© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/98  23. Januar 1998

 
 
"ABCM Zweisprachigkeit" in der Kritik: Medienoffensive französischer Bildungsvereinigungen
Gralshüter des Status quo im Elsaß
von Gabriel Andres

Wenn engstirnige, kurzsichtige Politiker den zweisprachigen Unterricht im allgemeinen und den im Elsaß im besonderen als eine Gefahr für den Zusammenhalt eines Staates bzw. einer Nation – in diesem Fall der französischen – werten, so grenzt das im heutigen Europa an Paranoia. Die benachbarte Schweiz mit ihren drei Staatssprachen dürfte der beste Beweis dafür sein, daß eine solche Gefahr nicht gegeben ist – in der Gegenwart noch viel weniger als dies in vergangenen Zeiten vielleicht der Fall war.

Wenn aber derartige Warnungen auch noch von Personen verbreitet werden, die im Bildungsbereich tätig sind, dann darf sich der um ein möglichst gutes Gedeihen der zarten Pflanze Zweisprachigkeit bemühte Elsässer fragen, was denn das für Pädagogen sein mögen. Nun, es handelt sich um Mitglieder zweier Vereinigungen im Oberelsaß: der "Association de défense et de promotion de l‘enseignement francaise" (Vereinigung zur Verteidigung und Förderung des französischen Unterrichts, ADPEFF) und der "Ligue de l‘enseignement du Haut-Rhin" (Liga für das Lehrwesen im Oberelsaß). Der Zeitung Dernières Nouvelles d‘Alsace zufolge entnehmen diese selbsternannten Hüter der republikanischen Integrität den Bemühungen der Befürworter eines paritätischen zweisprachigen Unterrichts im Elsaß, der der französischen und der deutschen Sprache die gleichen Rechte einräumt, "regionalistische, autonomistische und ethnische Konnotationen".

Ganz besonders nehmen diese Leute die Vereinigung ABCM aufs Korn, jene private Kulturorganisation, der es ganz wesentlich zu danken ist, daß sich der zweisprachige Unterricht in elsässischen Kleinkinder- und Grundschulen endlich ersprießlich entwickelt, wenngleich noch in ungenügendem Ausmaß. Die ABCM hat sich nach Ansicht der republikanischen Sprachhüter sogar erfrecht – und darin liegt wohl der eigentlich Grund der Empörung –, den bilingualen Unterricht zugunsten des Deutschen verlagern zu wollen. Bisher ist es allerdings erst die Existenz eines entsprechenden Vorschlags, die Frankreich "in Gefahr bringt". Konkret geht es um die Anregung, die Quote des Deutschunterrichts zum Zweck einer Korrektur der jahrzehntelangen gänzlichen Entfremdung von der Muttersprache auf zwei Drittel zu erhöhen.

Die ADPEFF und die Liga beanstanden wohlgemerkt keineswegs den zweisprachigen Unterricht "à l‘alsacienne", sondern dessen "Exzesse und die politischen Hintergedanken gewisser Befürworter" (DNA). Sie sind auch der Meinung, die geforderte Bilingualität nehme nicht genügend Rücksicht auf andere Sprachen. Deswegen wenden sie sich mit dem Aufruf an alle Republikaner, "eine Widerstandsbewegung zu gründen". Das Motto: "‚Ja‘ zum Schutz der regionalen Sprachen und Kulturen, ‚nein‘ zum geforderten Plus zur Parität!"

Wo tatsächlich die Gefahr lauert, darüber kann man indes auch anderer Ansicht sein, zumal die regelmäßig bekanntgegebenen Resultate des paritätischen Unterrichts durch die Bank äußerst positiv sind. Die besagten Ängste sind absurd, wenn man sich vergegenwärtigt, daß der bilinguale Unterricht noch längst nicht in allen Schulen des Elsaß eingeführt ist. Und selbst dann käme die französische Sprache angesichts ihrer allgegenwärtigen Präsenz sicherlich nie in Gefahr, aus dem Land zwischen Vogesen und Rhein zu verschwinden.

Plump, aber möglicherweise dennoch nicht ganz ohne Wirkung ist bei der zur Debatte stehenden Protest-Initiative der Seitenhieb auf die Regionalisten und Autonomisten und erst recht die hinterlistige Erwähnung einer "ethnischen Konnotation". Jene Pädagogen und Lehrer, die für eine vollwertige Ausbildung der ihnen anvertrauten Kinder verantwortlich sind und dafür großen Einsatz bringen, auf solche Weise politisch abzustempeln, ist ebenso rücksichtlos wie gemein. Nicht zuletzt handelt es sich um eigentlich völlig überholte Mechanismen, die so in Gang gesetzt werden sollen.

Davon abgesehen: Was für eine Gefahr für die französische Nation stellen elsässische Regionalisten oder Autonomisten eigentlich dar? Was verlangen sie Schlimmes? – Doch nichts anderes als die Selbstverwaltung für Elsaß-Lothringen, wohlgemerkt innerhalb des französischen Staatsverbandes!

Sollte letzteres wirklich ein Verbrechen sein, oder handelt es sich bei den Vorhaltungen nur um aus der (auch im Elsaß von politischer Korrektheit verpesteten) Luft gegriffene Polemiken. Aus der Luft gegriffen, um die Elsässer in ihrer langsamen, aber stetigen Rückkehr zur angestammten Muttersprache doch noch aufzuhalten. Die Regionalisten und Autonomisten kämpfen mit offenem Visier für ihre kulturpolitischen Ziele. Mögen ihre Gegner das doch auch tun und offen zugeben, daß es ihnen in erster Linie darum geht, die verhängnisvolle Assimilationspolitik fortzusetzen.

Weder die Regionalisten noch die Autonomisten sind gegen den Unterricht in anderen Sprachen. Aber sie beharren auf ihrem Menschenrecht, ihre Muttersprache bewahren zu dürfen, und zwar in beiden Formen: in Gestalt des Hochdeutschen wie des Dialekts. Vor diesem Hintergrund und eingedenk der weitgehenden Entfremdung von der eigenen Sprache, der die Elsässer und teilweise auch die Lothringer über lange Zeit ausgesetzt waren, ist das von ABCM angedeutete Verhältnis zwei Drittel zu ein Drittel zugunsten des Deutschunterrichts gerechtfertigt und sollte nun im Sinne der Meinungsfreiheit mit allen Pros und Contras in der Öffentlichkeit und von den zuständigen Stellen diskutiert werden.


 
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