© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/98 02. Januar 1998

 
 
JF präsentiert: Der einzig wahre Rückblick über die letzten 365 Tage
So war 1997 wirklich!
Von Frank Liebermann

Von Jahresrückblicken werden wir seit Wochen völlig erschlagen. Jeder feiert sich selbst, jede Zeitung ihre Klientel. Bilder der verunglückten Lady Di machen die Runde und Rudi Moshammers Schoßhund Daisy kläfft uns aus sämtlichen Fernsehmagazinen entgegen. Die "Letzte Seite" präsentiert an dieser Stelle, was Gala und Bunte verschweigen, nämlich den einzig wahren und ehrlichen Jahresrückblick ’97, der nichts verschweigt, dem nichts entgeht.

Politik:

Angesichts der Massenarbeitslosigkeit, der chronischen Finanzmisere in der Staatskasse und den sich anbahnenden Studentenaufständen reagieren die Politiker noch immer gleich: sie hampeln mit lila Schals auf evangelischen Kirchentagen herum, reihen sich in Demonsationen ein und die FDP-Freunde trauern ihrer Wahlkampfkostenerstattung nach. So weit alles beim alten. Aber es haben sich auch wirklich wichtige Dinge ereignet. So wurde beispielsweise Tony Blair in England zum Premierminister gewählt. In Deutschland stellen Journalisten seitdem immer wieder die Frage, wer in der deutschen Sozialdemokratie wohl der Tony Blair sei.

Die Antwort ist einfach: Niemand. Gerhard Schröder hat genauso viel mit Blair gemeinsam wie Herta Däubler-Gmelin mit Dagmar Wöhrl. Bei den Grünen hat sich wenig getan. Die einzige Veränderung machte Joschka Fischer durch. Er verriet die Sache der Dicken und nahm ab. Damit dürften sich auch die Vergleiche mit Franz-Josef Strauß erledigt haben, dessen einzige Gemeinsamkeit eben in der Statur lag. Daß sich bei der zweiten sozialdemokratischen Partei in Deutschland, der CDU, auch nichts änderte, manifestiert sich in der erneuten Kandidatur von Helmut Kohl. Er läßt sich nicht nominieren, er verkündet seinen neuerlichen Versuch. Die Kohlokratie ist perfekt. Aber es gibt auch einen Skandal: CDU und FDP beschließen die Senkung der Promillegrenze am Steuer auf 0,5. Sogar die Alkohol-Lobby der CSU zieht mit. Das hätte es früher nicht gegeben!

Gesellschaft und Kultur:

Vorweg eines: Um die Gesellschaft ist es schlecht bestellt. Sie droht auszusterben. Wissenschaftler haben einen auffälligen Spermienschwund entdeckt. Die Zahl der Samenfäden sank seit 1987 um fast 50 Prozent. Schuld daran sind vermutlich Umweltgifte. – Vergiftet war auch der Senf. Erpresser der Firma Thomy verunreinigten Senf mit Zyanid. Antwort auf die Frage, was schlimmer als ein britischer Koch ist, gab uns der Fahrer von Lady Di: ein französischer Chauffeur. Die Medien reagieren sofort mit interessanten Verschwörungstheorien. Ein neuer Mythos war geboren.

Pech hatte Friedrich Küppersbusch. Dem Großinquisitor der deutschen Linken lief das Publikum scharenweise davon und sein Vertrag für seine Sendung PRIVATFernsehen wurde nicht verlängert. Erbost kehrte er ARD und WDR den Rücken. Und noch ein Skandal: Stefan Mross, der Rammsteiner der Volksmusik, wird als gemeiner Schurke entlarvt. Seine verträumten Trompetensoli sind trotz Schwüre von Volksmusikpapst Karl Moik nicht echt. Die deutsche Kultur wurde dadurch wieder ein Stück ärmer. Zum Glück haben wir noch unser Goldkehlchen Stefanie Hertel.

Wirtschaft:

Zuerst mal eine gute Nachricht. Eine Studie des Hamburger Finanzamtes hat ergeben, daß der Großteil der Millionäre keine Steuern zahlt. Ihnen gelingt es, so hohe Verluste auszuweisen, daß ihr Einkommen fast null ist. Glückwunsch! Wer nicht gerade zu den Millionären gehört, hat es etwas schwerer. Diejenigen zahlen brav ihre Steuern, erhöhten Renten- und Krankenkassenbeiträge und nehmen dafür zum Ausgleich auch schlechtere Leistungen hin. Der mündige bundesrepublikanische Bürger in Deutschland ist nach wie vor devot und dankbar.

Sport:

Im Sport gab es allerhand Spaßiges zu vermerken. Lothar Matthäus erbrachte den Beweis, daß er schreiben kann. In seinen Tagebüchern ließ er sich über den FC Bayern München aus. Nach der Veröffentlichung hatte er dort keine Freunde mehr. Als Mannschaftskapitän wurde er abgesetzt, seine Kollegen nennen ihn krank. Krank wurde auch Evander Holyfield, nachdem er von Mike Tyson sein Ohr abgebissen bekam.

Richtig krank wurde aber ein Fußballfan, nachdem er Stafan Effenberg besuchen wollte. Effe, dem nachgesagt wird, daß er alle drei Strophen des Deutschlandliedes auswendig beherrscht, verprügelte seinen Fan vor dem Garagentor. Noch mehr Prügel bezog Michael Schumacher, nachdem er seinen Kollegen Villeneuve aus dem Rennen schubsen wollte. Seine Vizeweltmeisterschaft wurde annulliert. Weltmeister im Merchandising bleibt er aber trotzdem, was ihm wohl auch lieber sein dürfte.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen