© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/21 / 18. Juni 2021

Rußland einbinden
Bismarck und der „Dreikaiservertrag“ vom 18. Juni 1881
Erik Lommatzsch

Nach dem Berliner Kongreß, zu welchem Bismarck im Sommer 1878 die Vertreter der großen europäischen Mächte sowie des Osmanischen Reiches geladen hatte, war die Stimmung zwischen Deutschland und Rußland alles andere als gut. Grund der Zusammenkunft war die Beilegung der Orientkrise, die infolge der Kriegsniederlage der Türken gegen das Zarenreich und des russischen Diktatfriedens von San Stefano noch einmal verschärft worden war. Bismarck befürchtete bewaffnete Auseinandersetzungen der anderen Mächte bezüglich der in Frage stehenden Balkan- und Mittelmeerregionen, zu Lasten des europäischen Gleichgewichts und damit auch der deutschen Position. Da der Reichskanzler selbst keine territorialen Interessen verfolgte, konnte er auf dem Kongreß als „ehrlicher Makler“ auftreten. 

Als problematisch sollte sich erweisen, daß sich Rußland durch die Regelungen am Ende um den Großteil seiner Kriegsgewinne betrogen sah und vom Reich abrückte. Verschärft wurde das Ganze 1879 durch die deutsche Schutzzollpolitik, die für russische Agrarexporte äußerst nachteilig war. Die Lage war schließlich so angespannt, daß Zar Alexander II. an Kaiser Wilhelm I. ein Schreiben übersandte, das eine Reihe von Vorwürfen enthielt und ob seiner Diktion als „Ohrfeigenbrief“ gilt.

Die Situation war für Bismarck nicht sonderlich zufriedenstellend. Deutschland betrachtete er nach den Einigungskriegen und der Begründung des Kaiserreichs 1871 als saturiert, sah das Erreichte aber immer durch die anderen Mächte gefährdet. Entsprechend war er bestrebt, Bündnisse zu schließen, zugleich aber Abhängigkeiten zu vermeiden, ebenso wie übermächtige Zusammenschlüsse von Gegnern. Im sogenannten Kissinger Diktat vom Juni 1877 bestätigte er, von einem cauchemar des coalitions geplagt zu sein und resümierte, ihm schwebe nicht das Bild „irgendeines Ländererwerbs“ vor, „sondern das einer politischen Gesamtsituation, in welcher alle Mächte außer Frankreich unser bedürfen, und von Koalitionen gegen uns durch ihre Beziehungen zueinander nach Möglichkeit abgehalten werden“.

Die von Bismarck geschaffenen Bündnisse waren von ihm grundsätzlich mit dem Ziel des Friedenserhalts und nicht der Kriegstauglichkeit geschaffen worden. Dies erklärt, daß in einigen Verträgen deutscherseits einseitige Zugeständnisse für den Fall bewaffneter Auseinandersetzungen gemacht wurden, in der Annahme, daß es dazu nicht kommen würde. Einige Bündnisse waren bewußt öffentlich geschlossen worden, einige blieben geheim und standen im Widerspruch zu anderen Vereinbarungen, was aber eben nur im Falle eines Kriegs für den Reichskanzler problematisch geworden wäre.

Für Bismarck galt es, das mit dem Berliner Kongreß und sich anschließenden politischen Entscheidungen verprellte Rußland wieder „einzufangen“. Eine Vereinbarung hatte es einige Jahre zuvor schon einmal gegeben. Die europäischen Kaiser – Wilhelm I., Franz Joseph I. und Zar Alexander II. – waren 1872 zusammengetroffen. Dies führte im Folgejahr 1873 zum Dreikaiserabkommen. Der Gedanke an die Heilige Allianz von 1815 stand Pate, konkrete Vereinbarungen enthielt das Abkommen zwischen dem Deutschen Reich, Österreich-Ungarn und Rußland jedoch nicht. Man einigte sich etwa darauf, „den gegenwärtig in Europa herrschenden Friedenszustand zu befestigen“. Über die Orientkrise, die massiven gegensätzlichen Interessen auf dem Balkan zwischen dem Habsburgerreich und dem Zaren, war das Dreikaiserabkommen dann jedoch obsolet geworden. 

