© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/98 02. Januar 1998

 
 
Film: Wolfgang Petersen bringt neu überarbeitete Langfassung von "Das Boot" in die deutschen Kinos
Eine Reise ans Ende des Verstandes
von Werner Olles

Herbst 1941 im besetzten Frankreich. U-Boot-Stützpunkt La Rochelle am Atlantik. Im Offiziers-Etablissement "Bar Royal", einer Drehscheibe für ausgezehrte Heimkehrer und Abfahrer ins Ungewisse, feiern die jungen U-Boot-Fahrer einen frischgebackenen Ritterkreuzträger. Die jungen Männer wissen, daß vielleicht schon morgen alles vorbei sein kann. Der Alkohol betäubt ihre Ängste, der laute Galgenhumor ihre Ohnmacht. Ein letztes Grabschen nach weiblichem Fleisch, "schnell noch einen wegstecken", heißt dies im Landserjargon.

U 96 mit 43 Mann Besatzung. Ruhig gleitet das Boot aus dem riesigen Bunker. Antritt zur Feindfahrt, ein Musikzug schmettert das Engellandlied. Die Helden sind Milchbärte, Knabengesichter, kaum zwanzig. Der "Alte" ist noch keine dreißig, sein leitender Ingenieur 27, dann Leutnant Werner, Pk-Mann und 23. – Gammelfahrt, monotone Routine, die Männer zoten und blödeln zwischen den Wachen die Zeit tot. In der Röhre herrscht klaustrophobische Enge, das ganze Boot ist bis zum Rand vollgepfercht mit Menschen, Maschinen und Torpedos. Jedes kleine Eckchen wird ausgenutzt, je zwei Mann wechseln sich ab in der Koje. An den Versorgungsleitungen baumeln Würste und Schinken, in den Hängematten liegen riesige Brote, Speckseiten werden vom Dieselgestank geräuchert.

Alarm! Die Männer fliegen durch die engen Kugelschotts in den Bug. Das Boot schießt in die Tiefe: 80 Meter, 90 Meter (Werksgarantie), 100, 120, 130… Metall kreischt auf, erstarrte Blicke auf das Tiefenmanometer. Probealarm beendet, auftauchen! Auf der Wache herrscht konzentriertes Schweigen, während das Nichtsstun im Boot an den Nerven der Männer zerrt. Plötzlich gellen Befehle: Fluten! Flugzeuge! Wasser stürzt in die Zentrale, Männer schliddern durch den Raum, Gegenstände fliegen umher. In den gurgelnden Sog, den das Boot zurückläßt, stürzt eine Bombe. Noch ein zweiter fürchterlicher Schlag, dann herrscht Stille.

Und wieder pflügt das Boot durch die graue See, unendlich und ziellos erscheint die Fahrt. Dann wird endlich ein feindlicher Geleitzug gesichtet. Das Boot schleicht sich heran, die Torpedos sind klar, da schießt ein Zerstörer auf das Sehrohr zu. Im letzten Augenblick reißt das Boot in die Tiefe. Wasserbomben detonieren, die Leute erstarren. Der Feind setzt eine neues Ultra- Ortungssystem ein. Immer näher kommen die Detonationen, der Raum bebt, das Licht fällt aus, zu Tode erschöpfte und ausgepowerte Männer erfaßt der Taschen- lampenkegel. Endlich wandern die Schraubengeräusche aus. Das Boot schiebt sich durch ein gespenstisches Trümmerfeld, zerfetzte Flöße und verbrannte Wrackteile. Leichen in Schwimmwesten treiben umher.

