© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   06/98  30. Januar 1998

 
 
Evangelische Kirche: Mobbing als Mittel zur Machterhaltung
"Wer nicht pariert, fliegt"
Klaus Motschmann

Seit einiger Zeit mehren sich Berichte über das Mobbing in der evangelischen Kirche, nachdem davon nicht mehr nur konservative, sondern in zunehmendem Maße auch linke Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter betroffen werden. So war kürzlich unter Berufung auf den Hamburger Mobbing-Experten Udo Möckel, früher Sozialsekretär beim kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt und damit konservativer Neigungen unverdächtig, in derWelt zu lesen, daß bundesweit in den evangelischen Landeskirchen "rund 400 Fälle allein von Pastorinnen und Pastoren bekannt" seien, "die systematisch von Vorgesetzten, Kirchengremien und Kollegen verleumdet, denunziert und schließlich ins Abseits gedrängt würden. Auch bei anderen kirchlichen Mitarbeitern – Küstern, Kindergärtnerinnen, Verwaltungsangestellten, Diakonen oder Kantoren – greift Mobbing um sich."

Die Bischöfe oder die zuständigen Kirchenleitungen bestätigen diese Zahlen nicht, bestreiten aber die Tatsache an sich auch nicht. So ist die Rede von notwendigen Personaleinsparungen, von Stellenstreichungen und von "Einzelfällen" – ein Argument, das in anderen Zusammenhängen, etwa bei der Bundeswehr, gerade von den Kirchen nicht akzeptiert wird.

Nun hat es Mobbing in allen Bereichen der Gesellschaft immer gegeben, auch in den Kirchen. Neu sind allenfalls die Argumente, mit denen das Mobbing entweder so lange wie möglich nach außen verdeckt oder aber nach innen gerechtfertigt wird. Dabei wird nicht immer deutlich, wo die Unfähigkeit im Erfassen politischer Phänomene aufhört und wo die bewußte Irreführung der Öffentlichkeit beginnt.

Wenn heute von den Bischöfen und Kirchenleitungen Sparzwänge aufgrund der angespannten Finanzlage der Kirchen zur Erklärung des vielfachen Mobbings herhalten müssen, dann sollte die Frage nach den Gründen für diese Entwicklung gesehen werden. Aber sie wird in der Kirche nicht gestellt, und wer sie stellt, ist selbst vom Mobbing bedroht. Damit ist eine wesentliche Konsequenz des Mobbings angesprochen: die Sicherung von Herrschaft.

Es gehört zu den Binsenweisheiten, daß Herrschaftsverhältnisse in Gesellschaft und Politik – und eben leider auch in den christlichen Kirchen – nur mit der berechtigten Hoffnung auf Pfründe errungen und durch Garantie dieser Pfründe dauerhaft gesichert werden können. Herrschaft ist immer angewiesen auf einen Herrschaftsapparat, und dieser auf eine gläubige Gefolgschaft, auf einen "menschlichen Apparat".

Um dem Einwand extravaganter Deutungen des Mobbings als eines Herrschaftsinstruments zu begegnen, sei Max Weber, Nestor der deutschen Soziologie, zitiert. In seiner Schrift "Der Beruf zur Politik" (1920) heißt es: "Wer immer mit diesem Mittel (der Gewalt, K.M.) paktiert, zu welchen Zwecken immer – und jeder Politiker tut das –, der ist seinen spezifischen Konsequenzen ausgeliefert. In besonders hohem Maß ist es der Glaubenskämpfer, der religiöse wie der revolutionäre. (…) Von dem Funktionieren dieses seines Apparates ist der Führer in seinem Erfolg völlig abhängig. Daher auch von dessen – nicht von seinen eigenen – Motiven. Davon also, daß er der Gefolgschaft: der roten Garde, den Spitzeln, den Agitatoren, deren er bedarf, jene Prämien dauernd gewährt werden können. Was er unter solchen Bedingungen seines Wirkens tatsächlich erreicht, steht daher nicht in seiner Hand, sondern ist ihm vorgeschrieben durch jene ethisch überwiegend gemeinen Motive des Handelns seiner Gefolgschaft, die nur im Zaum gehalten werden, solange ehrlicher Glaube an seine Person und seine Sache wenigstens einen Teil der Genossen beseelt."

