© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   06/98  30. Januar 1998

 
 
Reemtsma-Ausstellung: Diskussion mit Kritikern der Ausstellung
Nur ein Teil der Wahrheit
von Hans-Holger Malcomess

Hannes Heer lügt nicht, trotzdem erzählt er das Gegenteil der Wahrheit, weil er nur die dunklen Seiten der Wehrmacht beleuchtet." So äußerte sich unter anderem Generalleutnant a. D. Franz Uhle-Wettler am vergangenen Donnerstag auf einer Podiumsdiskussion der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung mit dem Thema: "Reemtsma-Ausstellung: Aufklärung oder Hetze?"

Weitere Podiumsgäste waren der PDS-Bundestagsabgeordnete Heinrich Graf von Einsiedel und Oberstleutnant a. D. Alfred Mechtersheimer, Initiator der Deutschland-Bewegung. Volker Beck, rechtspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag und eifriger Befürworter einer Pauschalrehabilitierung aller Deserteure, hatte seine Teilnahme wenige Stunden vorher per Fax abgesagt. "Ich lasse mich nicht für eine Veranstaltung mißbrauchen, bei der rechtsextremistischen und neonazistischen Politikern ein Podium geboten wird." Wen er damit meinte, blieb allerdings unklar. Ebenfalls eingeladen war Jan Philipp Reemtsma, aber weder er noch ein Vertreter ließen sich blicken.

Nach einer kurzen Begrüßung des Moderators Guido Mathes von der Landeszentrale stellte Heinrich Graf von Einsiedel zuerst fest, daß der Titel der Diskussion schon ein Vorurteil der Veranstalter zeige, indem das Wort "Hetze" im Zusammenhang mit Reemtsmas Ausstellung verwendet würde. Danach begann er, ein vorbereitetes Manuskript zu verlesen. In diesem behauptete er, daß der Hauptschuldige für die Hitler-Verbrechen die Wehrmacht gewesen sei, da sie neben der Partei die zweite tragende Säule des Dritten Reiches darstellte und sie den "SS-Mördern" den Weg freigeschossen habe.

Franz Uhle-Wettler schilderte als Beispiel für die Wirkungskraft von Bildern ein Erlebnis von 1941, als er mit einem Freund einen NS-Hetzfilm über die englischen Konzentrationslager sah, in denen 1899 bis 1902 Tausende südafrikanischer Buren ihr Leben lassen mußten. Wäre nach der Vorstellung ein Engländer im Kino erschienen, so wäre es ihm bestimmt nicht sehr gut ergangen. Daraus zog Uhle-Wettler die Schlußfolgerung: "Bilder können ungeheuerlich wirken, besonders, wenn ihnen keine eigenen Erfahrungen gegenüberstehen. Wenn dazu noch kommt, daß sie nicht sauber ausgewählt und nicht sauber kommentiert werden, dann manipulieren sie." Genau dies träfe auf die Reemtsma-Ausstellung zu. Sie zeige auch nichts Neues, da schon seit Jahrzehnten bekannt sei und nicht bestritten werde, daß die Wehrmacht nicht nur in Verbrechen verstrickt, sondern auch an ihnen beteiligt war.

Aber, so Uhle-Wettler, dies wäre eine typisch westdeutsche Art von Vergangenheitsbewältigung, bei der moralisch über andere Personen gerichtet werde und die von dem Grundsatz ausgehe, daß Verbrechen nur von Deutschen begangen worden seien. Dies lehne er ab: "Die gleiche Ausstellung hätte für jede Armee des Zweiten Weltkrieges organisiert werden können!" Der starke Beifall der Mehrheit des Publikums zeigte, wie sehr er damit einen offenliegenden Nerv getroffen hatte.

Mit Blick auf die wachsenden Proteste gegen die Machart der Ausstellung zitierte Mechtersheimer den russischen General Alexander Lebed, der bei seinem letzten Deutschland-Besuch in das Gästebuch des KZ Dachau schrieb: "Kann es sein, daß jemand, der mit Pistolen auf die Geschichte schießt, Kanonenkugeln zurückbekommt?" Die Wehrmachtsausstellung richte sich gegen die "Identität der deutschen Nation".

Interessante Details wußte Mechtersheimer über die Vorgeschichte der Ausstellung zu berichten. So nahm Reemtsma 1993 Kontakt mit dem Würzburger Kommunikationsdesigner Christian Reuther auf, der dann in in seinem Auftrag und von ihm finanziert zwei- bis dreimal nach Moskau, Minsk und in andere russische Städte gefahren sei, um aus den Archiven dem Ausstellungszweck entsprechende Fotos zusammenzustellen. Reuther gab in einem späteren Interview zu, daß ungefähr 80 Prozent der ausgewählten Fotos entweder unscharf oder sonstwie in ihrer Qualität beeinträcht gewesen seien, so daß eine "Nachbearbeitung" mittels Retuschierung durchgeführt werden mußte.

