© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/21 / 03. September 2021

Viel Geld für wenig Leistung
Telekommunikationsmarkt: Der deutsche Internetanbieter 1&1 will mit eigenem Mobilfunknetz für mehr Wettbewerb sorgen
Christian Schreiber

Anderthalb Jahre coronabedingte Online-Konferenzen, Homeoffice und ruckelnde Streamingdienste haben es jedem gezeigt: Deutschland hängt beim schnellen Internet nicht nur im europäischen Vergleich weiter hinterher. Während in Singapur, Hongkong, Thailand, Südkorea oder Chile im Festnetz laut Speedtest Global Index im Schnitt weit über 200 Megabits pro Sekunde (Mbit/s) geboten werden, lag Deutschland im Juli mit 126 Mbit/s hinter Panama auf Weltrang 37. Beim mobilen Internet reicht es mit 70,5 Mbit/s knapp hinter Belgien immerhin für Platz 30. Hinzu kommt: Die gebotene Leistung ist auch noch überdurchschnittlich teuer.

So kommt Polen mit 51,9 Mbit/s Mobilgeschwindigkeit zwar nur auf Weltrang 45 – dafür kostet das Gebotene aber nur ein Viertel, wie der Bundesverband der Verbraucherzentralen im Juli vorrechnete. Hoffnung könnte mehr Wettbewerb machen, doch dem könnten gesetzliche Hürden entgegenstehen. Der Telekommunikationsanbieter 1&1 betreibt seit einiger Zeit massiv den Aufbau seines 5G-Mobilfunknetzes. Gemeinsam mit der japanischen Firma Rakuten solle das europaweit erste vollständig virtualisierte Mobilfunknetz auf Basis des offenen Standards Open-RAN geschaffen werden, verspricht die United-Internet-Tochter. Um die ehrgeizigen Pläne umzusetzen, benötigt der Konzern Funkfrequenzen, die von der Bundesnetzagentur normalerweise per Auktion vergeben werden. Doch eine Gesetzesänderung könnte die Pläne von1&1 empfindlich stören.

Noch in diesem Jahr greift eine Novelle, durch die die Bonner Behörde bei Knappheit von Frequenzen andere Verfahren wie eine Verlängerung der Nutzungsrechte oder eine Ausschreibung festlegen kann, um Funklöcher zu vermeiden. Und genau dieser Fall könnte eintreten, denn Experten gehen davon aus, daß die bisherigen Ressourcen nur für das etablierte Trio Telekom, Vodafone und Telefónica (O2) ausreichen. Käme ein vierter Bewerber hinzu, könnten Funklöcher drohen. Dies ist auch die Argumentation der Platzhirsche: „Je nach Verlauf der Auktion könnten Schätzungen zufolge für mehr als vier Millionen Kunden neue LTE-Funklöcher entstehen“, warnte der britische Vodafone-Konzern.

Markus Haas, Deutschland-Chef der spanischen Telefónica, appelliert im Handelsblatt an die Politik: „Der Staat muß hier seiner Verantwortung gegenüber den Bürgern und der Wirtschaft gerecht werden und Weitblick beweisen, anstatt mit einer kurzfristigen, überteuerten Auktion den Netzausbau erneut über Jahre zu verlangsamen.“ Überteuerte Versteigerungen zugunsten des Bundeshaushalts hätten dem IT-Markt in den vergangenen zwei Jahrzehnten etwa 67 Milliarden Euro entzogen.

Der Verzicht auf Auktionen bringt keinen Vorteil für die Verbraucher

Man müsse nach vorn blicken, zügig vorankommen und aus den Fehlern, die gemacht wurden, lernen. Haas plädierte dafür, sich an Ländern zu orientieren, die die besten Netze betreiben. Anstatt Frequenzen für die Übertragung von Daten und Telefonie zu versteigern, sollte die derzeitige Vermietung von 800-Megahertz-Frequenzen einfach verlängert werden – und das forderten auch die Deutsche Telekom und Vodafone. Dann würden nur Gebühren fällig und die Netzbetreiber müßten weniger Geld zahlen. „Das gäbe uns Planungssicherheit und würde uns Investitionen erleichtern“, erläuterte Haas.

Doch diese auf den ersten Blick einleuchtende Lobby-Argumentation stößt auch auf Widerspruch: „Der Verzicht auf Auktionen hat keinen sicheren Vorteil für die Verbraucher“, sagt Torsten Gerpott von der Universität Duisburg-Essen. Es sei „überhaupt nicht sichergestellt, daß die Betreiber die eingesparten Finanzmittel auch tatsächlich in den heimischen Netzausbau stecken – möglicherweise versickert das Geld in einem ganz anderen Teil ihres globalen Geschäfts.“ Denn auch die Telekom hat nach der Fusion von T-Mobile und der Sprint Corporation viel vor, vor allem auf dem US-Mobilfunkmarkt, der mit 91 Mbit/s im globalen Geschwindigkeitsvergleich auf Rang 14 liegt.

Die Frequenz-Diskussion ist nicht neu und kommt immer wieder auf, seit im Jahr 2000 in Deutschland erstmals Lizenzen versteigert wurden. Drei der sechs damals beteiligten Firmen sind mittlerweile von der Bildfläche verschwunden. „Daß die etablierten Netzbetreiber sich gegen eine Versteigerung der Frequenzen einsetzen, ist sehr kritisch zu sehen“, findet Jürgen Kühling, seit 2020 Chef der Monopolkommission. „Ein weiterer unabhängiger Mobilfunknetzbetreiber verbessert den Wettbewerb und nutzt dem Verbraucher“, so der Regensburger Jura-Professor. In einem Positionspapier an die Bundesnetzagentur bezieht sein Beratergremium eindeutig Stellung und warnt vor dem möglichen Ausschluß von 1&1: Die Monopolkommission empfehle „weiterhin die Versteigerung als das am besten geeignete Verfahren für die Vergabe von Mobilfunkfrequenzen“.

 www.speedtest.net

 www.bundesnetzagentur.de

Foto: Aufbau eines 5G-Sendemastes: Überteuerte Auktionen