingeschaltet. Und zwar von der BaFin, die selbst mit dem Rücken zur Wand steht. Diesmal haben die selbst nicht immer hellwachen BaFin-Sonderprüfer anscheinend festgestellt, daß Bankforderungen möglicherweise nicht existieren. Auch Bilanzmanipulationen stehen im Raum. Offenbar hat man die Risikodiversifizierung geschönt dargestellt.

Außerdem stehen „future receivables“ in Frage. Das sind Geldforderungen, die erst in der Zukunft entstehen, aber bereits vorher verkauft werden dürfen. Die Aufsicht sieht das bei regelmäßigen Zahlungen als vertretbar an. Dazu zählen Mobilfunkverträge. Greensill könnte aber auch Geschäfte des britisch-indischen Stahlmagnaten Sanjeev Gupta so behandelt haben. Es heißt, leider seien diese Geschäfte nicht konkret besprochen gewesen. Wie bei Wirecard scheint ein Kartenhaus zusammenzubrechen. Das bewährte Prinzip des Forderungsverkaufes hat der 43jährige Australier Lex Greensill aber wohl auch in Form des „Reverse Factoring“ gespielt. Dabei vereinbart der Dienstleister mit einem Unternehmen, daß er die Rechnungen von dessen Lieferanten vorstreckt. Die Firma profitiert, denn sie kann längere Zahlungsfristen aushandeln und sich so Liquidität verschaffen – andererseits ist es auch eine Gelegenheit, um Verbindlichkeiten zu vernebeln.

27 Kommunen und das Land Thüringen betroffen?

Sicher scheint, daß Greensill Capital Forderungen nicht mit eigenem Geld angekauft hat, sondern diese in Fondspapieren gebündelt hat und an große Anleger weiterverkaufte. Wenn darin dann aber nur Schrott verbucht wird, heißt das im Fachjargon toxisch. Subprime-Krise 2007 und Lehman Brothers 2008 lassen grüßen. Wie Wirecard akquirierte Greensill große Namen wie Vodafone und Airbus. Sogar der britische Ex-Premier David Cameron fungierte als Berater. 2017 wurde Lex Greensill von Prinz Charles zum Ritter geschlagen. Und der japanische Softbank-Konzern hat sich indirekt bei Greensill und Wirecard die Finger verbrannt.

Lunte gerochen haben die juristischen Vertreter von Investoren, denen möglicherweise Schaden entstanden ist. Dazu zählen bei Greensill wohl auch 27 deutsche Kommunen und der rot-rot-grüne Freistaat Thüringen, die ihr anvertrautes Bürgergeld in dreistelliger Millionenhöhe dort parkten und denen keine Einlagensicherung aus der Patsche helfen darf. Zwischen öffentlicher Hand und Greensill-Bank waren dabei Finanzmakler eingeschaltet worden. Die Stadt Monheim sieht ihre Vorteile dabei in der „Aufwandsreduzierung, da nicht zu allen Banken dauerhafte Kontaktaufnahme notwendig ist, der Vorsondierung des Marktes und dem Zuschnitt der Angebote auf die eigenen Bedürfnisse“.

Anscheinend hat die delegierte Vorsondierung nicht ausgereicht, um die Kommunen tatsächlich vor Sorgen zuschützen. Gegen den Bürgermeister der Stadt Monheim, Daniel Zimmermann, ist zwischenzeitlich Strafanzeige gestellt worden. „Für die Entscheidungsträger in den Kommunen kann eine solche Anlageentscheidung zu einem persönlichen Problem werden“, sagt Christian Winterhoff, Partner bei Graf von Westphalen, dem Handelsblatt. Die Gemeindeordnungen würden ausreichende Sicherheiten verlangen.

Ist das nicht der Fall, wurden womöglich Dienstpflichten verletzt. Und wer grob fahrlässig gehandelt hat, kann in Regreß genommen werden. Der Jurist vertritt die Stadt Bonn in einem Verfahren gegen die frühere SPD-Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann. Das Verwaltungsgericht Köln hatte das Stadtoberhaupt und einen anderen Vertreter der Stadt wegen des Fiaskos rund um das Kongreßzentrum WCCB im September 2020 zu einer Schadensersatzzahlung von je einer Million Euro verurteilt. Die Berufung läuft allerdings.

Nach dem Willen der Anwälte der Greensill- und Wirecard-Geschädigten sollen jetzt die Abschlußprüfer und die BaFin geradestehen müssen. Und letztere versucht das an die CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier unterstehende Apas weiterzureichen, denn Osnabrücks Kämmerer Thomas Fillep (SPD) wirft der BaFin vor, ihre Prüfpflicht verletzt zu haben. Die Finanzaufsicht kontert gewohnt routiniert: Schon 2020 habe man „entschlossen und tatkräftig gehandelt“.

Brenzlig bleibt es aber auch für Ebner Stolz, wenn man sich Ernst & Young (EY, JF 10/21) anschaut. Dort wurde der Deutschlandchef weggelobt, die Ex-Minister Theo Waigel (CSU, 81) und Brigitte Zypries (SPD, 67) sollen die Reputation wiederherstellen. Und über allem thronen die SPD-Finanzminister Olaf Scholz für die BaFin und Peter Altmaier für die Apas. Beide sowie Finanzstaatssekretär Jörg Kukies (SPD) dürfen bald mit Angela Merkel dem Wirecard-Untersuchungsausschuß ihre Gedächtnisleistungen vorstellen.

 www.greensill-bank.com

 www.ebnerstolz.com

 Medien Seite 17