© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/98 13. Februar 1998

 
 
Politische Korrektheit: Der Film "Campus" von Sönke Wortmann
Kino mit Seltenheitswert
von Ellen Kositza

"Der Campus – Deutschland ist schön, es gibt keine Krise…" – Sowohl der Titel als auch die plakative Ironie des Untertitels ließen darauf schließen, daß Deutschlands derzeit wohl erfolgreichster Kinoregisseur Sönke Wortmann in Adaption des ursprünglich amerikanischen Genres der "Campus-Geschichten" einen Aktualitätsbezug zur vielbeschworenen deutschen Universitätsmalaise herstellen wollte. Doch weit gefehlt: "Der Campus" ist alles andere als ein Sprachrohr der populären Parolen und Klagen, die im Zeichen der Studentenstreiks durch die Medien transportiert wurden. Nicht Erleichterung der Zulassungs- und Prüfungsbedingungen für die geplagten "Studis", wie die Studenten in den Uni-Magazinen aufdringlich-schmeichelnd genannt werden, nicht Aufstockung der Etats für Feminismusforschung oder universitäre Minderheitenpolitik, nicht die umfassende Forderung nach einer "Fortsetzung von 1968" im Sinne einer "erweiterten Selbstbestimmung" sind die Themen des Films. Karikiert werden die Protagonisten eben dieser sich progressiv gebenden Richtung. Daß eine Universität dabei Schauplatz der Filmhandlung ist, ist allenfalls paradigmatisch. Es ist eine umfassende Gesellschaftskritik, die "Der Campus" als Synthese aus Drama und Satire liefert. Zielscheibe ist eine Gesellschaft, in der "Political Correctness" als maßgebliches Kampf- und Machtmittel eingesetzt wird.

Hanno Hackmann (Heiner Lauterbach) ist Soziologieprofessor in Hamburg, er ist Familienvater, gilt als fachlich brilliant und kandidiert für den Posten der Universitätsleitung – doch unterhielt er eine kurzfristige sexuelle Beziehung zur kapriziösen Studentin Babsi (Sandra Speichert); ein Fehltritt, wie er sich selbst eingesteht. Als er das Verhältnis auf recht unfeine Art beenden will, verführt ihn die exaltierte Babsi ein letzes Mal – in seinem Sprechzimmer: "Ich rufe um Hilfe, wenn du dich weigerst", droht sie. Babsi ist zugleich ambitionierte Schauspielerin im Uni-Ensemble, und als ihr die ersehnte Rolle einer jungen Frau zugeteilt wird, die von ihrem Professor vergewaltigt wurde, anwortet sie auf die anerkennenden Komplimente der Regisseurin mit einem Augenzwinkern: "Sie fordern schließlich immer, man soll eigene Erfahrungen in seine Rolle einbringen…" Ein schlechter Scherz mit schlimmen Folgen: Babsi sei "traumatisiert", entscheidet Frau Regisseurin (entsetzlich, doch wie aus dem Leben gegriffen: Maren Kroymann) und entzieht dem Mädchen die Rolle. Babsi stürzt sich auf ihr Gegenüber, und so nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Die Studentin wird in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen, mit Beruhigungsmitteln "stillgelegt", und die Suche nach dem mutmaßlichen Vergewaltiger beginnt. Als schließlich der Verdacht auf den als "konservativ" geltenden Hackmann fällt, kommt das nicht wenigen Pöstcheninhabern an der Hochschule gelegen: Die Frauenbeauftragte Dr. Wagner (Barbara Rudnik), der Ausländerbeauftragte Kurtz (Stefan Jürgens) und der Klüngel um den aalglatten Präsidenten Schacht (Rudolf Kowalski) ziehen an einem Strang.

Ein gehöriges Maß an Details aus Dieter Schwanitz’ Buchvorlage, die als "frauenfeindlich" hätten ausgelegt werden können, hat Sönke Wortmann weggelassen. Mit gutem Grund: Bereits die Reaktion auf den Bestseller-Roman glich den im Buch karikierten Verhaltensmustern. Nach der Zerstörung eines Buchladens durch militante Frauengruppen konnte Schwanitz fortan nur noch mit Leibwächtern öffentlich auftreten. Motiviert war der Anglist Schwanitz von seinen Erfahrungen als Universitätsprofessor und seinem Eindruck eines linksliberalen Hochschulmilieus. Dies, so Schwanitz, "hatte seine eigene Identität verloren und wurde moralisch. So werden Konflikte gesinnungsorientiert und damit unlösbar." Ergänzend räumt Wortmann ein, sein Film könne "aus einer linken Position heraus leicht mißverstanden werden". Denn auch wenn der Regisseur negative Frauenfiguren der Romanvorlage aus solchen Überlegungen heraus "weichgezeichnet" hat, reicht die beißende Ironie seiner Darstellung doch aus, den Film zu einem "erstaunlichen" werden zu lassen. Erstaunlich, weil die bundesdeutsche Realität politisch korrekten Gesinnungswächtertums selten so unverblümt dargestellt und lächerlich gemacht wurde: Die Frauenbeauftragte, so kursiert ein Witz, wolle die ins Universitätsportal gemeißelte Inschrift "Der Forschung –Der Lehre – Der Bildung" ausbessern lassen – und die Substantive mit weiblichen Artikeln versehen.

Tatsächlich wacht die humorlose Verfechterin einer asexuellen Frauendiktatur mit eiserner Faust über die ihr angetragenen Bereiche (wie der einer rigiden Sprachreglementierung) und findet in ihrem anklagenden Gestus einen Verbündeten in dem Zuständigen für Deutschkurse. Unter dem grotesken Motto "Ausländer und Frauen gegen Rassismus und Sexismus" wird Stimmung gemacht gegen Hanno Hackmann. Auch dem Präsidenten Schacht und seinem willfährigen, karriereorientierten Lakaien, dem akademischen Dünnbrettbohrer Weskamp (Axel Milberg), kommt die gesamte Entwicklung gerade recht. Leichter als durch argumentative, offene Auseinandersetzung läßt es sich dem Konkurrenten um das höchste Hochschulamt eben mittels subversiver Polemik unter Behauptung einer egalitären Revoluzzer-Gesinnung beikommen.

Nicht nur Gesetze der Logik und des "gesunden Menschenverstandes" werden durch die Hegemonie linker Postulate ausgeblendet, auch Ehrlichkeit und Gerechtigkeit bleiben dabei vollends auf der Strecke. Ob Heiner Lauterbach, Werbeträger für Potenzmittelchen, nun die Idealbesetzung für die Professorenrolle ist, darf bezweifelt werden, und auch wenn Wortmanns Film sich manchmal in den zahlreichen Nebenhandlungen zu verlieren scheint, es so mancher Slapstickeinlage nicht bedurft hätte und man auf die Filmmusik gerne verzichtet hätte: Der Stoff besticht, die Würze liegt im Wortwitz und unzähligen Details – und allerspätestens, wenn der unsympathische, scheinheilige Tugendwächter Schacht explizit nicht nur als "68er Veteran", sondern gar als ein "Rot-Grüner" bezeichnet wird, glaubt der Zuschauer seinen Ohren nicht zu trauen. Tatsächlich können nur Ignoranten oder unmittelbar Involvierte den Bezug zur politisch-gesellschaftlichen Realität leugnen – deutsches Kino mit Seltenheitswert


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen