© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/98 02. Januar 1998

 
 
Die Bundeswehr im Kreuzfeuer der Medien: Generalmajor a. D. Gerd Schultze-Rhonhof über die Notwendigkeit einer millitärischen Traditionspflege
"Das braune Regime damals war nicht nationalkonservativ"
von Dieter Stein

Im Interview mit uns vor einem Jahr sagten Sie, alles was linksextrem sei, nehme den alten Kampf gegen die Bundeswehr wieder auf. Dies sei ein Stellvertreterkrieg gegen die alte und neue Bundesrepublik. Können Sie sich erklären, warum das von Volker Rühe nicht erkannt wird?

SCHULTZE-RHONHOF: Der Minister hat wohl nicht erkannt, daß es sich dabei um Angriffe gegen das Soldatentum überhaupt handelt. Er hätte einen Kontext zwischen mehreren Vorgängen erkennen müssen. Da war die Rehabilitierung der Deserteure, unter denen ja viele Schwerverbrecher waren. Diese werden nun in Bausch und Bogen rehabilitiert. Dann die unsägliche Soldatendiffamierung mit der Parole "Soldaten sind Mörder", bei der die Begründungen zu den Entscheidungen des Bundesverfasssungsgerichtes hochinteressant sind. Da wird an einer Stelle gesagt: solange sich die Meinungsfreiheit gegen das Soldatentum richtet, ist nichts dagegen einzuwenden. Es geht also nicht nur gegen die Bundeswehr, es geht auch gegen das Soldatentum an sich. In den gleichen Zusammenhang gehört die Diffamierung der Wehrmacht durch die unglückliche "Wehrmachtsausstellung". Das alles ist ein Paket, zu dem immer wieder neue Bausteine hinzukommen. Da der Minister sich nicht mit den Soldaten an sich und mit dem Soldatentum identifiziert, hat er das nie als Angriffe gegen seine Bundeswehr empfunden, sondern als etwas sozusagen Exterritoriales, das ihn nicht betrifft. Und nun holt es ihn ein. In der Bundeswehr gibt es bedauerlicherweise immer wieder einmal rechtsradikale Hornochsen, die bis heute nicht eingesehen haben, was Adolf Hitler dem deutschen und vielen anderen Völkern angetan hat. Solche rechtsradikalen Soldaten wurden bisher sang- und klanglos aus der Bundeswehr entlassen. Nun werden auf einmal viele alte, bisher unentdeckte Fälle in kurzer Folge nacheinander aufgedeckt und in den Medien veröffentlicht. Nachdem das mehrere Wochen läuft, halte ich dies für eine gezielte Aktion. Am Anfang sah das auch für mich wie Zufälligkeiten aus, aber nachdem jetzt eine Geschichte nach der anderen, sieben Jahre her, vier Jahre her, drei Jahre her, fast zeitgleich lanciert wird, wird erkennbar, daß es eine gezielte Aktion von irgend jemand ist, der über Jahre hinweg "Munition" gesammelt hat und sie nun abschießt. Sobald man erkennt, daß es sich um eine gezielte Aktion handelt, kann man auch schlußfolgern, daß das eine Aktion gegen die Bundeswehr, das Soldatentum und den Minister selbst ist.

Es ist eine lächerliche Zahl an Vorfällen bei einer Tausende von Männern fassenden Armee.

