© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/98  06. Februar 1998

 
 
Jörg Haider und die FPÖ: In den Medien geben die Krankbeter den Ton an
Aus der Krise erwachsen Chancen
von Andreas Mölzer

Mit der medialen Überinterpretation von Aussagen des Chefs der Freiheitlichen, Jörg Haider, und solchen aus seiner Umgebung wird in Österreich traditionell in den letzten zwölf Jahren politisches Kleingeld gewechselt. Ob es dabei darum geht, die Aussagen des Oppositionsführers aus dem Zusammenhang zu reißen und mit Hilfe der Faschismuskeule zu skandalisieren, oder ob etwaige Insubordination seiner Vasallen geortet werden soll oder gar Politikmüdigkeit von seiner Seite, ist nebensächlich: Haider sagt, er sei "enttäuscht" und schon wird über seinen Rückzug aus der Politik spekuliert.

Wenn sein Kärntner Statthalter , der stellvertretende Landeshauptmann Karl-Heinz Grasser (28), meint, der FPÖ-Vorsitzende sei "zur Zeit nicht besonders motiviert", wird sofort eine Rebellion aus dem zweiten Glied gegen den Chef hineingemutmaßt. Das mediale und politische Establishment lügt sich hier selbst in die Tasche, macht sich durch Haider-Krankbeterei Mut und hofft insgeheim, daß der politisch Totgesagte doch so viel Anstand haben möge, auch wirklich zu sterben.

"Dös spült’s net", kann man in der Terminologie eines freiheitlichen Vordenkers, der sein Auskommen verkanntermaßen als Bundesgeschäftsführer fristen muß, dazu nur sagen. Es handelt sich dabei also weitgehend um großkoalitionäres Wunschdenken, dessen Haltlosigkeit sich spätestens beim Grazer und beim niederösterreichischen Wahlergebnis erweisen wird. Beide werden keine Erdrutsche bringen, aber zweifellos nennenswerte Stimmengewinne nur für eine Kraft: für Haiders FPÖ.

Dennoch wäre es eine gefährliche Selbsttäuschung, würden sich die Freiheitlichen, allen voran Jörg Haider selbst, nicht darüber im klaren sein, daß sie in einer inhaltlichen und strukturellen Krise stecken. Der Parteichef hat dies ja selbst in seiner Neujahrsrede mit seiner Funktionärsschelte klargemacht. Darauf hingewiesen hat er aber auch mit der Forderung nach einem Leitbild für die Partei. Und das wenige Wochen, nachdem sie ein neues Programm beschlossen hat. Interpretierbar ist dies nur dahingehend, daß er selbst, aber auch sein Spitzenpersonal nicht so recht wissen, wohin es realpolitisch gehen soll.

Die Aussage, die FPÖ müsse so stark werden, daß die "rot-schwarzen Schweinereien" im Lande nicht mehr möglich seien, ist denn doch ein wenig zu schwammig. Und von den Strukturen her wie auch vom politischen Personal sind die Freiheitlichen dabei, Verhaltensweisen und Schwächen des politischen Establishments zu übernehmen. Es besteht also die Gefahr, aus der politischen Pubertät ohne ein wirkliches Reifestadium der realen Gestaltungsmöglichkeit in jene Dekadenz überzugehen, wie sie den von Haider so geschmähten "Altparteien" eigen ist.

Ganze zwölf Jahre der Herausforderer des politischen Establishments zu sein, zu polarisieren und dafür stigmatisiert zu werden, die Themenführerschaft zu erkämpfen und so lang zu wahren, ohne wirklich realpolitisch gestalten zu können, ist gewiß ein schwieriges Unterfangen. Nicht nur für eine Partei, auch für einen einzelnen, für den einzelnen Menschen Jörg Haider. Den Jung-Siegfried der Innenpolitik zu mimen, ohne seelische und damit zwangsläufig irgendwann auch physiognomische Narben abzubekommen, ist auf die Dauer unmöglich. Warum tut er sich das an, fragen sich viele und wohl bisweilen auch er selbst.

Damit Opportunisten von offensichtlicher Mediokrität ihr Ego auf eine Art und Weise kultivieren können, die sonst weder im Wirtschaftsleben noch im öffentlichen Bereich möglich wäre? Damit Allerweltsknaben, die außer "fun", "highlife" und "events" wenig im Sinn haben, Karrieren machen, die sie keineswegs aus ideologischer Unverträglichkeit, sondern einzig wegen der Mühseligkeit der "Ochsentour" in den etablierten Parteien niemals machen würden? Oder vielleicht dazu, daß eine politische Gruppe da und dort mitregiert, die sich dem politisch-ideologischen Mainstream der Herrschenden bis zur Verwechselbarkeit angebiedert hat?

All diese Tendenzen und Erscheinungen gibt es in der auf gut ein Viertel der Wählerstimmen angewachsenen Haider-FPÖ. Und eine Funktionärsschelte des Obmanns allein wird die Eigendynamik, die diese Tendenzen gewonnen haben, nicht brechen können. Dazu bedarf es möglicherweise erst massiver Rückschläge. In den Mühen der Ebene, wenn keine Jobs mehr zu verteilen sind, die Karrieremöglichkeiten beschränkter werden, die Wahlsieg-Parties seltener, könnte sich die Spreu vom Weizen sondern. Die flotte Floskel "Wir werden Österreich politisch erneuern", ein mediengerechtes "Outfit" und die billige Bereitschaft, hohe politische Ämter mittels willigen Claqueur-Daseins bei Reden des Parteichefs und allzu opportuner Ja-Sagerei in Parteigremien zu erkaufen, werden dann nicht mehr langen.

Gewiß, die Gefahr solcher Rückschläge ist der Zusammenbruch und das endgültige Scheitern der einzig nennenswerten oppositionellen Kraft, die die Zweite Republik in einem halben Jahrhundert hervorgebracht hat. Und das wäre ein Schaden für die Demokratie insgesamt, nicht nur für die freiheitliche Gesinnungsgemeinschaft. Auch die Gefahr, daß der einzig populäre Oppositionspolitiker, den dieses Land des Konformismus hat wachsen lassen, dann das Handtuch werfen würde, ist gegeben.

Wenn es aber nicht um persönliche Eitelkeiten und um Parteiräson um ihrer selbst willen gehen soll, sondern wirklich um die Möglichkeit zu Reformen im Dienste der Republik und ihrer Bürger, könnte die Inkaufnahme dieser Gefahren sinnvoll sein. Haiders Entschlüsse und Maßnahmen werden jedenfalls das künftige Schicksal der FPÖ und damit teilweise auch das des österreichischen Gemeinwesens bestimmen.


 
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