© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/21 / 19. März 2021

In den Gleisen der Bodenreform
Landkonzentration und Großbetrieb als Ziele bundesdeutscher Agrarpolitik / Brüsseler Subventionsstrategien
Dieter Menke

Vor 75 Jahren hieß die KPD-Parole in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ): „Junkerland in Bauernhand!“ Mit Hilfe der Besatzungsmacht wurden alle Güter und Höfe ab 100 Hektar – über ein Drittel der SBZ-Agrarfläche – entschädigungslos enteignet. Eigentümer, die nicht rechtzeitig fliehen konnten, verschwanden im Lagersystem der Geheimpolizei NKWD (JF 36/20). 2,2 Millionen Hektar wurden danach an 560.000 Kleinbauern oder Vertriebene verteilt.

Die restlichen 1,1 Millionen Hektar gingen in Staatsbesitz (Volkseigenes Gut/VEG) über, denn die Kommunisten wußten, daß ihre Parole „Der Bauer sichert die Ernährung der Städter“ nur zeitgeistige Propaganda war. Agrarindustrie war ihr Ziel, das ab 1952 durch die Zwangskollektivierung zu Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) brachial umgesetzt wurde – durch Funktionäre der SED und der Demokratischen Bauernpartei (DBD).

Pikante Allianz mit dem Industrieverband BDI

1990 sollte es wieder in die andere Richtung gehen – aber das war nur Theorie: „In der EU erlebt man derzeit in puncto Landkauf und Landkonzentration sozusagen eine neue Form des preußischen Junkertums der Vorkriegszeit.“ Aus Historikersicht, der die Krisen der ostelbischen Gutswirtschaft kennt, ist ein solcher Vergleich Humbug. Doch soweit es um Konzentrationsprozesse in der Agrarwirtschaft geht, trifft die in 120.000 Exemplaren verbreitete Flugschrift (Ausgabe Winter 2020/21) der „Aktion 3. Welt Saar“ voll ins Schwarze.

Der linke Verein, der sich gegen „moralinsaure Ökos“ und „grüne Wachstumsfetischisten“ abgrenzt, ist mit seiner Globalisierungskritik nicht allein. Auch Jörg Gerke, der seit 1995 nahe Rostock einen bäuerlichen Familienbetrieb leitet, sieht in der CDU einen Hauptverantwortlichen für die Agrarlandkonzentration in der Ex-DDR (Tumult, 1/21). Für den Agrarwissenschaftler waren es „ostdeutsche CDU-Kader“ sowie das Führungspersonal der in die CDU aufgenommenen DBD, die auf Konservierung der SBZ-„Bodenreform“drängten.

Mit neuem CDU-Parteibuch in der Tasche, bestimmten Agrarminister wie Volker Sklenar (Thüringen) und Petra Wernicke (Sachsen-Anhalt) die Bodenpolitik zwischen Rügen und Erzgebirge. In einer pikanten Allianz mit dem Industrieverband BDI, der im Juni 1990 die Bundesregierung aufgefordert hatte, auf Restitutionen in der damaligen DDR zu verzichten, gelang es den Funktionären, eine breite Eigentumsstreuung auf dem Land zu verhindern. Die Behauptung, Moskau habe das Rückgabeverbot zur Bedingung für die Wiedervereinigung gemacht, sei eine Zwecklüge.

Als dann die Großeigentümer (Bund, Länder und Kirchen), die über 50 bis 90 Prozent der Agrarflächen verfügten, mit ihrem Verpachtungsgeschäft begannen, kamen die 1992 erlassenen Richtlinien der Treuhand bzw. der Bodenverwertungs- und Verwaltungsgesellschaft (BVVG), die eigentlich bäuerliche Wiedereinrichter privilegierten, kaum zur Anwendung. Denn die Landwirtschaftsämter seien überwiegend mit Ex-DBD-Leuten besetzt gewesen.

Diese verpachteten die Flächen fast ausschließlich an LPG-Nachfolger oder an „Betriebsneugründungen von SED- und DBD-Genossen“. Die „Bodenkommissionen“ erinnerten so schon vom Namen her fatal an die grausame Nachkriegszeit. Auch die Verpachtung der Landes- und Kommunalflächen wurde nach demselben Muster entschieden. Ebenso orientierten sich die evangelische Kirche in Mecklenburg-Vorpommern, die immerhin 20.000 Hektar Agrarland besaß, und die Kirchen Mitteldeutschlands an dieser Praxis.