SCHULTZE-RHONHOF: Man kann die Vorfälle schon deshalb nicht für die Armee als Ganzes rechnen, weil das von der Zahl der Beteiligten her im Bereich eines Zehntel Promilles liegt. Daß es dennoch solche Leute in der Bundeswehr gibt, ist ausgesprochen bedauerlich. Aber es ist auch interessant zu wissen, warum es dazu kommt. Wenn solches Gedankengut in den Köpfen von ein paar Soldaten herumgeistert, hat das Gründe. Und diese Gründe gilt es zu analysieren. Wenn wir vor allem unter Wehrpflichtigen aus Ost-Deutschland solche Umtriebe haben, muß man sich fragen, wie es dazu kommen kann. Die Ursachen liegen wohl darin, daß wir es nicht geschafft haben eine Wirtschaftsform und ein Wirtschaftswachstum zu übertragen, die soziale Sicherheit bringen. Die soziale Lage kann dann zu radikalen Reaktionen führen, die ein Problem der Gesellschaft sind. Nur kommen die Probleme in die Bundeswehr, ohne daß die Ursachen bei der Bundeswehr liegen. Unter den älteren Soldaten kommen schließlich bisher keine solchen Beispiele vor, die darauf schließen lassen, daß Teile der Bundeswehr braun infiziert sind.

Wird die Wirkung des politischen Unterrichtes in diesem Zusammenhang nicht überschätzt?

SCHULTZE-RHONHOF: Wenn solche Unterrichtungen richtig sind, dann haben sie schon einen Einfluß. Unterrichtungen sind ja eine Einflußnahme vom Kompaniechef auf seine Soldaten. Der Chef ist in der Regel gebildeter und reifer und kann schon Einfluß nehmen. Die Klage aber, daß wir zu wenig politische Bildung durchführen, erinnert mich an die Klagen, daß wir zu wenig Sport machen, zu wenig Gefechtsausbildung machen, zu wenig dies und zu wenig das. Eine Armee, die sich in solch ein Zeitkorsett spannen läßt, wie jetzt die Bundeswehr in ihre zehn Monate, bringt eben überall nur schwächere Leistungen. Wir müssen uns fragen, wieso die Armee in zehn Monaten nachholen soll, was die Gesellschaft voher in 20 Jahren am jungen Menschen nicht fertig gebracht hat.

Was halten Sie von der Einführung der Baudissin-Medaille für den Kampf gegen Rechtsextremismus in der Bundeswehr?

SCHULTZE-RHONHOF: Ja, solche Orden hat’s in der NVA auch schon gegeben. Ich würde diese Orden nicht vergeben.

Warum?

SCHULTZE-RHONHOF: Solche Orden sind Augenwischerei! Nachher führt das dazu, daß gewisse Kontingente an Orden vergeben werden müssen, damit der Nachweis erbracht wird, daß man auf dem Gebiet der Erziehung gegen Rechtsradikalismus genug getan hat. Das halte ich für den völlig falschen Weg.

Wie stellt sich die Bundeswehr zur Tradition der Wehrmacht?

SCHULTZE-RHONHOF: Wir haben als Bundeswehr sehr viel aus der Wehrmacht übernommen. Wir sind von Wehrmachtsoffizieren aufgebaut worden. Die Dinge, die wir übernommen haben, sind vor allem die nicht sichtbaren – taktische Vorstellungen, technische Vorstellungen, unser Wehrrecht, die Auftragstaktik und das Prinzip des Primats der Politik. Viele Dinge sind direkt aus der Wehrmacht in die Bundeswehr übernommen worden und sind aus ihr gar nicht mehr wegzudenken. Die meisten Menschen denken bei Tradition mehr an Äußerlichkeiten wie Fahnen, Embleme oder sonst etwas. Die sind aber nicht Kern der Tradition. Unsere Tradition ist vielmehr das Übernommene, das die Bundeswehr funktionfähig macht. Wenn wir jetzt nach Fehlern in der Wehrmacht suchen und meinen, ein Geschichtsbild korrigieren zu müssen, dann begeben wir uns in die Gefahr, eine selektive Sicht der Wehrmacht zu erzeugen. Ich halte das für einen Fehler. Die Wehrmacht muß für die Bundeswehr mit ihren Licht- und Schattenseiten dargestellt werden. Nur dann können wir wirkliche Traditionspflege betreiben. Tradition heißt immer: Bewahrung des gültigen Erbes. Das bedeutet, daß man aus seinem Erbe, das man bekommt, das Gültige und das Ungültige scheiden muß. Dazu muß man beides kennen. Wenn wir nur das "Ungültige" der Wehrmacht zur Kenntnis nehmen, die Fehler also, dann wissen wir nicht mehr, was wir an gültigem Erbe weiterzugeben haben. Es gibt vieles, was wir aus der Wehrmacht übernommen haben, zu dem wir uns durchaus bekennen sollen, beispielsweise das Markenzeichen deutscher Soldaten, die Auftragstaktik. Die Schattenseiten der Wehrmacht wurden nicht in die Bundeswehr tradiert, sie wurden als "ungültiges Erbe" ausgeschieden.

Haben Besucher aus dem Ausland nicht absolutes Verständnis dafür, daß es so etwas wie Traditionzimmer in Einheiten der Bundeswehr für Traditionsverbände der Wehrmacht gibt?

SCHULTZE-RHONHOF: Andere Länder haben zu ihren Armeen ein unverkrampfteres Verhältnis. Auch die britische, holländische und andere Armeen haben zum Beispiel durch ihre Kolonialkriege eine Menge Dreck am Stecken. Das wird heute aber nicht dauernd erwähnt und reflektiert.

Warum nennen wir Kasernen nach Wehrmachtsgeneralen? Man sucht sich Vorbilder und nach denen benennt man Kasernen, Schiffe oder Geschwader. Das ist ein natülicher Vorgang. Wir haben eine ganze Reihe von sehr vorbildlichen Offizieren gehabt, nach denen wir durchaus Kasernen, Schiffe und Geschwader nennen konnten. Wir haben weiterhin in vielen Kasernen Lehrsammlungen, in denen wir taktische und operative Vorgänge aus dem Zweiten Weltkrieg dokumentieren, also Schlachten darstellen, um sie als Lehrbeispiele für unsere Ausbildung zu nutzen. Kriegsführung hat gewisse Regeln und die waren im letzten Krieg so, wie sie im vorletzten und wie sie im nächsten sein könnten. Dazu untersucht man, wie sich die Technik des Kriegshandwerkes und die Taktik in der Vergangenheit entwickelt haben. Das findet in Lehrsammlungen statt. Die sollte man nicht als Traditionszimmer bezeichnen. Daneben gibt es bei einigen Verbänden der Bundeswehr Beziehungen zu Wehrmachtverbänden, die in der gleichen Region stationiert waren oder die der selben Truppengattung angehörten. Das sind dann persönlichen Verbindungen von den alten Soldaten zu den jungen. Da gibt es durchaus Ausstellungsgegenstände von diesen ehemaligen Einheiten in solchen Erinnerungszimmern. Das halte ich auch für eine ganz natürliche Sache. Auch in anderen Berufen bewahrt man alte berufsbezogene Erinnerungsstücke auf.

Dagegen zielt nun die Anti-Wehrmachtsausstellung von Reemtsma und Heer…

SCHULTZE-RHONHOF: Die Ausstellung ist Sammelsurium von bildlichen Darstellungen, die man zeitlich und räumlich nicht mehr zuordnen kann, so daß man auch nicht feststellen kann, wer was wo gemacht hat. Man kann so auch nicht feststellen, welche gezeigten Hinrichtungen Unrechtsakte sind und welche die Folge ordentlicher Gerichtsverfahren. Sie ist auch eine Selektion, die durch ihre Unvollständigkeit zu falschen Schlüssen führt. Ich habe noch im Gedächtnis, daß in der "Wehrmachtausstellung" der sogenante Kriegsgerichtsbarkeitserlaß von Adolf Hilter dargestellt wird, in dem Hitler für den Rußlandfeldzug die Wehrmachtgerichtsbarkeit außer Kraft gesetzt hat. Dieser Akt Hitlers war ein an sich unglaublicher Vorgang. Der Vollständigkeit und Fairness halber hätte die "Wehrmachtsausstellung" aber auf der gleichen Schautafel zeigen müssen, daß die Heeresführung drei Wochen später diesen Erlaß für ihren Bereich durch einen entsprechenden Heereserlaß praktisch außer Kraft gesetzt hat. Dieses eine Beispiel zeigt die Tendenz dieser "Wehrmachtsausstellung".

