© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/21 / 16. Juli 2021

Die Interventionsspirale dreht sich
Wohnungsmarkt: Berliner stimmen über Vergesellschaftung von Immobilienfirmen ab / Preise und Baukosten steigen rasant
Elias Huber / Jörg Fischer

Der Nationalökonom Ludwig von Mises warnte bereits 1929 vor einer Interventionsspirale: Danach werden weitere Eingriffe in den freien Markt nötig, sobald der Staat ein einziges Mal interveniert hat. Werden die Mieten gedeckelt, wird Wohnen kurzfristig billiger. Mittelfristig fällt aber das Angebot, weil Eigentümer weniger vermieten und Investoren weniger bauen. Doch anstatt den Fehler zu korrigieren, schimpfen Politiker lieber über Immobilienspekulanten, um dann noch härter zu intervenieren. Schrittweise verschlimmern sie damit Mißstände.

Beispielhaft zeigt sich das in Berlin. Die Hauptstadt hatte vor zehn Jahren nur 3,3 Millionen Einwohner – heute sind es fast 3,7 Millionen. Die Wohnbevölkerung wuchs um die Einwohnerschaft einer Stadt wie Bochum oder der Hälfte von Frankfurt am Main. Doch statt einer Bauinitiative gibt es seit 2015 eine Mietpreisbremse: Die Miete durfte nur noch zehn Prozent über die „ortsübliche Vergleichsmiete“ steigen. Aber das half wenig. In der einst billigsten Millionenstadt Mitteleuropas grassiert spürbare Wohnungsnot.

Anhaltende Zuwanderung und spürbare Materialengpässe

Die massive Zuwanderung füllte den Leerstand. Dessen Quote fiel von 5,1 Prozent (2003) auf nur noch 0,8 Prozent (2019). Frei sind nur noch Bruchbuden in sozialen Brennpunkten und Unbezahlbares. Die Angebotsmieten stiegen seit 2015 um 20 Prozent – von 8,05 auf 10,17 Euro pro Quadratmeter; Wohnungsbesichtigungen werden zu Massenaufläufen. Alteingesessene Mieter fürchten sich vor Luxusmodernisierungen und Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Eine Flucht ins Brandenburger Umland wird immer schwieriger, denn auch dort ziehen Miet- und Kaufpreise an.

Die linke Berliner „Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ hat daher einen Nerv getroffen: Sie möchte mehr als 240.000 Wohnungen der großen Immobilienkonzerne „vergesellschaften“. Fast 360.000 Unterschriften wurden dafür gesammelt. Am 26. September dürfen die Berliner Wahlbürger am Rande der Abgeordnetenhaus- und Bundestagswahlen darüber abstimmen – eine Mehrheit ist in der derzeit rot-rot-grün regierten Hauptstadt nicht unwahrscheinlich.

Die davon betroffenen Dax-Konzerne Vonovia SE und Deutsche Wohnen SE kündigten auch deshalb schon im Mai an, sich bis September zusammenzuschließen und die Mieten um maximal ein Prozent pro Jahr bis 2025 zu erhöhen. In den Folgejahren solle der Mietzins nur um die Inflationsrate steigen. Damit dürften die Mieten der dann vergrößerten Vonovia weniger anziehen als der Mietspiegel. Das dürfte den Vonovia-Aktionären – darunter ausländische Fonds, Banken, Pensionskassen und internationale Vermögensverwalter wie Blackrock – sicher mißfallen. Das könnte solche „sozialen“ Versprechen auf die Zeit bis kurz nach dem Berliner Volksentscheid begrenzen.

Doch das Berliner Immobiliendesaster ist nicht nur der Angebotsseite geschuldet. Der Durchschnittsdeutsche lebt auch auf mehr Fläche. Hatte im Jahr 2010 ein Einwohner 45 Quadratmeter zur Verfügung, waren es im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt 47,4 Quadratmeter. Auf 1.000 Einwohner kamen 515 Wohnungen statt 495 im Jahr 2010 – sprich: Es gibt mehr alleinstehende Rentner und junge Singles. Daß Berlin eine große türkisch-kurdische und polnische Einwohnerschaft hat, ist kein Geheimnis. Doch inzwischen haben sich Zuwanderer mit syrischer Herkunftsangabe auf Platz drei der Ausländer vorgeschoben – vor die Italiener, Bürger mit bulgarischem, rumänischem, russischem oder serbischem Paß, US-Amerikaner, Franzosen und Vietnamesen.