Wie Geschosse knallen die Nieten durch den Raum

Und wieder kehrt professionelle Konzentration ein, ein neuer Geleitzug wird gesichtet. Der Alte läßt angreifen, lautlos jagen silberne Torpedos auf die verschwommenen Umrisse der riesigen Frachtschiffe zu. Der Gegenangriff erfolgt sofort. Wasserbomben reißen tiefe Löcher in die See, das Boot wirbelt in die Tiefe. Der Alte geht 230 Meter. Wie Geschosse knallen stählerne Nieten durch den Raum. Johann dreht durch, starre, graue Gesichter. U 96 kann entkommen. Voraus ein brennender Tanker. Der Alte befiehlt den Fangschuß; zu spät erkennen sie auf der Brücke Überlebende. Die Explosion wirbelt sie hoch, ein Flammenmeer breitet sich aus. Wie geprügelte Hunde lassen die Männer das Grauen hinter sich. Dann ein verschlüsselter Kommandofunkspruch: neues Ziel ist La Spezia in Italien. Die Rückfahrt nach La Rochelle ist abgeblasen. Sie müssen durch die englische Zerstörersperre in der Meerenge von Gibraltar. Im Schutz der Dunkelheit schleicht sich das Boot in den spanischen Hafen Vigo. An Bord der "Weser", eines Versorgungsschiffes, treffen die zerlumpten, bärtigen Freibeuter auf eine unwirkliche Atmosphäre: Geschniegelte Offiziere, luxuriöses Buffet, "Heldensekt" und hochtrabende Lobesreden. Rasch verkriechen sie sich wieder und machen sich mit ihrer stinkenden, vergammelten Röhre auf nach Gibraltar.

Das Boot wird beim Durchbruch durch die Sicherungslinie der feindlichen Kampfschiffe von einem Tiefflieger überrascht. Volltreffer vor dem Turm, es kippt ab. Der Alte läßt fluten, 150, 200, 280 Meter – Ende. Das Boot schlägt auf Grund. Wasser schießt durch die Ritzen, durch den eisernen Sarg werden Meldungen gebrüllt, während über ihnen Zerstörer Ehrenrunden drehen. Acht Stunden Sauerstoff und eine Überlebenschance, die sie schon zu Toten macht. Nach 14 Stunden übermenschlicher Anstrengung ist das Unmögliche geschafft. Der Sauerstoff ist aufgebracht, alles röchelt an den Kalipatronen. Dann strömt Druckluft in die Tauchzellen, und Meter für Meter löst sich das zerbeulte Monstrum vom Grund und schwebt ins Leben zurück.

In La Rochelle erwartet die müden und deprimierten Männer, die in ihrem verwitterten und demolierten Boot in den Hafen keuchen ein illustres Empfangskomitee: Schneidige Uniformen, Pelzmäntel, eine Blaskapelle, in deren dröhnendes Spiel sich plötzlich ein Brummen mischt. Feindliche Jäger schießen heran und bomardieren die Bunker. Tote und Verwundete bleiben liegen, Menschen rennen um ihr Leben. Mitten in diesem Inferno kniet der Alte sterbend auf dem Pflaster und sieht, wie sein Boot im Schlick des brennenden Hafens versinkt…

Der Spielfilm "Das Boot", entstanden nach Lothar Günter Buchheims gleichnamigem Buch – halb Roman und halb Erlebnisbericht – sollte schon 1976 gedreht werden, mit amerikanischer Beteiligung und John Sturges oder Don Siegel als Regisseur und Robert Redford als U-Boot Kommandant. Aber man konnte sich über das endgültige Drehbuch nicht einigen und so stand 1979 die rein deutsche Produktion fest. Seine Premiere 1981 war ein Ereignis ersten Ranges, und dies obwohl Buchheim den Film nach Kräften verteufelte. In eine Debatte über die Begriffe "Kriegsfilm" oder "Antikriegsfilm" ließen sich Produzent Günter Rohrbach und Regisseur Wolfgang Petersen jedoch klugerweise nicht verstricken. Petersen beschrieb "Das Boot" als einen "Film über den Krieg, der insofern keiner Legitimation durch Tendenz bedarf. Wir versuchen die Zuschauer emotional in das Geschehen hineinzuziehen. Wir wollen zeigen wie Menschen den Krieg erleben, erleiden, erdulden und sich dabei total verändern".

So beschreibt der Film allein aus deutscher Sicht eine authentische U-Boot-Operation im Atlantik vom 19. Oktober bis zum 27. Dezember 1941. Er schildert eine verschworene Männergemeinschaft auf engstem Raum, halbe Kinder noch, abenteuerlustig, begeistert von einem technischen Wunderwerk. Am Anfang sind den meisten die Schrecken des Krieges noch fremd, sie sind unerfahren und kennen weder Einsamkeit noch Verlorenheit der älteren Kameraden. Erst allmählich lernen diese Jungen, daß dies kein Spiel ist, sondern daß sie vor der grausamen Alternative stehen: Entweder du überlebst diese Hölle, oder du kommst in ihr um. Verwundete kannte der Seekrieg nicht.