1879 festigte Bismarck zunächst wieder das Verhältnis zu Österreich-Ungarn, indem er mit dem scheidenden Außenminister Gyula Andrássy den Zweibund zum Abschluß brachte, eine militärische Defensivallianz, die sich auch gegen Rußland richtete. Bismarcks Intention war, der Großmacht im Osten die Gefahr einer Isolation vor Augen zu führen, zumal der entstandene Bund für Großbritannien, den großen Konkurrenten Rußlands, ebenfalls hätte interessant sein können. 

Gefahr einer französisch-russischen Koalition beseitigt

Das Kalkül des Reichskanzlers ging auf. Rußland sah, trotz aller nach wie vor vorhandenen Gegensätze zu Österreich-Ungarn, Vorteile in einem abermaligen Zusammengehen mit den anderen beiden Kaisern. Bismarck selbst unterstrich die Bedeutung einer solchen Allianz für das Deutsche Reich: „Jeder Bruch“ zwischen Rußland und Österreich-Ungarn „würde uns in die schwierige Lage bringen, die Feindschaft des einen direkt auf uns zu nehmen oder es mit beiden zu verderben“. Allerdings unterschied sich der am 18. Juni 1881 abgeschlossene Dreikaiservertrag – inzwischen regierte der neue Zar Alexander III. – deutlich vom Dreikaiserabkommen von 1873. Die Abmachungen blieben geheim, die russische Öffentlichkeit neigte zu Frankreich und war Deutschland gegenüber eher feindlich eingestellt. Klar anders akzentuiert als sein Vorläufer war der Vertrag auch dahingehend, als daß er konkrete Abmachungen enthielt. So für den Fall, daß sich einer der Bündnispartner mit einer vierten Großmacht „im Kriege befinden würde“. Dann waren die beiden weiteren Unterzeichner zu wohlwollender Neutralität verpflichtet. Bezüglich einer möglichen Auseinandersetzung mit dem Osmanischen Reich war eine vorherige Verständigung über die Ziele zwischen den Vertragspartnern festgelegt. Für die  Annexion von Bosnien und der Herzegowina erhielt Österreich-Ungarn freie Hand, etwas unklar waren die Festlegungen bezüglich des Einflusses, der Rußland auf Bulgarien zugestanden werden sollte. 

Gegenüber Wilhelm I. äußerte Bismarck, nun dürfe man „den Frieden unserer beiden Nachbarn auf Jahre hinaus als gesichert ansehen“, zudem sei „für Deutschland die Gefahr einer französisch-russischen Koalition vollständig beseitigt“. Längerfristig sollte sich Bismarcks Einschätzung als zu optimistisch erweisen. Zwar wurde der auf drei Jahre angelegte Dreikaiservertrag im März 1884 verlängert, war aber mit der sich im November 1885 zuspitzenden bulgarischen Krise nicht mehr relevant. Bei der Auseinandersetzung zwischen Serbien und Bulgarien standen sich Österreich-Ungarn und Rußland als jeweilige Unterstützer ihrer Interessensphären auf dem Balkan gegenüber. 

Noch einmal sollte Bismarck ein Bündnis mit Rußland gelingen, dieses Mal allerdings nur noch bilateral. 1887 wurde der Rückversicherungsvertrag abgeschlossen, auch er geheim. Vereinbart wurde, neben anderem, wechselseitige Neutralität im Verteidigungsfall. Bismarcks Agieren war schon zu seiner Amtszeit im eigenen Land als Politik der Stagnation kritisiert worden. Für die von ihm initiieren Verträge, für die Notwendigkeit, Rußland zu binden, fehlte seinen Nachfolgern Verständnis und Gespür. Der 1890 auslaufende Rückversicherungsvertag wurde nicht verlängert, Bismarcks Alptraum gegnerischer Koalitionen wurde Realität.

Foto: Anton von Werner, „Otto von Bismarck beglückwünscht den russischen Bevollmächtigten Graf Peter Schuwalow“, aus „Der Kongreß zu Berlin“: Dreikaiservertrag hielt nur vier Jahre