Mechtersheimer kritisierte, daß bei zwei Dritteln der gezeigten Fotos der Ort unbekannt sei und in der Ausstellung nicht ausreichend der Kontext erläutert würde. Er verwies auf Stalins "Fackelmännerbefehl" vom 17. November 1941, in dem Sowjetsoldaten angewiesen wurden, in deutschen Uniformen Verbrechen zu begehen. "Für das Hamburger Institut für Sozialforschung war bei der Konzipierung der Ausstellung die politische Absicht bestimmend und nicht die wissenschaftliche Zielsetzung", erklärte Mechtersheimer.

Schließlich ging er noch auf die NS-Verstrickungen von Jan Philipps Vater, Fürchtegott Reemtsma, ein, der sich durch Bestechung das Wehrmachtsmonopol bei der Zigarettenbelieferung gesichert und dadurch den Grundstock für das heutige Millionenvermögen seines Sohnes gelegt hatte. Mechtersheimer vermutete, daß es auch ein persönliches Problem der Vergangenheitsbewältigung sein könne, das Jan Philipp Reemtsma bewogen habe, die Ausstellung zu finanzieren. Bei diesen Worten stand Graf von Einsiedel abrupt auf und stieß von sich: "Das ist ja unerträglich. Ich muß mir das nicht mehr länger anhören!" Dann verließ er mit schnellen Schritten den Saal. Mechtersheimer reagierte unbeirrt: "Schon der Ausstellungstitel ist eine Provokation, weil es heißt: Verbrechen der statt in der Wehrmacht!". Der lautstarke Beifall signalisierte ihm Zustimmung.

Franz Uhle-Wettler sah die Wehrmachtsausstellung als Ausdruck des typischen Klimas in der Bundesrepublik, daß alles Deutsche der letzten Jahrhunderte schwarz angemalt und negativ interpretiert werde. "Auch andere Völker haben ihre schwarzen Flecken!" Die Ausstellung sei die Kultivierung eines bestimmten Schuldbewußtseins. Das "Wir" gäbe es heutzutage nur noch, wenn von deutscher Schuld gesprochen werde.

Ein russischer Kriegsteilnehmer, der in der Roten Armee gegen die Deutschen kämpfte, meldete sich mit Hilfe einer Dolmetscherin zu Wort: "Den Krieg machen immer die Politiker, niemals die einfachen Soldaten!" Heute umarme er seine damaligen Gegner, und gemeinsam mit anderen russischen Invaliden habe er einen Friedhof für deutsche Kriegsteilnehmer angelegt.

Ein Zuhörer fragte MECHTERSHEIMER: "Ist dieser Krieg einzigartig gewesen und waren seine Ursachen einzigartig?" Der Friedensforscher verneinte und zeigte sich skeptisch gegenüber einer ausschließlich ideologischen Begründung von Kriegen. Im Falle des Zweiten Weltkrieges müsse man festhalten: "Die Ursache war der Versailler Vertrag." Mechtersheimer bekräftigte seine Skepsis: "Primäre Antriebe für Hitler und Stalin waren weniger ideologische Gründe, sondern ein ordinäres Machtstreben." Dabei ginge es vor allem um die Durchsetzung ökonomischer Interessen. Das gelte auch für England und Amerika, die in erster Linie den unliebsamen Wirtschaftskonkurrenten Deutschland ausschalten wollten und weniger an eine Befreiung vom Nationalsozialismus dachten. Allgemein könne man konstatieren, daß "jedes autoritäre Regime einen äußeren Feind braucht". Die Diskussion über solche wichtigen Themen sei wesentlich sinnvoller als die einseitge Bildpropaganda, die sich in der Wehrmachtsausstellung zeigt.

Der langanhaltende Beifall zum Schluß der Veranstaltung zeigte, daß das Publikum froh war, in einer sachlichen Atmosphäre die gegensätzlichen Standpunkte diskutieren zu können. Tatsächlich kam es, von einigen Zwischenrufen abgesehen, zu keinerlei Störungen. Die Gäste hörten sich drei Stunden diszipliniert die Argumente an. Auf der Straße kam es dagegen schon am ersten Ausstellungstag zu gewalttätigen Übergriffen von Linksextremisten auf Ausstellungsgegner.


 
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