© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/98 02. Januar 1998

 
 
Tadschikistan: Gemeinsame Furcht vor den Taliban trug 1997 zu wichtigen Fortschritten bei
Ein Friede mit vielen Fragezeichen
von Otto von Schott (DOD)

Nach der Erklärung der Unabhängigkeit 1991 nahm in Tadschikistan ein Bürgerkrieg seinen Ausgang, dessen Bedeutung anfangs vom Westen kaum erkannt wurde. Er begann gegen die Dominanz der russischen Sprache und spiegelte vor allem eine Rückbesinnung auf die islamische Kultur wider, aber auch den schon 1989 unübersehbaren Protest der Bevölkerung gegen die Baumwollanbau-Diktatur und ihre negativen sozialen und ökologischen Folgen.

In dem stark zerklüfteten Bergland kreuzen sich russische und iranische Interessen, da die Tadschiken ein Volk iranischer Herkunft sind. Aber auch China ist an Tadschikistan interessiert, da es einen die Grenze übergreifenden ethnischen Konflikt in der Provinz Singkiang befürchtet.

Die ehemalige Sowjetrepublik Tadschikistan, heute der kleinste Staat unter den selbständig gewordenen mittelasiatischen Republiken, umfaßt ein Gebiet von 143.000 Quadratkilometern mit 59 Millionen Einwohnern (Stand 1989). In der Hauptstadt Duschanbe leben rund 640.000 Menschen. Davon waren vor der Unabhängigkeit 62,3% Tadschiken, 23,5% Usbeken, 7,6% Russen, 1,4%Tataren, 1,3% Kirgisen und 0,4% Juden. Nur 5,7% des Territoriums ist landwirtschaftlich nutzbar, etwa 90 Prozent ist Hochgebirge. Im Norden grenzt der Staat an Kasachstan, Kirgistan und Usbekistan, im Osten an die Volksrepublik China. Die politisch kritische Grenze zu Afghanistan im Süden ist praktisch nicht kontrollierbar und erstreckt sich über 1.300 Kilometer.

Die verschiedenen Landesteile sind verkehrsmäßig kaum miteinander verbunden und oft nur über hohe Pässe erreichbar. Tadschikistan zerfällt in regionale Kleinwelten mit eigenen Sprachvarianten und Kulturen, die weitgehend ein Eigenleben führen. Das ist eine schwere Hypothek für eine effiziente Verwaltung und vor allem für ein gemeinsames staatliches Bewußtsein.

Erst im Jahre 1868 ist Rußland nach Tadschikistan vorgestoßen. Der Khan von Kokand mußte sich dem Zaren unterwerfen. Dadurch gerieten der nördliche Teil Tadschikistans und das Fergana-Becken unter russische Herrschaft. Das südliche Gebiet Khahlon mit der Stadt Garm, das dem Emir von Buchara unterstand, kam nur unter die Oberhoheit von St. Petersburg, was allerdings eine militärische Präsenz einschloß. Damals wie heute spielte die Pamirregion mit dem bis zu 7.000 Meter aufragenden Gebirge, dessen südlicher Teil zu Afghanistan und dessen östliche Teile zu China gehören, eine Sonderrolle. Das von verschiedenen kleinen Völkerschaften, die sich sprachlich und konfessionell von den Tadschiken unterscheiden, bewohnte Hochgebirgsmassiv im Osten gehört zum heute autonomen Gebiet Berg-Badachschan (215.000 Einwohner). Im 19. Jahrhundert lag das unwirtliche Gebiet im Spannungsfeld der expandierenden Großmächte Rußland und Großbritannien.

Nach der Vertreibung des Emirs von Buchara durch die Sowjets wurde am 15. März 1925, allerdings innerhalb der Unionsrepublik Turkmenistan, die Sowjetrepublik Tadschikistan aus der Taufe gehoben. Wenige Jahre später, am 5. Dezember 1929, veranlaßte Stalin aus propagandistischen Motiven die Gründung einer "selbständigen" Sowjetrepublik Tadschikistan. Entgegen der sonstigen Russifizierungspolitik wurde eine tadschikische Nationalsprache anerkannt. Neue Hauptstadt wurde Duschanbe (bis 1961 "Stalinabad"), da die alten städtischen Zentren der Tadschiken – Buchara, Samarkand und Taschkent – bei der usbekischen Sowjetrepublik verbleiben sollten.

Letzteres war ein wichtiger Grund dafür, daß die jungen Intellektuellen sich in verstärktem Maße mit der paniranischen Welt identifizierten. Daraus wiederum resultierte ein verstärktes eigenes Nationalbewußtsein. Die Konflikte mit den Usbeken waren von Stalin beabsichtigt und folgten der Devise des "Teile und herrsche".

Seit dieser Zeit war die Beobachtung der verschiedenen Volksgruppen in Afghanistan eine vordringliche Aufgabe der russischen Ethnographen, um gegebenenfalls eine tadschikische Irredenta (die Zahl der Tadschiken in Afghanistan beläuft sich heute auf etwa 1,6 Millionen) zu unterstützen. Die Bolschewiki behandelten Tadschikistan als Einheit, obwohl unterschiedliche historische Voraussetzungen im Norden und im Süden des Landes vorhanden waren. Dadurch entstand im Süden ein wachsender Widerstand gegen die Zentralregierung. In den 20er Jahren brach der sogenannte "Bamnatschenaufstand" aus, der einen großen Teil Mittelasiens erfaßte und von den Sowjets erst 1936 endgültig niedergeschlagen werden konnte. Selbst die Führung der kommunistischen Partei des Landes wurde 1933 wegen "nationalistischer Tendenzen" abgesetzt, und noch 1937 "entlarvte" Ministerpräsident Rachimbajew Präsident Schotemer und mehrere Kommissare als "Verräter". Die Verwaltung brach daraufhin total zusammen. Anstelle der abgesetzten Tadschiken nahmen Russen alle wichtigen Ämter ein.

