© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/98 13. Februar 1998

 
 
Protestantismus: Bekennende Gemeinschaften vor der Zerreißprobe
Bis zur Selbstaufgabe
von Reinhard Tobias

Die Glaubens- und Kirchenkämpfe aller Jahrhunderte haben eine wichtige Erkenntnis vermittelt, die zum Verständnis der gegenwärtigen Auseinandersetzungen in der Kirche und um die Kirche unbedingt beachtet werden sollte: daß die eigentliche Gefahr für die Kirche und für den Glauben nicht von außen, von den erklärten Feinden kommt, sondern immer von innen, aus den eigenen Reihen, wobei ein gelegentlicher Zusammenhang von "innen" und "außen" nicht bestritten werden soll.

Offene, radikale Kritik des Glaubens und brutale Verfolgung der Gläubigen hat zwar immer wieder zu schwerer Not und Bedrängnis der Gemeinden und des einzelnen geführt, niemals aber zur Liquidierung des Glaubens und der Kirche. Im Gegenteil! Aus der Not der Bedrängnis und Verfolgung erwuchs in der Regel die Konzentration auf das Wesentliche und aus der Abwehr die Besinnung auf das gemeinsame christliche Bekenntnis – trotz mancher konfessioneller Unterschiede. Die Bedrohung von außen hatte immer Sammlung zur Folge, Betonung der Gemeinsamkeiten und Verständigungsbereitschaft in der Beurteilung der unterschiedlichen Lehr- und Kirchenverständnisse. "Gemeinsamkeit" bedeutete und bedeutet jedoch noch immer nicht "Einheit".

Die Glaubens- und Kirchenkämpfe aller Jahrhunderte haben allerdings eine nicht minder belangvolle Erkenntnis vermittelt: daß diese Erfahrungen von den Kirchen und von einem Großteil der Gläubigen nicht beachtet werden, dafür aber um so mehr von den Feinden des Glaubens und der Kirchen.

Sie können fest darauf vertrauen, daß nach einer Zeit der harten Bedrohung von außen die eigentliche, entscheidende Bedrohung von innen einsetzt: dann nämlich, wenn nach einer längeren Phase der gemeinsamen Abwehr die erhofften Erfolge ausbleiben und die Auseinandersetzungen um die Ursachen dieser enttäuschenden Entwicklung beginnen: Aus dem "Miteinander" wird dann in der Regel ein "Gegeneinander", in dem die ideologischen und politischen
(Ver-)Führer bislang stets geeignete Ansatzpunkte für die innere Zersetzung gefunden haben. Ein Musterbeispiel war die zunehmende Lähmung der Bekennenden Kirche im Kirchenkampf des Dritten Reiches. Ein aktuelles Beispiel ist die Auseinandersetzung im konservativen Lager des deutschen Protestantismus. Es ist deshalb so bedrückend, weil sie die Erfahrungen der Geschichte im allgemeinen, der jüngsten Geschichte im besonderen völlig außer acht läßt und allein schon deshalb den Eindruck eines kompletten Realitätsverlustes vermittelt. Worum ging es bisher? Worum geht es jetzt?

Als Reaktion auf den massiven Einbruch modernistischer "Theologien" und sozialistisch-utopischer Ideologien in Theologie und Kirche haben sich in den verschiedenen evangelischen Landeskirchen verschiedene sogenannte Bekennende Gemeinschaften gebildet, die sich Anfang der siebziger Jahre zu einer "Konferenz Bekennender Gemeinschaften" zusammenschlossen.

Das gemeinsame Anliegen aller bekennenden Gemeinschaften war die "Sammlung um Bibel und Bekenntnis" als notwendige (das heißt die Not wendende) Voraussetzung für die Abwehr evangeliums- und kirchenfremder Lehren. Es wurde vertreten in gemeinsamen Großkundgebungen und "Gemeindetagen unter dem Wort" mit teilweise über 20.000 Besuchern, mit theologischen Studientagungen für Theologen und Gemeindeglieder, mit einer Fülle theologischer Erklärungen und Handreichungen zu konkreten Problemen in Kirche und Gesellschaft, mit zahlreichen Buchveröffentlichungen und in den Monatsblättern der einzelnen Gemeinschaften.

Das gemeinsame Bekenntnis zum christlichen Glauben (im Sinne des Apostolikums, des Nicänums und des Athasianums) bedeutete indes nicht die Preisgabe der unterschiedlichen Bekenntnisse der einzelnen Konfessionen (beispielsweise des Luthertums und des Calvinismus). Bekenntnistreue gilt auch in dieser Hinsicht! So erklärt es sich, daß in der Konferenz Bekennender Gemeinschaften im Interesse der gemeinsamen Abwehr den unterschiedlichen, in Jahrhunderten gewachsenen Lehr- und Kirchentraditionen breiter Raum zur Entfaltung und Auseinandersetzung geboten wurde. Der Protestantismus lebt nun einmal – man mag das bedauern oder nicht – aus einem breiten Wurzelgeflecht und bezieht seine Kraft aus den Wurzeln lutherischer und calvinistischer, pietistischer und methodistischer, baptistischer und hochkirchlicher Traditionen, wobei zur Vermeidung von Mißverständnissen an das schöne Gleichnis vom Weinstock und den Reben (Joh. 15) erinnert werden soll.

