© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/98  16. Januar 1998

 
 
Die Euro-Klage: Karl A: Schachtschneider zum juristischen Kampf gegen die Währungsunion
"Es geht um die Freiheit der Völker"
von Dieter Stein

 

Herr Professor SCHACHTSCHNEIDER: Welchen Sinn hat dieser juristische Aufwand für eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, wenn es keinen breiten Widerstand aus der Bevölkerung gegen die Einheitswährung gibt?

SCHACHTSCHNEIDER:

Das ist eine interessante Frage: Es ist typisch, daß die Bevölkerung einerseits verzagt, weil sie sich hilflos wähnt, andererseits unsicher ist, weil die Faktenlage sehr schwer einzuschätzen ist. Das Volk ist getäuscht durch die außergewöhnlich starke Propaganda, die mit dem Einsatz vieler hundert Millionen Mark durch die Bundesregierung, Europäische Kommission und Banken, unterstützt von vielen Medien, betrieben wird. Es kommt hinzu, daß diejenigen, die mitreden könnten, die Geld haben, bereits gegen den Euro spekuliert haben. Sie haben ihr Geld in Dollar oder anderen Währungen angelegt und hoffen, daß sich ihre kleine Spekulation lohnt, daß sich ihr kleines Interesse verwirklicht. Das große Interesse, das jeder Bürger an einer erfolgreichen Volkswirtschaft haben muß, wird hinter das eigene Interesse zurückgestellt.

Viele Politiker und Banker haben längst erkannt, daß der Euro ein riskantes Unternehmen ist. Aber wegen ihrer persönlichen Interessen, vor allem wegen ihrer Karriereinteressen, machen sie weiter mit, weil der mächtige Kanzler großen Einfluß hat oder weil die Vorstände in den Banken sich für den Euro entschieden haben. So wird diese Politik durchgehalten. Hier erleben wir diese Zwiespältigkeit, die für Deutschland typisch ist – ein Opportunismus, verbunden mit der Hoffnung, es werde alle gleichermaßen treffen.

 

"Jeder Prozeß sollte aus republikanischen Gründen ein öffentlicher Prozeß sein"

Spielt aber nicht die Frage des öffentlichen Interesses eine Rolle bei der Entscheidung von Karlsruhe, Ihre Klage überhaupt zuzulassen?

SCHACHTSCHNEIDER:

Das Gericht weiß, daß die Bevölkerung gegen den Wechsel der Währung ist und daß hier Recht im Interesse des Rechtsfriedens mit Blick auf die Zukunft gesprochen werden muß. Das Gericht weiß, daß die politisch Verantwortlichen selbst unsicher sind und aus diplomatischen Gründen nach außen und aus taktischen Gründen nach innen nicht das sagen, was sie denken. Das Gericht kennt die Stimmungslage und weiß, daß ihm eigentlich nur eines übrig bleibt: nach den Prinzipien des Rechts zu entscheiden.

Die juristischen Chancen Ihrer Klage sind schwer zu bewerten. Setzen Sie nicht sogar stärker auf die öffentliche Wirkung Ihrer Klage?

SCHACHTSCHNEIDER:

Es sind bisher erst einige wenige Stimmen, die die Chancen der Klage als gering bewerten. Daß sich Hans-Hubert Klein, der als Verfassungsrichter am Maastricht-Urteil 1993 mitgewirkt hat, öffentlich äußert, sogar polemisch, daß nämlich der Medienaufwand oft umgekehrt proportional zu den juristischen Chancen stünde, finde ich für einen ehemaligen Richter nicht angemessen. Wir haben im übrigen keinen Medienaufwand betrieben – die Medien sind vielmehr auf uns zugekommen und haben uns gebeten, die Klage medienwirksam zu überreichen. Es ist auch gut, daß sich die Medien der Sache annehmen. Das ist ihre Aufgabe! Es ist wichtig, deutlich zu machen, daß es noch Sachverstand gibt, der sich gegen den Euro äußert. Jeder Prozeß sollte aus republikanischen Gründen ein öffentlicher Prozeß sein. Die Publizität ist immer noch der beste Garant für Wahrheitlichkeit und Richtigkeit. Das ist meine Überzeugung. Ein vertrauliches Verfahren, von dem kaum jemand Notiz nimmt, wird kaum zum Recht finden. Insofern haben wir in unserem Land große Nöte! Es wird in der Öffentlichkeit – die junge freiheit weiß das besser als ich – nicht offen und ehrlich diskutiert. Das will ich durchbrechen! Ich bin ein Anhänger der öffentlichen Diskussion im kantianischen Sinne. Ich entziehe mich keinem Gespräch. Es hat sicher große Wirkung auf das Bundesverfassungsgericht, daß die europäische, ja die Weltöffentlichkeit, auf das Gericht schaut.