Kann sich der Verteidigungsminister drücken, wenn solche vereinfachenden Angriffe auf die Wehrmacht öffentlich stattfinden?

SCHULTZE-RHONHOF: Es ist eine sehr persönliche Frage, die Sie dem Minister selber stellen müßten. Er selber hat sich in dieser Sache meiner Ansicht nach nicht ausreichend der Auseinandersetzung gestellt, wohl um die ganze Wehrmachtsdiskussion von der Bundeswehr und von seinem Amt fernzuhalten. Aber jetzt holt es ihn doch ein.

Es gibt viele Bundeswehrangehörige, deren Väter und Großväter Wehrmachtssoldaten gewesen sind. Wenn die Generation der Väter pauschal als Angehörige einer verbrecherischen Organisation diffamiert wird, dann trifft das doch wohl das Volk als Ganzes.

SCHULTZE-RHONHOF: Mich stört daran besonders, daß für junge Offiziere, Offizieranwärter und Soldaten das Bild entsteht, daß der Beruf anrüchig ist. Von dem Dreck, der durch Verallgemeinerung auf die Wehrmacht geworfen wird, bleibt ein Teil an der Bundeswehr hängen, ob die Bundeswehr das will oder nicht. Die Bundeswehr hat sich dem nicht gestellt und so getan, als wäre das eine Sonderveranstaltung, die nichts mit ihr zu tun hätte. So hat die Bundeswehrführung zumindest nicht erkannt, daß die Aktion "Wehrmachts-ausstellung" im Grunde gegen das deutsche Soldatentum an sich gerichtet ist.

Der Besucher läuft auf einem Eisernen Kreuz herum, das auf dem Boden der Wehrmachtsausstellung abgebildet ist. Das Eiserne Kreuz ist das Hoheitszeichen der Bundeswehr.

SCHULTZE-RHONHOF: Die Wehrmacht hatte ihre guten und ihre schlechten Seiten. Wir müssen uns das ganze Bild der Wehrmacht zeichnen, um dann daraus das Gute bewußt zu machen und zu übernehmen auch im Sinne des Vorbilds für die nächste Generation. Und man muß das Schlechte brandmarken als Abschreckung für die nächste Generation. Da wir aber weitgehend zur selektiven Wahrnehmung übergegangen sind und nur das Negative zeigen, bleibt für die nächste Soldatengeneration der Eindruck übrig, daß dieser Beruf in der Vergangenheit ein anrüchiger Beruf war. Und wer lebt schon gerne mit der Vorstellung, daß er selber in einen unsauberen Beruf geht. Die Bundeswehr selber hat sich nicht die Mühe gemacht, die Wehrmacht angemessen darzustellen. Ich habe vor kurzen ein Buch mit dem Titel "Wozu noch tapfer sein" geschrieben und dort den Versuch unternommen, zu erklären, warum unsere Vätergeneration 1939 aus subjektiv einsehbaren Gründen in den Krieg gezogen ist. Ich habe im Zuge dieser Darstellung versucht, die Wehrmacht in ihrer Janusköpfigkeit zu beschreiben.

Der Wehrmacht wird beispielsweise vorgeworfen, sich mit einzelnen Einheiten und Dienstellen an Judenvernichtungen beteiligt zu haben. Ich habe in Ergänzung dazu dargestellt, wie die führenden Generale der Wehrmacht sowohl im Fankreichfeldzug als auch im und nach dem Polenfeldzug energisch gegen die Judenvernichtung und die Judenverfolgungen vorgegangen sind und habe die Generale, die damals den Mut dazu aufbrachten, namentlich aufgezählt. Es ist wichtig und richtig, der nächsten Soldatengeneration beides darzustellen: Die Verstrickung der Wehrmacht in Unrecht und ihr Aufbegehren dagegen.

