© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/98  16. Januar 1998

 
 
Massenhysterie: "US-Superstar" Leonardo Di Caprio steht für das Ende harter Filmhelden
Abschied von den Heroen
von Gerlinde Redwitz

Echte Helden machten das Kino einst groß. Tapfere Siegfrieds und animalische Conans, rächende Sheriffs und wüste Wikinger, knallharte Anwälte und smarte Geheimagenten. Gesiegt hat der, der den Kettensägenmörder erlegt und die Welt vor dem Untergang rettet, oder eiskalt im Duell seinen Nebenbuhler erschießt. Strebt ein Film nach höheren Weihen als denen des alternativen albanischen Stummfilmpreises, sind diese heldenhaften Attribute unverzichtbar, es sei denn, es handelt sich um Slapstick-Komödien oder aufgebauschte Mode-Problemfilme.

Doch die Zeit der großen Helden, der rauhen Exzentriker neigt sich unerbittlich ihrem Ende zu. Keine Frage, ein Filmheld ist auch privat ein Haudegen. Ein cooler Bruce Willis, der sein schmuddeliges Unterhemd und seine Halbglatze wie eine Krone der Männlichkeit trägt, oder ein Sean Connery, der der Welt beweist, daß altern interessant macht, diese Form des Filmheldentums erlebt in den späten Neunzigern ihre Götterdämmerung auf der Leinwand.

Statt dessen ist eine neue Generation im Kommen, eine Generation der sensiblen Schwiegersöhne. Mit dem teils deutschstämmigen (auch das noch!) Leonardo DiCaprio wird die neue Zeit auf den Mega-Leinwänden moderner "Multiplex"-Kinos eingeläutet. Er hat die Ehre als Hauptdarsteller im "teuersten Film aller Zeiten" mitzuwirken, in James Camerons Epos "Titanic".

Hartgesottene Kinogänger kennen DiCaprio bereits aus dem verfilmten Shakespeare-Drama "Romeo und Julia", in dem er als hawaiihemdtragender verliebter Heißsporn Romeo über die Leinwand tänzelt. Eigentlich hätte die Filmkarriere damit auch beschlossen sein können. Das in Pop-Art gehaltene Pseudo-Theater mit goldenen Colts ("Mein Schwert…") und breiten Ami-Schlitten ("Mein Pferd…") konnte mit einem infantil-nachdenklichen, potentiellen Wehrdienstverweigerer als Helden bei weitem nicht so überzeugen wie ein gestandener Richard Gere als Sir Lancelot in der Artus-Sage.

Doch nein, man verschont uns nicht mit dem Milchgesicht. Welcher Mann lädt seine Angebetete schon ins teure Kino ein, damit sie anschließend stundenlang vom "süßen Leonardo" schwärmt.

Doch DiCaprio ist nicht nur im Film ein schöner Schwächling, auch im wahren Leben offenbaren sich bei ihm die Abgründe der Banalität. Welcher Rummel nun um seine Oma gemacht wird! Die im Ruhrpott lebende alte Dame führt seit der "Titanic"-Hysterie ein Fernsehteam nach dem anderem durch die gutbürgerliche Küchenstube. Zwischen Spitzenvorhängen und Wandschmuck aus Bast entsteht das geheime Leibgericht DiCaprios: Reibekuchen. Logo: Das Rezept wird nicht verraten. Dennoch sahen wahrscheinlich mehr Menschen die im ranzigen Fett brutzelnden, pampigen Batzen als zum Beispiel Bios Ente à l’orange. Obligatorischer Kommentar für alle Star-Verwandten: "Er hat sich überhaupt nicht verändert und ist immer normal geblieben. Ihm ist der Erfolg nicht zu Kopf gestiegen." Ja, ja, schon gut. Das gleiche kennen wir schon von Tic Tac Toe…

Mal im Ernst. Man stelle sich vor: Bruce Willis’ Mama beim Streuselkuchenbacken? Unmöglich! Doch die gute Oma weiß Bescheid über ihren netten Enkel. Das Gerücht, DiCaprio hätte eine Affäre mit der Schauspielerin und zweifachen Mutter Demi Moore, dementiert sie souverän. Was will die reife Lady (immerhin über dreißig) mit so einem "jungen Ding"? Wo sie recht hat, hat sie recht. Und wenn ihr pubertäre Groupies auf dem Weg zum Supermarkt auflauern, um Autogramme des Enkels zu erhaschen, blockt sie ab :"Habt ihr überhaupt schon Schularbeiten gemacht?"

DiCaprio wurde von einem deutschen Fernsehteam bei der Premiere von "Titanic" nach seinem Leibgericht gefragt. Verlegen grinsend, die Hände tief in die Sakkotaschen vergraben, antwortete das Sensibelchen mit der "Haut eines viermonatigen Babys" (so die US-Presse): "Yes, Reibekuchen, hihi…" Sehr lustig.

Ein echter Star braucht Laster, die Menschen lieben ihn dafür. Ob es wie Harald Juhnke der klassische Alkoholiker ist, oder einer, der seine Frau betrügt, ja, er darf sogar ab und an einen Fotografen nach Herzenslust verprügeln wie Sean Penn oder Drogenexzessen frönen, die Fans verzeihen alles, sie erwarten es sogar. Nicht so hingegen bei DiCaprio. Der, so weiß die Berliner Zeitung zu berichten, fahre in seiner Freizeit mit seinen Freunden in der Gegend herum und trinke auf Parkplätzen Bier. Der junge Schauspieler mit der Statur eines Wigald Boning hat höchstens die Laster eines Mallorca-Urlaubers in der Hauptsaison. Sonst sitzt er wie gesagt lieber mit einem Six-Pack an der karierten Tischdecke, um Omis supergeheime Kartoffelpuffer zu verdrücken.

Nobel, wenn wir Deutschen uns diesem Kurs verweigern. Bei uns erleben verruchte Helden wie Götz George alias Horst Schimanski ihre Wiederauferstehung. Der Mann, der das Wort "Scheiße" auf deutschen Bildschirmen kultivierte, ist nach wie vor Trendsetter. Gefragt sind bei uns Männer, keine Memmen: ein Klaus Löwitsch, Heiner Lauterbach und Kay Wiesinger sind allgegenwärtig. Ohne diese rauhen Dreitagebärte, die ungeschliffenen Diamanten der Mattscheibe, läuft bei uns nichts. Anders in Hollywoods Filmwerkstatt. Zwar produzieren die Regisseure noch zahlreiche Filme mit den beliebten Alt-Haudegen. Doch drängen dort zunehmend die DiCaprios an die Macht, nette, liebe, völlig unaufregende Jungs die warm duschen und zum Rasieren nur ein nasses Handtuch benötigen.

DiCaprio, der Junge mit dem Namen der nach Gigolo und verdünntem Fruchtsaft klingt, ist kein Held, sondern eine Flasche, die Camerons 46.328 Bruttoregistertonnen-Tragödie unfreiwillig symbolischen Tiefgang verleiht. Die schöne, starke Titanic reißt das klassische Kinoheroentum mit in ihr Grab.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen