© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/21 / 19. März 2021

Durch Online-Angebote nicht zu ersetzen
Der Preisbindung sei Dank: Der deutsche Buchhandel trotzt der Corona-Pandemie und Amazon
Dirk Glaser

Am 8. MĂ€rz, eine Woche nach den Friseuren, wurden Deutschlands BuchhĂ€ndler aus dem zweiten „Lockdown“ entlassen, weil die Berliner Verwalter des Ausnahmezustands das Buch plötzlich zu den Waren des tĂ€glichen Bedarfs zĂ€hlen. Aus Sicht des Börsenvereins des deutschen Buchhandels dĂŒrfte dies aber keine Rettung in dramatisch letzter Minute gewesen sein. Denn seine dĂŒsteren, wĂ€hrend der ersten großen Schließung im FrĂŒhjahr 2020 abgegebenen Prognosen erfĂŒllten sich zur eigenen Überraschung nicht. WĂ€re nicht das WeihnachtsgeschĂ€ft durch die zweite Stillegung weggebrochen, hĂ€tte sich sogar ein leichtes Umsatzplus erwirtschaften lassen.

So lag das alle Vertriebswege von der Bahnhofsbuchhandlung bis zu Amazon erfassende Gesamtergebnis bei moderaten minus 2,3 Prozent im Vergleich zu 2019. Nur der von Corona besonders gebeutelte stationĂ€re Buchhandel schloß mit einem krĂ€ftigeren Minus von 8,7 Prozent ab, das jedoch weniger auf das Konto der knapp 4.000 Einzelbuchhandlungen als auf das von Filialisten wie Thalia und Hugendubel geht, die UmsatzrĂŒckgĂ€nge im zweistelligen Bereich meldeten.

Schneller und preiswerter Service fĂŒr die Kunden

Recherchen des Journalisten Ulrich RĂŒdenauer zufolge (Frankfurter Rundschau vom 1. MĂ€rz 2021), hat das Gros unabhĂ€ngiger Buchhandlungen die Krise bis Ende 2020 nicht nur mit allenfalls leichten Blessuren ĂŒberstanden, sondern sie sogar „als Chance genutzt“, um Terrain zurĂŒckzuerobern, das an den scheinbar ĂŒbermĂ€chtigen Internet-Konkurrenten Amazon verlorengegangen war. Selbst in KleinstĂ€dten sei ein „lokales Amazon“ entstanden, zu dem sich BuchhĂ€ndler mit Kollegen aus anderen Branchen zusammentaten, um einen Bestell- und Lieferservice zu organisieren, der schneller und preiswerter funktionierte als der des milliardenschweren Mitbewerbers.

Dabei sei zudem nichts ĂŒber Bord geworfen worden, was man „schon immer besser konnte“ als der US-Gigant: individuelle Beratung, persönliche AtmosphĂ€re, vielfĂ€ltige Auswahl. Zudem habe man erfolgreich an die SolidaritĂ€t der Kunden mit „ihrer“ Buchhandlung appelliert, wobei auch moralische ErwĂ€gungen eine Rolle spielten: Anders als Amazon zahle man nĂ€mlich Steuern, faire Löhne und bilde, da Buchhandlungen mehr als nur triste Orte des Konsums seien, in „normalen Zeiten“ eine kulturelle SĂ€ule des StadtgefĂŒges.

Ole Kracht, Redakteur des linken Greifswalder Kulturmagazins Katapult, fĂŒhrte diese relative Standfestigkeit, die die Branche wĂ€hrend der Pandemie beweist, im wesentlichen auf die Buchpreisbindung zurĂŒck (Ausgabe 20/2021). In Deutschland gilt seit 2002 fĂŒr das Kulturgut Buch ein Buchpreisbindungsgesetz, dessen UrsprĂŒnge in Form von festen, vom Börsenverein ĂŒberwachten Preisen im 19. Jahrhundert liegen. Daher sind Buchpreise hierzulande stabiler, so daß sich Amazon deutlich weniger Marktanteile sichern konnte als in Staaten wie Großbritannien, Schweden oder Polen, die auf die gesetzliche Fixierung der Buchpreise verzichten. In der Schweiz wurde sie gerade aufgehoben, weil sie gegen das Kartellrecht verstieß. Welche soziokulturellen Verwerfungen dieses höchstrichterliche Urteil den Eidgenossen bescheren dĂŒrfte, ist fĂŒr Kracht an der Entwicklung im Vereinigten Königreich abzulesen. Ausgerechnet dort bildete die gerichtlich geduldete brancheninterne Festpreisregelung des „Net Book Agreement“ eine Insel im Meer des Marktliberalismus, die jedoch 1997 mit der gesetzlichen Abschaffung der Buchpreisbindung verschwand.

Preisbindung fördert hochwertige BĂŒcher

ErwartungsgemĂ€ĂŸ halbierte sich die Zahl der unabhĂ€ngigen Buchhandlungen, die den sofort ausgebrochenen Rabattschlachten auf dem „freien Markt“ zum Opfer fielen: von 1.894 (1995) auf 890 (2019). Zwar setzte in Deutschland in den 1990ern gleichfalls ein Sterben von Einzelbuchhandlungen ein, deren Bestand von 7.600 (2000) auf 4.500 (2018) schrumpfte. Doch die Umsatzverteilung offenbart fĂŒr Kracht zwei verschiedene Welten. In Großbritannien entfĂ€llt auf den Internethandel die HĂ€lfte des Kuchens, in der Bundesrepublik sind es nur 20 Prozent, wĂ€hrend der stationĂ€re Buchhandel einen Anteil von rund 50 Prozent behauptete und wichtigster Vertriebsweg blieb. Was fĂŒr Verlage von erheblicher Relevanz ist. Denn mehr Buchhandel bedeutet mehr BuchkĂ€ufe.

Wie ein fĂŒr den Börsenverein erstelltes Gutachten des Gießener Volkswirtschaftlers Georg Götz von 2019 belegt, werden in Orten mit stationĂ€rem Buchhandel durchschnittlich 2,84 BĂŒcher pro Person und Jahr mehr als in Orten ohne BuchhĂ€ndler verkauft. Und 60 Prozent dieser MehrkĂ€ufe erwerben die Kunden nicht als Geschenk, sondern zum Selbstlesen. BuchlĂ€den bedienen demnach nicht eine modische, auf den Massengeschmack spekulierende Nachfrage, sondern stimulieren individuelle Leseneigungen, was, wie Innsbrucker Ökonomen 2019 in einer Studie ĂŒber das Buch als Kulturgut resĂŒmieren, „nicht durch Online-Angebote zu ersetzen ist“.

QuantitĂ€t schlage zwangslĂ€ufig in QualitĂ€t um. Fehlt die Preisbindung, dies zeigen britische Verkaufsstatistiken, verengt sich der Absatz auf die Massenware der „Bestseller“. Dadurch verteuern sich etwa in geringeren Auflagen gedruckte SachbĂŒcher, die noch unattraktiver wĂŒrden, sobald Rabatte kurzlebige Bestseller weiter verbilligen. Die deutsche Preisbindung fördere also den Absatz hochwertiger BĂŒcher. Und allein ihr sei es zu danken, daß in Deutschland der zweitgrĂ¶ĂŸte Buchmarkt der Welt mit der grĂ¶ĂŸten Zahl an Buchhandlungen pro Kopf besteht. 


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