© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/98  23. Januar 1998

 
 
Wirtschaftskrise in Asien: Auswirkungen auf deutsche Firmen
Banken müssen bluten
von Arne Schimmer

Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt gibt sich gelassen. Er befürchtet kein Übergreifen der wirtschaftlichen Krise in Asien auf Deutschland, und außerdem befänden wir uns ja heute in einer internationalen Verantwortungs- und Schicksalsgemeinschaft. Tatsächlich ist schwer abzuschätzen, in welchem Maße die deutsche Wirtschaft von den Folgen der Asienkrise betroffen sein wird. Klar ist jedoch, daß es zwei Wege gibt, über die sie sich nach Deutschland ausbreiten könnte.

Die erste Möglichkeit ist ein Kollaps der Finanz- und Aktienmärkte, der nach Tokio und New York auch Frankfurt erreichen würde. Das japanische Finanzministerium teilte vergangene Woche mit, daß sich die notleidenden Kredite in Japans Banken auf über eine Billion DM (!) summieren – dreimal mehr, als bislang angenommen. Dazu kommt noch einmal fast dieselbe Summe an Ausleihungen, die "unter Beobachtung" stehen, von denen sich im Ernstfall einer Untersuchung der japanischen Zentralbank zufolge rund 17 Prozent in notleidende Kredite umwandeln.

Wenn sich der Kollaps des japanischen Finanzsektors unkontrolliert vollziehen würde, so daß die Banken zur Deckung eigener Schulden gezwungen wären, ihre großen Bestände an amerikanischen Staatsanleihen im Wert von 350 Milliarden Dollar zu verkaufen, würde dies den globalen ökonomischen GAU bedeuten. Auch deutsche Banken haben, verlockt durch die hohen Renditen in den "Tigerstaaten", insgesamt 200 Milliarden Mark vor allem nach Singapur, Hongkong und Südkorea ausgeliehen. Nun muß beispielsweise die Bayerische Landesbank, die mit einem Kreditvolumen von 20 Milliarden Mark stark im Südostasiengeschäft engagiert war, einen dreistelligen Millionenbetrag in ihrer Bilanz zurückstellen. Knallhart reagierte die internationale Bewertungsagentur Moody’s, die die Bonität der Commerzbank, die ebenfalls hohe Kredite nach Südostasien vergeben hatte, in den Geschäftsbereichen "langfristige Schuldverschreibungen" und "Finanzstärke" herabstufen will. Für Geschäftsbereiche der WestLB,, der NordLB und der Bayerischen Landesbank erwägt Moody’s ähnliche Maßnahmen.

Der zweite Weg, über den Deutschland in den Sog der Asien-Krise geraten kann, ist der einer sich selbst verstärkenden Deflationsspirale aus sinkenden Devisenkursen, Aktien- und Immobilienpreisen, fallenden Zinsen, sinkenden Unternehmensgewinnen, geringeren Einkommen und höheren Arbeitslosenzahlen. Die einzige Möglichkeit zur Rückzahlung ihrer hohen Auslandsschulden besteht für die "Tigerstaaten" nämlich in einer Exportoffensive und der Überschwemmung des Weltmarktes mit ihren durch die abgestürzten Wechselkurse konkurrenzlos günstigen Produktion. Aus diesem Grund wird ein Sinken der Weltmarktpreise von Autos, Computern und Farbfernsehern um 20 Prozent noch in diesem Jahr erwartet.

Eine bange Frage von Beobachtern lautet, wie lange sich der Hongkong-Dollar und die chinesische Währung Renminbi dem Abwertungsdruck entziehen können. Bis jetzt hatte der Hongkong-Dollar mit den hohen Devisenreserven Pekings in der Hinterhand die Dollarbindung aufrechterhalten können und war somit der letzte noch stehende Dominostein in der Region, allerdings nur um den Preis hoher Zinsen, die die Konjunktur erdrosselten. Auch China, das sich nach außen gern als "Fels der Stabilität" in der Brandung des Finanz-Taifuns darstellt, wird eine Abschwächung des wegen des drohenden Millionenheeres an Arbeitslosen dringend benötigten Wirtschaftswachstums prognostiziert, so daß es sich trotz der offiziellen Dementis Pekings zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit zu einer Abwertung des Renminbi entschließen könnte. Das wäre für die gesamte Region das Signal für einen Einbruch der Währungen und Aktienmärkte.

Der erhöhte Rationalisierungsdruck aus Südostasien wird auch in den Bereichen Stahl, Chemie und Bau zu spüren sein und zu weiteren Gewinnverschlechterungen bei deutschen Unternehmen führen. Deutschen Großunternehmen wie Schering, Bayer, der Metallgesellschaft und Hoechst, die an die 20 Prozent ihres Umsatzes in Asien erwirtschaften, bricht ein in den Vorjahren mit zweistelligen Zuwachsraten gesegneter Exportmarkt weg, da größere Investitonsprojekte und Infrastrukturmaßnahmen in den "Tigerstaaten" vorerst auf Eis gelegt werden.

Der Kraftwerk- und Anlagenbauer Deutsche ABB wurde schon von der Asienkrise eingeholt und kündigte diese Woche einen Abbau von über 800 Arbeitsplätzen in den Werken Berlin-Pankow und Mannheim an, da der internationale Preissturz und der Wegfall geplanter Großprojekte in Südostasien wie der Bau eines riesigen Kraftwerks in Bakun in Malaysia das Unternehmen zu diesem Schritt zwängen.

Den Optimismus von Wirtschaftsminister Rexrodt will Bronwyn Curtis, die Londoner Chefvolkswirtin des japanischen Wertpapierhauses Nomura, nicht teilen. Die Expertin verriet dem Handelsblatt: "Auch auf die deutsche Industrie kommen mächtige Probleme zu, doch die Auswirkungen der Asien-Krise wird die deutsche Industrie frühestens in drei bis vier Monaten erkennen. Es mag durchaus sein, daß die Währungsunion kommt, daß es aber danach zu wirtschaftlichen Spannungen kommt, weil das Export- und Wirtschaftswachstum fehlt."

Überhaupt ist der Zusammenhang zwischen Asien-Krise und Währungsunion bisher ein Tabuthema. Sollte das Wirtschaftswachstum in Frankreich nämlich statt der prognostizierten 3 Prozent nur 2,5 Prozent oder weniger erreichen, dürfte für Frankreich die Eingrenzung der öffentlichen Neuverschuldung auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit das Erreichen der Maastricht-Kriterien unmöglich werden. Doch vor solchen Fragen werden die europäischen Politiker durch "die Gnade des früheren Gipfeltermins" (FAZ) geschützt.


 
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