Im Jahre 1988 resultierte aus der Unzufriedenheit mit den Folgen der von Stalin initiierten Russifizierung und dem landwirtschaftlichen Totalumbau (endlose Baumwoll-Monokulturen) die Gründung einer Organisation mit dem Namen "Helfer des Aufbaus", die u. a. auch Tadschikisch als Amtssprache verlangte. Die sozialen Spannungen zwischen Russen und Tadschiken führten schließlich dazu, daß im Sommer 1989 Tadschikisch als Staatssprache proklamiert wurde. Angesichts der teils pogromartigen Auseinandersetzungen haben schon vor dem Februar 1990 etwa 100.000 Europäer, vor allem Russen, das mittelasiatische Land verlassen.

Am 24. August 1990 erfolgte nach heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen und auf Druck der streng islamischen Nahda-Partei die Unabhängigkeitserklärung. Der seit 1985 regierende KP-Präsident Nabajew wurde abgesetzt. Erstaunlich war dann jedoch, daß dieser bei den Wahlen im November 1991 trotz aller Wirren wiedergewählt wurde. Für den Süden des Landes war dies der Anlaß zur offenen Rebellion. Islamische und nationalistische Kämpfer beseitigten die dortige kommunistische Verwaltung. Die Koalitionsregierung in Duschanbe, die auch islamisch orientierte Kräfte einschloß, erwies sich als hilflos und konnte die Entwaffnung der Aufständischen nicht durchsetzen. Das vorwiegend russische Offizierskorps der 201. motorisierten Schützendivision lehnte eine Unterstellung unter die tadschikische Regierung ab, die über keine eigenen Truppen verfügte. Es erklärte sich als Bestandteil der Streitkräfte Rußlands und nahm nur von dort Befehle entgegen.

In dieser turbulenten Zeit unterstützten die Russen den als früheren Gewaltverbrecher bekannten Safarow, der unter der roten Fahne der kommunistischen Reaktion gegen die islamischen Gruppen der Nahda-Partei mit einer Mord- und Terrorkampagne zu Felde zog. Die Kämpfer der islamischen Partei, die übersetzt "Wiedergeburt" heißt, vertrieben den gewählten Präsidenten Nabajew aus der Hauptstadt. Nabajew floh in die nördlichen Gebiete. Aber auch die dortigen Bewohner usbekischer Dörfer wurden als Anhänger des Präsidenten auf grausame Weise massakriert. Aus Tadschikistan flohen etwa 500.000 Menschen nach Turkmenistan, in das Pamirgebiet, nach Usbekistan und Afghanistan. In diesem Chaos gaben die russischen Streitkräfte ihre bisherige weitgehende Neutralität auf, besiegten in erbitterten Kämpfen die Aufständischen und machten in Duschanbe den Parteigänger Rachmonow zum Präsidenten.

In dem Bürgerkriegsgemetzel sind damals etwa 50.000 Menschen getötet worden. Und trotz aller Versuche den Frieden herzustellen, ist Tadschikistan seit 1992 nicht zur Ruhe gekommen. Zunächst wurden für September 1994 Parlamentswahlen angesetzt, denen Bemühungen um eine neue Verfassung vorausgingen. Da der multiethnische Charakter Tadschikistans – sprich die Existenz einer noch immer großen Zahl von Russen – nicht berücksichtigt wurde, protestierte Moskau und berief sich auf den russisch-tadschikischen Freundschaftsvertrag von 1993. Die Wahlen mußten auf November 1994 verschoben werden, hatten aber auch nur eine geringe Aussagekraft, da keine Kandidaten der nach Afghanistan exilierten oppositionellen Regierung Nuri zugelassen wurden. Auch das Oberhaupt der tadschikischen Muslime, Turadschonsoda, durfte nicht antreten. Kein Wunder also, daß der Sieger Rachmonow hieß. Die russische Machtposition im Lande war – einstweilen – gesichert. Als Garanten fungieren bis heute die 201. motorisierte Schützendivision und die Speznaz-Einheiten mit ihren Kampfhubschraubern, wenngleich diese in den von den Rebellen beherrschten Pamirbergen wenig auszurichten vermögen.

Im Jahr 1996 gelang es dann den Truppen der Opposition, die Regierungsverbände in der autonomen Provinz Berg-Badachschan zu besiegen. Fast gleichzeitig, am 29. Juli, begann der Aufstand der Feldkommandeure Chuoiberyiw und Boimatow im Süden, die gegen die Hauptstadt vorstießen und den Rücktritt des Ministerpräsidenten Kirimow sowie einiger Regierungsmitglieder und insbesondere den Abzug der russischen Truppen forderten. Auch der Iran verstärkte seine Aktivitäten in der Region, und im Norden, rund um Chodschent, wo der Anteil der Usbeken bei 30% liegt, wurden großusbekische Pläne wieder wirksam. In Afghanistan eroberten die Taliban Kabul und stießen gen Norden in das Herrschaftsgebiet des tadschikischen Generals Masud vor, in dem sich auch die Zentrale der Opposition gegen Rachmonow befand.


 
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