Die Folgen erklärte Bernd Leutner von dem Wirtschaftsinformationsunternehmen F+B in der Welt so: „Die kommunale Beratungspraxis von F+B zeigt deutlich, daß es Migranten dorthin zieht, wo schon eine landsmannschaftliche Community existiert – in die Großstädte.“ Deswegen verteuere sich vor allem das Marktsegment der günstigen Wohnungen, erklärte der F+B-Geschäftsführer, dessen Firma den Mietpreisspiegel für deutsche Gemeinden erstellt. Hinzu kommt die massive Geldschöpfung der EZB, berichten die Ökonomen Oliver Hülse­wig und Horst Rottmann in einer aktuellen Studie, die Immobilienpreise der Jahre 2010 bis 2019 untersuchte. Auch das übt Druck auf die Mieten und Baukosten aus.

Der politisch versprochene Wohnungsneubau scheitert aber nicht nur an bezahlbaren Baugrundstücken und teils zögerlichen Genehmigungen. Die Materialengpässe auf dem Bau haben sich massiv verschärft (JF 22/21). Laut dem Ifo-Institut berichteten im Juni 95,2 Prozent der Baufirmen von steigenden Einkaufspreisen. Jedem zweiten Hochbau-Unternehmen fehlte Material, im Tiefbau waren es rund 40 Prozent. Das waren die höchsten Werte seit der Wiedervereinigung. Knapp seien Schnittholz, erdölbasierte Baustoffe, synthetische Dämmmaterialien, Kanalgrundrohre und andere Kunststoffteile. „Dazu kommen die Lieferprobleme und Preissteigerungen beim Stahl“, sagte ein beteiligter Forscher (JF 25/21).

Hohe Steuern und Abgaben, die teuren Energieeinsparvorschriften und die steigende „CO2-Bepreisung“ wegen des Klimaschutzes lassen die Baukosten regelrecht explodieren. Wer im Mai ein konventionelles Wohngebäude baute, zahlte laut Statistischem Bundesamt 6,4 Prozent mehr als vor einem Jahr. Das war der höchste Anstieg seit Mai 2007. Besonders verteuerten sich dabei Zimmer- und Holzbauarbeiten wegen der hohen Holznachfrage (28,5 Prozent), aber auch Arbeiten in den Bereichen Klempner, Dachdecker und Abwässer wurden um einen hohen einstelligen Prozentsatz teurer. Das Ifo-Institut prognostiziert weiter anziehende Baukosten, weil den Baufirmen Fachkräfte fehlen und im Herbst bei Tarifverhandlungen Lohnerhöhungen anstehen.

Wohnungseigentum ist der Schlüssel zum Aufbau von Vermögen, meint das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Wochenbericht 27/21). Doch Deutschland hat eine Wohnungseigentumsquote von 51,1 Prozent, es ist die niedrigste der EU. In Ungarn sind es dagegen 91,7 Prozent, in Italien 72,4 Prozent und in Frankreich 65,1 Prozent. Daher sollte die bisherige Immobilienförderung durch eine „Sozialkaufprämie“ ergänzt werden: Für etwa 200 Millionen Euro könnten jährlich 5.000 Haushalte, die infolge einer „Umwandlung“ ein Vorkaufsrecht für ihre bisherige Mietwohnung bekommen, vor Verdrängung geschützt werden, berechneten die DIW-Ökonomen. Aber vielleicht preisen die Immobilienanbieter die staatliche Prämie künftig einfach mit ein.

Quartalsbericht der Vonovia SE:

 investoren.vonovia.de

 www.diw.de





Berliner Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen

Die 2017 gegründete „Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ will „zwölf Prozent der Berliner Mietwohnungen der Spekulation entziehen und dauerhaft bezahlbare Mieten ermöglichen“. Dafür sollen 240.000 Wohnungen von Anbietern mit mehr als 3.000 Wohnungen „vergesellschaftet“ und in eine Anstalt des öffentlichen Rechts überführt werden. Da dies die Landesverfassung nicht vorsieht, werde auf Artikel 15 des Grundgesetzes zurückgegriffen. Fast 360.000 Unterschriften wurden für den Volksentscheid gesammelt – nur 175.000 wären nötig gewesen. Am 26. September dürfen die Berliner Wahlbürger gleichzeitig mit der Bundestagswahl darüber abstimmen – eine Mehrheit ist wahrscheinlich. Die Finanzierung der Milliarden-Entschädigung ist hingegen unklar. Als Zehntausende Wohnungen von dem CDU/SPD-Senat unter Eberhard Diepgen bzw. dem SPD/PDS-Senat unter Klaus Wowereit privatisiert wurden, nahm Berlin nur einen Bruchteil des heutigen Immobilienwertes ein. Der künftige Senat ist nicht an das Votum gebunden: Der Flughafen Tegel wurde trotz des Volksentscheids von 2017 am 5. Mai endgültig geschlossen. Und Vonovia will nach der Übernahme der Deutschen Wohnen 20.000 seiner 150.000 Wohnungen dem Land Berlin sogar freiwillig zum Kauf anbieten. (eh/fis)

 www.dwenteignen.de