© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/21 / 12. November 2021

Nur der eigene Wille geschehe
Der Kriminalroman eines evangelischen Pfarrers offenbart die geistliche Leere seiner Kirche
Georg Alois Oblinger

Der Schriftsteller Sebastian Fitzek, der mit seinen Psychothrillern regelmäßig Bestseller-Status erreicht, ist seit mehreren Jahren befreundet mit dem evangelischen Pfarrer und promovierten Theologen Bernd Schwarze, der als Pastor an der Kulturkirche Sankt Petri in Lübeck tätig ist. Bei einem gemeinsamen Abendessen entstand die Idee zum vorliegenden Kriminalroman, der das literarische Debüt des Pfarrers darstellt.

Der Roman spielt im kirchlichen Milieu, und der Leser merkt sehr bald, daß hier ein Insider und Kenner der kirchlichen Szene das Wort ergriffen hat. Wie es im Alltag eines Gemeindepfarrers zugeht, wie aber auch Pfarrerkollegen und -kolleginnen miteinander umgehen und welche unterschiedlichen Personentypen es dort gibt, das weiß Bernd Schwarze sehr gut und er versteht es auch, das Milieu sehr unterhaltsam zu beschreiben. Auch über das Kirchenjahr und seinen Ausdruck in den liturgischen Feiern der Kirche erfährt der Leser so einiges. En passant wird hier zugleich religiöses Grundwissen vermittelt.

Das ist also der Hintergrund, vor dem sich das Verbrechen ereignet, über dessen Hergang, Täter und Motiv der Leser von Anfang an ins Bild gesetzt wird. Pfarrer Benedikt Theves tötet einen Ehemann, der seine Frau brutal mißhandelt und gedemütigt hat. Jetzt stellt sich die Frage, wie er auf diese Tat äußerlich reagiert, aber auch, was eine solche Tat innerlich bei ihm bewirkt. Schon der Klappentext spricht von den positiven Auswirkungen der Untat: Der Pfarrer zeigt plötzlich ein stärkeres Selbstbewußtsein, hält deutlich bessere Predigten als zuvor und bekommt viele positive Rückmeldungen aus der Gemeinde.

Interessanterweise schlägt Pfarrer Theves gleich zu Beginn der Romanhandlung die Wiederbelebung der Beichte in der evangelischen Kirche vor. Hierzu beruft er sich sogar auf Martin Luther. Allerdings wird der Wert der Beichte rein psychologisch gesehen; es ist sehr wertvoll, wenn ein Mensch Dinge, die ihn belasten, in einem geschützten Rahmen aussprechen kann. So spricht Bernd Schwarze im weiteren Verlauf des Romans immer wieder moralische Fragen an. Darf ich lügen? Dürfen Ehepartner fremdgehen und Ehebruch begehen? Darf man Rache und Selbstjustiz üben? Ist aktive Sterbehilfe erlaubt, wenn jemand unheilbar krank ist? All diese moralischen Fragen werden in ihrer Problematik geschildert. Doch es überrascht, daß ein Autor, der Pfarrer ist, nur für alles Verständnis hat und sich in keinster Weise bemüht, den Sinn christlicher Gebote und Verbote herauszustellen. Zumindest die evangelischen Landeskirchen in Deutschland, aber wohl auch ein großer Teil der katholischen Kirche in unserem Land sind mutiert zu einer Einrichtung, die für jeden Menschen und für jede Tat Verständnis aufbringt, aber nicht mehr den Menschen einen Weg aufzeigt und ihnen hilft bei der Unterscheidung zwischen richtig und falsch. Es gilt das Motto: „Alles verstehen heißt alles verzeihen.“

So ist auch klar, daß der zu Beginn des Romans geschilderte Totschlag oder gar Mord keinesfalls geahndet wird. Vielmehr wird eine geradezu märchenhafte Auflösung geboten. Die Handlung des Romans erhält eine geistliche Tiefendimension, indem das Geschehen in die heilige Woche verlegt wird und dadurch mit Leiden, Tod und Auferstehung Jesu parallel gesetzt wird. Auch hier wird dem Leser wieder das theologische Verständnis des Autors vor Augen gestellt. Die Dramatik des Erlösungsgeschehens an Karfreitag und Ostersonntag wird auf ein spirituelles Geschehen reduziert. Die frohe Botschaft von Ostern wird reduziert auf die Aussage: Am Ende wird alles gut. Zur Rechenschaft gezogen für sein Verhalten wird hier niemand.

Huldigung humanistischer Ideen statt Vermittlung des Glaubens

Theologische Diskussionen finden sich im Roman immer wieder dort, wo Pfarrer Theves Rat sucht beim emeritierten Landesbischof. Wenn schon der Küster im Roman Herr Demuth heißt, so heißt der kluge Altbischof Athanasius Kluge und stellt eindeutig ein Alter ego des Autors dar. Altbischof Kluge ist ein Mann, für den es keinen personalen Gott und kein Gebet mehr gibt. Er huldigt humanistischen Idealen, gibt kluge Ratschläge und möchte Theologie durch „Theopoesie“ ersetzen.

Der langjährige Kardinal von Köln, Joachim Meisner, hat einmal in einer Predigt über das Vaterunser gesagt, viele Menschen würden heute nicht mehr in der Haltung „Dein Wille geschehe“ leben, sondern eher in der Haltung „Mein Wille geschehe“. Ob Pfarrer Bernd Schwarze diese Predigt des Kölner Kardinals kannte, wissen wir nicht. Aber er hat dieses Meisnersche Bonmot in Literatur verwandelt und zugleich bewiesen, wie recht der Kardinal hatte. Gott und seine Gebote zu ignorieren und dann den eigenen Willen zum höchsten Maßstab zu erheben, ist nicht nur bei einfachen Gläubigen üblich, sondern auch bei so manchem Pfarrer, sei er Protagonist oder auch Autor eines Kriminalromans.

Bernd Schwarze: Mein Wille geschehe. Knaur Verlag, München 2021, broschiert, 379 Seiten, 14,99 Euro