© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/98  09. Januar 1998

 
 
Interview: Helmut Delbanco, Geschäftsführer des "Bundes für deutsche Schrift und Sprache"
Ein Stück deutscher Kultur
von Claus-M. Wolfschlag

Wie kommt man dazu, sich mit deutscher Schrift zu beschäftigen?

DELBANCO: Ich habe noch in der Schule die deutsche Schrift beigebracht bekommen, und schon damals gefiel sie mir persönlich besser als die lateinische. Sie scheint mir besser zur deutschen Sprache zu passen, da die Laute in bildhafter Form besser wiedergegeben werden. Außerdem ist es zwischen 1912 und 1935 wiederholt wissenschaftlich nachgewiesen worden, daß die deutsche Schrift im Grunde leichter lesbar ist als die Lateinschrift.

Aber meinen Sie denn, daß man heutzutage ein großes Problem damit hat, lateinische Buchstaben lesen zu können? Schließlich sind ja hierzulande alle modernen Medien in lateinischer Schrift wiedergegeben.

DELBANCO: Das Problem liegt leider anders herum. Natürlich begegnen uns heute immer wieder Leute, die erklären, daß sie die deutsche Schrift – und hierbei selbst die deutsche Druckschrift – nicht lesen können. Das liegt an einem Schulsystem, daß deutsche Schrift nicht in ausreichendem Maße unterrichtet. Die daraus resultierende Gefahr ist, daß die vor 1941 entstandene, also in Fraktur gesetzte Literatur von diesen Menschen zu lesen abgelehnt wird. Die Tradition wird also aus Gründen eines angeblichen Nicht-lesen-Könnens verworfen und die verwertbare literarische Geschichte läßt man deshalb erst im Jahre 1941 beginnen. Gerade dem wollen wir im Rahmen des "Bundes für deutsche Schrift" entgegenwirken.

Es ist also vor allem literarisches Traditionsbewußtsein, aus dem die Beschäftigung mit der deutschen Schrift resultiert?

DELBANCO: Ja, das kann man so sagen. Die deutsche Schrift ist ein Stück deutscher Kultur und Kulturgeschichte.

Was für Menschen stellen bei Ihnen Anfragen, oder engagieren sich im BfdS? Sind es nicht doch eher die älteren Leute, die ihre Schulkenntnisse etwas auffrischen möchten?

DELBANCO: Im April 1997 überschritt unsere Mitgliederzahl die Schwelle von 1000. Außer den Mitgliedern haben wir noch einige Hundert feste Leser. Unsere Zeitschrift geht zudem an etwa 200 Ministerien und Büchereien. Man kann die Gruppe der Interessenten eigentlich gar nicht eingrenzen, obwohl es sich natürlich vor allem um gebildete Menschen handelt. Von jungen Menschen ist ebensolche Resonanz zu spüren wie von alten. Also, es sind alle Altersklassen vertreten. Vor allem auch junge Leute verlangen Übungshefte und Lehrmaterial, weil sie die Meinung vertreten, daß man sich mit dem traditionellen Schriftgut beschäftigen sollte. Natürlich spielt auch Neugier eine große Rolle. Manche jungen Interessenten erzählen, daß ihre Großmutter auch in deutscher Schrift geschrieben hätte und sie so gerne das ein oder andere geerbte Buch oder eine handschriftliche Aufzeichnung lesen möchten. Alle Mitglieder und die meisten Leser sind dabei aufgeschlossen für die Gefahren, die der überlieferten Kultur des deutschen Volkes drohen.

In den Schulen hört man gelegentlich, daß deutsche Schreibschrift unterrichtet wird. Wie bewerten sie die Situation?

DELBANCO: Also bei den heutigen Lehrern ist natürlich keiner mehr dabei, der diese Schrift pflichtmäßig lernen mußte. Es gibt aber immer wieder einzelne, die sich die deutsche Schrift nachträglich angeeignet haben und sie in Projektwochen, im Kunstunterricht oder in Vertretungsstunden weiterzuvermitteln versuchen. Allerdings, auf dem Pflicht-Lehrplan steht das nirgendwo mehr.

Wenn man vor allem Schriften aus dem Bereich der politischen Linken betrachtet, dann wird die Frakturschrift immer mit einem beinahe "braunen" Image belegt, obwohl ja im Grunde 1941 durch Hitler die Frakturschrfit abgeschafft worden ist. Wie erklären sie sich das?

DELBANCO: Die Tatsache, daß die Nationalsozialisten die deutsche Schrift anfänglich gefördert haben, wird von den Medien heute eindeutig überbetont. Verdrängt wird dagegen, daß Hitler die deutsche Schrift verboten hat, was ja auch der Todesstoß für die deutsche Schrift sein sollte. Den genauen Grund für diese heutige Verdrängung weiß ich nicht. Ich vermute aber, daß eine Portion schlechtes Gewissen dabei ist. Schließlich befolgen wir heute noch den Befehl Hitlers, nur noch in Lateinschrift zu publizieren – und dieser unangenehmen Tatsache möchten sich die meisten Leute, möglicherweise auch aus Bequemlichkeit – nicht stellen.

Sie versuchen nun schon seit einigen Jahren in den neuen Medien Fuß zu fassen, haben Computerschriften auf Installationsdisketten entwickelt. Wieviel Schriften bieten sie mittlerweile an und wie sehen die weiteren Pläne aus?

DELBANCO: Es gibt mittlerweile in diesem Bereich 27 Schriften in etwa 40 bis 45 Schnitten, also in verschiedenen Größen, oder mager und halbfett. Für die Zukunft werden wir vielleicht nicht umhin kommen, die Schriften auch auf CD-Rom zu verkaufen. Diesbezügliches wird derzeit geprüft.

Welche Aufgaben neben der Pflege der deutschen Schrift liegen dem BfdS am Herzen?

DELBANCO: Einen wesentlichen Teil seiner Arbeitskraft und seiner Geldmittel hat der BfdS seit einigen Jahren zur Bekämpfung der Rechtschreibreform und zur Unterstützung einflußreicher Reformgegner eingesetzt. Laut Aussage des KMK-Sekretariats war das Anfang 1993 verfaßte wissenschaftliche Gutachten des BfdS zur Reform, obwohl unter Zeitdruck und widrigen Umständen erstellt, "die umfangreichste Stellungnahme", die zur Anhörung am 4. Mai 1993 in Bonn vorlag. Als "das in der Darstellung zur S-Schreibung genaueste" fand es ausdrückliche Anerkennung durch Professor Gerhard Augst, ungeachtet unterschiedlicher Grundüberzeugung in wesentlichen Punkten.


 
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