Ist das eigentliche Problem der Bundeswehr nicht ein antinationaler, antimilitärischer modischer Linkstrend, der schon seit den Siebziger Jahren das Militärgeschichtliche Forschungsamt und Ausbildungseinrichtungen der Bundeswehr erfaßt hat?

SCHULTZE-RHONHOF: So generell stimmt das nicht. Im Millitärgeschichtlichen Forschungsamt und an den Bildungseinrichtungen gibt es eine Mischung von links und rechts. Was ich im Augenblick sehe, ist allerdings, daß die Darstellung der Kriegsgeschichte aus eigener Sicht langsam unterliegt und daß man fast nur noch die Sicht der Sieger von 1919 und 1945 bringt.

Muß es nicht Aufgabe deutscher Historiker sein, identitätsstiftend Traditionen zu beschreiben, die in ein positives deutsches Nationalbewußtsein münden – jenseits der immer noch kultivierten These, daß eine Blutspur durch die deutsche Geschichte bis Auschwitz führt?

SCHULTZE-RHONHOF: Es gibt eben beides, und mit der Einseitigkeit der Darstellung verstellen wir unseren Blick für die eigentliche Identität. Wir sind zusehends dabei, auf unserem Weg nach Europa unsere nationale Identität zu verlieren. Die anderen Partnernationen tun das nicht. Sie fühlen sich als Fanzosen, Spanier oder Engländer und denken gar nicht daran, ihre nationale Identität aufzugeben. Sie können sehr gut Nation und Europa in Einklang bringen. Wir haben ja alle verschiedene Identitäten, die sich wie konzentrische Ringe um uns selber legen: Die erste Identität ist unser Ich, die nächste die Familie, die folgende unser soziales Umfeld, dann kommt die Identifikation mit den Menschen unserer Region, schließlich die Nation, danach Europa und zum Schluß die Menschheit insgesamt. Und jede Identität hat im Sinne der Subsidiarität ihre eigene Funktion. Aus diesen konzentrischen Kreisen kann man nicht einen wie die Nation herausnehmen. Man kann sehr wohl ein überzeugter Hamburger sein und ein überzeugter Deutscher und ein überzeugter Europäer. Alle anderen Nationen bringen es fertig, diese sich überlagernen Identitäten am Leben zu halten. Wir aber gehen den falschen Weg, wenn wir meinen, mit Europa oder mit der NATO Ersatznationen und Ersatzvaterländer schaffen zu müssen. Es ist an der Zeit, daß wir diese Besinnung auf uns selbst und die eigene Identität beleben, sonst sind wir bald im Kontext der Völker Europas Sonderlinge. In diesen Zusammenhang gehört auch ein Geschichtsbild, das nicht nur die Schattenseiten zur Kenntnis nimmt, sondern geistige Kristallisationspunkte nennt, an denen man sich aufrichten kann. Niemand möchte zur deutsche Nation gehören, wenn damit nur noch Schandtaten verbunden werden.

Zurück zur Bundeswehr. Einige Zeitungen meldeten kürzlich alarmiert, rund 20 Prozent der Offiziersanwärter bezeichneten sich als nationalkonservativ, weshalb dringender Handlungsbedarf bestehe.

SCHULTZE-RHONHOF: Wenn die Presse sich darüber aufregt, ist das eine Zeichen dafür, daß wir den Pluralismus in Deutschland aufgegeben haben. Das halte ich für besorgniserregend. Wenn die Presse diese 20 Prozent beklagt, kann das nur eine Presse sein, die sich wünscht, daß die gesamte Bevölkerung eben nicht rechtskonservativ sondern links ist. Eine solche Klage zeigt für mich einen Mangel an Bewußtsein für geistige und politische Freiheit.