Nach Abschluß der Um- und Neuverteilung, zum Stichtag am 1. Januar 2010, waren fast 80 Prozent der Flächen an Großbetriebe von über 500 Hektar verpachtet. Betriebe unter 100 Hektar bewirtschafteten nur zwei Prozent der Flächen. Für eine weitere eklatante Benachteiligung der Alteigentümer sorgten die Modalitäten des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes (EALG) von 1994. Danach durften, nach dem Prinzip „Wer hat, dem wird gegeben“, fast ausschließlich Pächter weitere Pachtflächen aus dem BVVG-Besitz erwerben.

Milliardenschwere Anleger dominieren das Geschäft

Die zwischen 1945 und 1947 enteigneten Familien, für die das EALG ursprünglich geschaffen worden war, gingen quasi leer aus, da bis 2011 gut 630.000 Hektar Land an die gern als „rote Barone“ bezeichneten Pächter, aber lediglich 20.000 Hektar an Alteigentümer fielen. Die CDU, die sich als Sachwalterin des „Mittelstandes“ aufführt, habe also reibungslos kooperiert, um eine „Latifundienwirtschaft“ zu formen, für die es selbst in preußischer Zeit keine historischen Vorbilder gibt. Der größte BVVG-Flächenblock wurde an diese Agrarindustrie vergeben, als die „nachhaltigen Öko-Landbau“ fordernde Grünen-Politikerin Renate Künast Bundesagrarministerin war. Woraus Gerke den Schluß zieht: „Offenbar halten CDU, SPD, Grüne und Linke eine mittelständische, bäuerliche Landwirtschaft für irrelevant und entbehrlich.“

Heute kulminiere die Landkonzentration dort, wo sich 1990 die Löwenanteile der Agrarflächen in öffentlicher Hand befanden: in Vorpommern, Brandenburg, Teilen von Mecklenburg und Sachsen-Anhalt. Es sei mithin staatliche Bodenpolitik gewesen, die den Großgrundbesitz gefördert und in einem Ausmaß geschaffen habe, der die Landkonzentration bei „ostelbischen Junkern“ heute um den Faktor fünf bis zehn übersteige. Ab 2007 entdeckten zudem kapitalstarke Investoren die LPG-Nachfolger als sichere Anlageobjekte, so daß sich die Agrarstrukturen nochmals veränderten. An die Stelle von Betrieben mit 3.000 bis 6.000 Hektar traten nun solche mit 10.000 bis 30.000 Hektar. Milliardenschwere Anleger wie die Münchner Rückversicherung dominieren das Geschäft und genossen staatlich gewährte Wettbewerbsvorteile gegenüber den Familienbetrieben. Bund und Länder ignorieren die Probleme dieser Mega-Transaktionen beharrlich. „So erscheint die Förderung von Landkonzentration geradezu als strategisches Ziel bundesdeutscher Agrarpolitik, getragen von allen Parteien.“

Deutschland liege daher im Trend der Brüsseler Subventionsstrategie, die Großbetriebe fördere. Es sei aber eine zählebige Mär, Großagrarier arbeiteten effizienter als mittelständische Bauern. Das zeigten auch Forschungen des Greifswalder Geographen Helmut Klüter. Mittelgroße Betriebe in NRW, wo noch breite Eigentumsstreuung vorherrsche, erwirtschaften 250 Prozent höhere Gewinne als die noch in der ökologischen Kreidezeit steckenden Agrardinosaurier des Ostens: Großbetriebslandwirtschaft sei „durch niedrige Flächenproduktivität gekennzeichnet“.

Angesichts der Tatsache, daß die EU von Zukäufen aus Amerika und Afrika abhängig sei, wo internationale Agrarinvestoren in „Absprache mit korrupten Regimes Flächen bewirtschaften, die einheimischen Bauern entzogen werden“, stellt sich für Gerke die Frage, wie lange sich Brüsel noch eine energie- und roh­stoffintensive Großbetriebslandwirtschaft leisten könne, die zur Erfüllung ihres Ernährungsauftrags auf exzessive Eiweißimporte (zum Beispiel Soja) angewiesen sei.

 ostdeutsche-bodenpolitik.de

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