"Das Boot" ist bisher nicht übertroffen worden

"Das Boot" hat große Bilder, vor allem aber erzählt es eine Geschichte. Denn der Krieg, der hier gezeigt wird, und die Menschen, die hier gezeigt werden, stehen in keinem Geschichtsbuch. Die unsagbaren Qualen, die sie durchstehen, setzen beim Zuschauer einen Erkenntnisprozeß in Gang, der mehrere Momente aufzeigt. Da ist einmal die Faszination, man spürt hautnah, wie schwierig es ist, sich dem Grauen des Krieges zu nähern, ohne davon beeindruckt zu sein. Und da ist natürlich auch die Kehrseite der Medaille: Wir können nicht einfach mit der Vergangenheit brechen, ohne uns als Menschen selbst herabzusetzen. Dies zu begreifen, bedeutet keineswegs den Wahnsinn des Krieges zu exkulpieren, aber es relativiert die Gefahr, in dem Film eine "Landsergeschichte unter Wasser" zu sehen.

Vier Jahre nach der Kinopremiere wurde "Das Boot" zur erfolgreichen Fernsehserie. Jetzt endlich hat Wolfgang Petersen sein Meisterwerk generalüberholt, neu geschnitten und mit einem geradezu phantastischen Sound versehen. Dreieinhalb Stunden ist der Directors Cut lang und damit zwar nur gut halb so lang wie die damalige TV-Fassung, aber immerhin noch siebzig Minuten länger als die ursprüngliche Kinofassung. Bis heute ist das Werk mit sechs Oscar-Nominierungen der international erfolgreichste deutsche Nachkriegsfilm. Er öffnete Petersen die Tür nach Hollywood – mit "Outbreak", "In the Line of Fire" und "Airforce One" gehört er inzwischen zu den Assen –, aber auch eine ganze Reihe erstklassiger Schauspieler, wie Jürgen Prochnow ("Der Alte"), Klaus Wennemann (LI), Herbert Grönemeyer (Leutnant Werner), Heinz Hoenig (Funker Hinrich), Uwe Ochsenknecht (Bootsmann Lamprecht), Bernd Tauber (Obersteuermann), Martin Semmelrogge (II WO) und Claude Oliver Rudolph (Arlo) wurden durch "Das Boot" zu gefragten Akteuren.

Gänzlich anders als Joseph Vilsmaiers 1982 gedrehter Film "Stalingrad", der sich als moralischer Feldzug gegen "Fremdenfeindlichkeit, deutsche Überheblichkeit, aufkommenden Rechtsextremismus und die zunehmende Tendenz, Konflikte militärisch lösen zu wollen" (Vilsmaier) entpuppte und außer mit ohrenbetäubenden Geräuschen verbundenen Materialschlachten nichts zu bieten hatte, dokumentiert "Das Boot" mit seinen einmaligen Bildern auf besonders eindringliche Weise die Schrecken der Atlantikschlachten und das Phänomen eines Krieges am Rande der menschlichen Existenz. Das sich um die U-Boot-Fahrer eine von Mythen umrankte Legende bildete, war nicht die Schuld der blutjungen Seeleute, Funker und Torpedomixer. Ihnen wurde so ziemlich alles abgefordert, was ein Mensch nur zu leisten und leiden vermag. Fast bis zuletzt galten die U-Boote als Wunderwaffe, die das Kriegsglück doch noch zugunsten Deutschlands wenden könnte. Diesen Männern, die allein geschützt von einer knapp zwanzig Millimeter dünnen Stahlwandung, bei ihren oft monatelangen Unternehmungen in den Weiten und Tiefen des Nordatlantik maßlosen Strapazen ausgesetzt waren, hat Wolfgang Petersen mit "Das Boot" ein Denkmal schaffen wollen, das ihrer würdig ist. Da erscheint es fast überflüssig zu erwähnen, daß von 40.000 deutschen U-Boot-Fahrern des Zweiten Weltkrieges über 30.000 von ihren Feindfahrten nicht mehr nach Hause kamen.


 
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