Soweit Max Weber. Als die "Sozialisten aller Landeskirchen" im Zuge ihres Marsches durch die Institutionen der evangelischen Kirche Position um Position erringen konnten, haben sie diese Grundregel der Herrschaftssoziologie exakt beachtet: Sie haben durch Schaffung immer neuer Stellen einerseits die Erwartungen ihrer Gefolgschaft befriedigt und gleichzeitig durch sogenannte Funktionspfarrämter einen "menschlichen Apparat" zur Durchsetzung der marxistischen Ideologie geschaffen; andererseits aber auch ein Überangebot an Bewerbern, das eine zuverlässige Auswahl und eine Disziplinierung der Stelleninhaber ermöglicht.

Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zur katholischen Kirche. Dort herrscht – wegen des Zölibats – Priestermangel, insbesondere auch beim Nachwuchs. In der evangelischen Kirche, in der eine Theologenschwemme eine rigide Personalpolitik nach dem alten sozialistischen Grundsatz "Wer nicht pariert, der fliegt" ohne jede Schwierigkeit möglich macht – werden damit die in den vergangenen 30 Jahren errungenen Herrschaftspositionen stabilisiert.

Eine Änderung des Meinungsklimas ist nicht in Sicht. Die deutlich spürbaren Wandlungen im Bewußtsein und im Lebensgefühl der jungen Theologengeneration, unter anderem hervorgerufen durch diese Praktiken der inzwischen fest etablierten kirchlichen 68er, wirken sich unter diesen Umständen vorerst noch nicht auf das noch immer weithin marxistisch geprägte Meinungsklima in der evangelischen Kirche aus. Aus vordergründigem politischen Interesse wird zwar die Illusion gepflegt, daß sich mit einem Generationenwechsel auch ein kirchenpolitisch-theologischer Wechsel in der evangelischen Kirche vollziehen werde. Aber wie? So einfach, wie es die evangelische Kirche den 68ern bei ihrem Durchmarsch durch ihre Institutionen gemacht hat, wird es für die jetzige Theologengeneration für längere Zeit nicht sein. Alles Gerede von antiautoritärem Verhalten und herrschaftsfreien Lebensformen und Diskursen hat die 68er nicht davon abgehalten, straffe Herrschaftsformen zu schaffen und dauerhaft zu sichern.

Es ist richtig, daß das Engagement für den Sozialismus in der evangelischen Kirche nicht mehr ganz so ungehemmt wie in den siebziger und achtziger Jahren zum Ausdruck kommt. Warum auch? Dafür gibt es gut dotierte berufliche und gesellschaftliche Positionen, unkündbare Stellungen, Beihilfeberechtigung und Pensionsansprüche – sofern man nicht gegen die Gebote der political oder theological correctness verstößt. Ganz abgesehen davon kommt, wie nach jeder Revolution, der "traditionalistische Alltag" wieder – mit allen vorhersehbaren Konsequenzen, wie bereits Max Weber schreibt: "Wie bei jedem Führerapparat, so auch hier, ist die Entleerung und Versachlichung, die seelische Proletarisierung im Interesse der ‘Disziplin’, eine der Bedingungen des Erfolges. Die herrschend gewordene Gefolgschaft eines Glaubenskämpfers pflegt daher besonders leicht in eine ganz gewöhnliche Pfründnerschicht zu entarten."

Niemand wird behaupten wollen, daß dies die leitenden Motive aller Bischöfe und Kirchenleitungen sind, wenn sie sich unter dem Zwang der finanziellen Notlagen zu einschneidenden personalpolitischen Entscheidungen entschließen müssen. Sie sollten aber diese Entscheidungen so treffen, daß die Bereitschaft zu einem gründlichen Kurswandel erkennbar wird. Bislang ist er nicht erkennbar. Deshalb dürfte das Mobben in der Kirche auf absehbare Zeit noch anhalten.


 
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