In welchen wesentlichen Punkten verstößt die Bundesregierung gegen das Grundgesetz?

SCHACHTSCHNEIDER:

Wir müssen Grundrechte als verletzt rügen: Es sind Artikel 38 und Artikel 14. Artikel 38 gibt ein grundrechtsgleiches Bürgerrecht darauf, daß der Bundestag das deutsche Volk wirklich vertritt, das heißt: Alle Politik muß im wesentlichen vom Bundestag verantwortet sein. Die Gemeinschaftspolitik ist nur verantwortet, wenn sie vertragsgemäß ist; denn der Wille in Deutschlandist es, den Vertrag zu verwirklichen – nicht Vertragswidrigkeit. Dadurch wird die Einhaltung der vertraglichen Konvergenzkriterien ein Bürgerrecht. Ich glaube diese Rechtslogik ist nach dem Maastricht-Urteil, in dem dieses Recht erstmalig anerkannt wurde, unausweichlich. Artikel 14 gibt ein Bürgerrecht auf Stabilität: Wenn der Staat eine Inflationspolitik betreibt oder zuläßt, wie er es rechtlich betrachtet macht, wenn er eine Währungsunion entgegen der vertraglich geregelten Konvergenz einführt, dann ist das rechtlich Inflationspolitik, die die Eigentumsgarantie des Artikels 14 verletzt.

Welche inflationären Folgen wird der Euro Ihrer Einschätzung nach haben?

SCHACHTSCHNEIDER:

Die Schäden werden unermeßlich sein. Es wird sich sehr schnell zeigen, daß die Währungsunion gegen die Eigentumsgarantie und den Vermögensschutz gerichtet ist. Wir rechnen mit Vermögensverlusten bis zu 50 Prozent in relativ kurzer Frist.

Entscheidend ist: Keines der Konvergenzkriterien wird bei richtiger Interpretation derzeit erfüllt! Preisstabilität liegt überhaupt nicht vor, wenn keine gesamtwirtschaftliche Stabilität besteht. Das Gericht hat bewußt zwischen Preisstabilität und Stabilität unterschieden. Es ist ein starkes Stück, wie man derzeit meint, sagen zu können, die Konvergenzkriterien seien erfüllt. Zum Trost werden wir auf den Stabilitäts- und Wachstumspakt verwiesen. Dieser Pakt ist weder ein Rechtsakt, noch hat er eine Rechtsgrundlage und zudem verstößt er gegen den Gemeinschaftsvertrag.

"Es geht um die weitere Forcierung des Marktes – das sind Industrie und Bankinteressen"

Haben Sie eine Stufenklage geplant, falls das Gericht die Zulässigkeit der Klage verneint?

SCHACHTSCHNEIDER:

Selbstverständlich machen wir dann den nächsten Schritt. Das Argument, die Klage sei unzulässig, ist aber kläglich. Es ist uns klar, daß normalerweise nur Rechtsakte angefochten werden können. Doch schon im Bundesverfassungsgerichtsgesetz steht, daß die Grundrechte gegen grundrechtswidriges Unterlassen verteidigt werden können.

Ursprünglich hieß es, eine Währungsunion sei ohne eine politische Union nicht möglich. Sollen jetzt vollendete Tatsachen geschaffen und über den Euro der Euro-Staat ohne demokratische Legitimation erzwungen werden?

SCHACHTSCHNEIDER:

So ist es. Man versucht, dem deutschen Volk das Referendum über die Auflösung seiner Staatlichkeit zu verweigern und den Euro-Staat über den Euro zu erzwingen. Schon weil uns die Volksabstimmung verweigert wird, muß das zum Ausgleich das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Das Gericht hat im Maastrichturteil die Grenzen für die Aufgabe deutscher Staatlichkeit deutlich gezogen. Deshalb wird es mit aller Härte auf die Einhaltung der Konvergenzkriterien achten. Deutschland darf nur einer Stabilitätsgemeinschaft angehören, sonst muß es die Union verlassen. Die politische Klasse darf den Staat nicht gegen den Willen des Volkes auflösen. Mit dem Staat geht auch die Freiheit verloren. In einem Staat, in dem 360 Millionen Menschen oder mehr leben, gibt es kein Volk und darum keine Freiheit mehr. Ich bin Anhänger der kleinen Einheiten, ohne die es keine demokratischen und damit freiheitlichen Strukturen gibt. Es geht um die Freiheit!