Die Verschwörung des 20. Juli 1944 wurde bekanntlich von nationalkonservativen Offizieren betrieben…

SCHULTZE-RHONHOF: Im Dritten Reich ist das Offizierskorps der Wehrmacht auch weitgehend nationalkonservativ gewesen und hat deshalb über lange Zeit große Distanz zum braunen Regime gehalten, das eben nicht nationalkonservativ war, sondern aus damaliger Sicht linksprogressiv. Man muß die Dinge aus ihrer eigenen Zeit betrachten und die Wehrmacht hätte aus ihrer nationalkonservativen Sicht dem braunen Spuk mit einem Staatsstreich ein Ende bereiten können – wir sagen heute: sollen. Sie hielten sich damals aber für nicht befugt. Einer Armee Konservativismus vorzuwerfen, ist wie ihr die eigene Zweckbestimmung vorzuwerfen. Eine Armee hat den Staat zu erhalten, das ist ihre Aufgabe und von daher muß sie naturgegeben konservativ sein. Wenn sie das nicht wäre, dann würde sie öfter Staatsstreiche unternehmen, um die bewahrenden Teile im eigenen Lande zu mehr Progression zu bewegen – das kann ja wohl nicht der Sinn einer Armee sein. Und es ist absurd, der Armee immer die Treue zum vergangenen "Regime" vorzuwerfen, wenn das augenblickliche "Regime" selbst auf der Treue der Armee besteht. Das ist ein gespaltenes Bewußtsein: Die Armee hat vom Grundsatz immer dem Staat, dem sie gerade dient, treu zu sein. Was würde man denn heute sagen, wenn sich die Bundeswehr Gedanken darüber machte, ob sie diesen Staat weiter stützt oder nicht – das würde man ihr schwer verübeln.

Sie haben bei Ihrem Rücktritt als General erklärt, Sie seien nicht der Regierung, sondern dem Vaterland verantwortlich.

SCHULTZE-RHONHOF: Das war meine ganz persönliche Entscheidung. Es ist nunmal zwischen Regierung und Land zu unterscheiden. Die Regierung sollte das Land vertreten. Wir stellen aber immer öfter fest, daß die Regierung mehr den Machterhalt als das Wohl des Landes im Sinne hat.

Wünschen Sie sich einen gegenüber der politischen Führung kritischeren Soldaten?

SCHULTZE-RHONHOF: …ich mag das Wort kritisch nicht. Eine Abiturentin hat mir mal gesagt: Kritisch ist heutzutage das Markenzeichen aller Mitläufer. Man muß meckern, sonst steht man außen vor.

…meinetwegen also couragierte Soldaten?

SCHULTZE-RHONHOF: Ich möchte das anders ausdrücken. Der Offizier hat in seinem Urteil und Handeln selbständig zu sein. Er hat sich allein am Wohl des Staates auszurichten. Wir neigen leider mehr und mehr dazu, die Politik in die Loyalität mit einzubeziehen. Ich bin der konservativen Auffassung, daß der Offizier, der Beamte und der Richter zuerst dem Lande gegenüber verpflichtet ist. Durch die Parteizugehörigkeit der Beamten und Richter wird diese Loyalität eben auch sehr auf die Partei konzentriert, wo sie nicht hingehört. Das bedeutet in der Konsequenz, daß wir bei jedem Regierungswechsel die Beamten auswechseln müssen, weil sie der neuen Regierung nicht loyal gegenüber sind. Wenn sich die Loyalität ausschließlich auf das Land oder auf den Staat konzentriert, kann ein Beamter durchaus jeder Regierung gegenüber loyal sein wie das die Offiziere bisher waren. Doch jetzt wird der Versuch gemacht, Spitzen-Offiziere zu Parteieintritten zu bewegen. Das halte ich für völlig falsch.Die Führungselite eines Landes sollte zuerst dem Staat dienen und nicht zuerst einer Partei.


 
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