Was sind denn dann die Hauptmotive der Euro-Befürworter?

SCHACHTSCHNEIDER:

Es geht um die weitere Forcierung des Marktes. Das sind Industrieinteressen und Bankinteressen. Der Wettbewerb tendiert wie immer zur Oligopolisierung, ja zur Monopolisierung. Die mittelständischen und kleinen Unternehmen werden untergehen. Die arbeitende Bevölkerung wird erheblich leiden, die Gewerkschaften gehören zu den Hauptverlierern…

…warum leisten diese keinen Widerstand?

SCHACHTSCHNEIDER:

…weil sie von ihrem ideologischen Internationalismus nicht lassen können. Kurz: Der Bevölkerung wird es sehr viel schlechter gehen. Es geht um eine Neugestaltung der Gesellschaft. Die aus Sicht der Herrschenden lästigen demokratischen Strukturen werden zurückgedrängt und die Führer Europas werden das Sagen haben. Sie benehmen sich schon jetzt wie Monarchen im Absolutismus und meinen, mit ihren Vereinbarungen ganz Europa regieren zu können. Wir haben auf europäischer Ebene keine demokratischen Strukturen und keine demokratische Kultur.

"Meine Vision ist ein Europa als Republik der Republiken, ein Europa der Völker"

Aber warum artikulieren nicht gerade die Oppositionsparteien hierzu eine Alternative?

SCHACHTSCHNEIDER:

Es ist unerklärlich, daß die Opposition nicht zumindest fordert, daß es auf dem Weg zum Euro mit rechten Dingen zugehen muß. Weil die SPD nicht handelt, sind wir als Bürger gezwungen, aktiv zu werden. Wir fühlen uns gewissermaßen als außerparlamentarische Opposition! Wir tun das, was eine Oppositionspartei tun müßte – unserem Beruf und unserem Fach verpflichtet.

Die Parteien versagen beim Euro?

SCHACHTSCHNEIDER:

Es wird an diesem Fall deutlich, daß der Parteienstaat am Ende ist und strukturell versagt. Wenn es nur noch darum geht, die Ämter zu verteilen – darum geht es doch nur! – dann versagt dieses politische System als ein freiheitliches System. Das ist meine Hauptsorge!

Entscheidet sich mit dem Euro das Schicksal des demokratischen Nationalstaats Deutschland?

SCHACHTSCHNEIDER:

Es entscheidet sich das Schicksal Deutschlands und Europas. Es geht nicht spezifisch um den nationalen Aspekt, sondern darum, daß das demokratische Prinzip heutzutage in Europa national gestaltet ist. Das ist die Wirklichkeit. Der Traum von einer Auflösung der Völker mit all den unterschiedlichen Kulturen und Sprachen ist eine Illusion. Meine Vision ist ein Europa als Republik der Republiken, ein Europa der Völker in einem freiheitlichen Miteinander. Das ist schon sehr weit gediehen. Das Europa des Euro ist ein Europa der Industrien, Banken, Parteien und Führer und richtet sich gegen die Völker.

Wenn der Euro dennoch kommt: Ist die Uhr anschließend noch zurückzudrehen?

SCHACHTSCHNEIDER:

Die Völker sind sehr duldsam und ertragen sehr viel. Es wird erhebliche Belastungen geben. Wir werden noch weiter in die Globalisierung hineingestoßen werden. Das wird für die sozialen Spannungen als große Erklärung herhalten. Wir müssen mit Sklavenarbeit konkurrieren. Das ist nicht leistbar und wird zu einer Demontage der sozialen Besitzstände führen. Damit wird der innere Frieden aufgekündigt. Man wird bald wieder aus der Währungsunion aussteigen müssen. Ob es dann aber noch ein unabhängiges Gericht geben wird, ist die Frage. Wenn das Gericht unsere Klage ablehnt, ist das der Anfang vom Ende der Verfassungsgerichtsbarkeit und damit des Verfassungsstaates in Deutschland. Ich will nicht übertreiben, aber ich sehe in der Währungsunion ein weichenstellendes Ereignis. Es geht um die Verteidigung des Rechtsstaates, der in der Ära Kohl in Gefahr gekommen ist.
 
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