Protestantismus lebt aus verschiedenen Traditionen

In dieser Konstruktion der "Konferenz Bekennender Gemeinschaften" lag ihre große Chance, aber auch ihre große Gefährdung, gewissermaßen ihr "genetischer Strukturdefekt". Die relativ breite Fächerung ihrer theologischen und krichenpolitischen Positionen ermöglichte einerseits eine jeweils rasche und zuverlässige Reaktion auf die sehr unterschiedlichen Herausforderungen "von außen"; sie bot andererseits aber auch immer wieder Ansatzpunkte für grundsätzliche Kontroversen zur "Strategie und Taktik" des gemeinsamen Kampfes, also Konflikte "nach innen".

Diese Konfliktlage wurde im Oktober vorigen Jahres offenkundig, als Professor Peter Beyerhaus (Tübingen) nach heftiger interner Kritik nicht mehr in den Vorstand der Bekenntnisbewegung "Kein anderes Evangelium" gewählt wurde, was auch seine Stellung als Geschäftsführer ("Generalsekretär") der Konferenz Bekennender Gemeinschaften nachhaltig beeinträchtigt.

Peter Beyerhaus ist einer der maßgebenden konservativen Theologen und als solcher herausragender Repräsentant in der deutschen wie auch in der internationalen Bekenntnisbewegung. In einer Fülle von Veröffentlichungen hat er wesentliche Beiträge zum Selbstverständnis, zum Weg und zum Ziel der Bekennenden Gemeinschaften geleistet, insbesondere in der von ihm redigierten Zeitschrift Diakrisis (griech.= Geisterscheidung). Auch seine heutigen Kritiker bestreiten diese bahnbrechende Leistung von Beyerhaus nicht. Im Zusammenhang der jetzigen harten Kritik ist ausdrücklich bestätigt worden, daß er noch bis zum vorigen Jahr als "Hoffnungsträger" angesehen und anerkannt wurde.

Nun haben sich die Hoffnungen auf einen möglichen Wandel in der Evangelischen Kirche in Deutschland nicht erfüllt, und sie werden sich nach menschlichem Ermessen in absehbarer Zeit auch nicht erfüllen. Die im Zuge des Langen Marsches durch die Institutionen von den 68ern geschaffenen Positionen sind in keinem anderen gesellschaftlichen Bereich so verfestigt und abgesichert wie in der evangelischen Kirche.

Angesichts der "Erfolglosigkeit" des bisherigen Kampfes der Bekennenden Gemeinschaften ist eine aus Ungeduld, Resignation, Zweifel und Enttäuschungen gemischte Stimmungslage entstanden, die nach Erklärungen und nach Auswegen aus der vermeintlichen Sackgasse sucht. Es ist nur zu verständlich, wenn sich in einer derartigen Situation ernste Fragen nach dem weiteren Weg der Bekennenden Gemeinschaften stellen, mit denen Fragen nach den bisherigen "Wegweisern" und Weggefährten verbunden sind. In diesem Falle also an Professor Beyerhaus.

Dabei handelt es sich jedoch nicht um Fragen im Sinne einer gemeinsamen Überprüfung der bisher von allen vertretenen Positionen und Begriffe, sondern um eine (möglichst) gemeinsame Verwerfung wesentlicher Positionen und Begriffe der Theologie von Professor Beyerhaus. Ihm wird vorgeworfen, daß er sich im Laufe des bisherigen gemeinsamen Kampfes zu sehr katholischen Positionen angenähert habe, was unter anderem durch seine Zugehörigkeit zum ökumenisch orientierten Johanniterorden zum Ausdruck komme, und daß er in der Auseinandersetzung mit dem Islam eine zu liberale Haltung vertrete.

Diese komme unter anderem darin zum Ausdruck, daß er in einer Erklärung zum Islam der Formulierung "Allah ist der Teufel" (aus missionarisch-taktischen Gründen) nicht zugestimmt habe. Daraus wird der Vorwurf des Verstoßes gegen das Erste Gebot, der Blasphemie und der Abkehr von Grundsätzen der evangelischen Theologie abgeleitet mit allen Konsequenzen der Aufkündigung der Bruderschaft, der öffentlichen Anklage und der Verweigerung der Gesprächsbereitschaft.

Es werden Ansprüche auf Unfehlbarkeit vertreten

Damit sollen neue Maßstäbe für die Bekennenden Gemeinschaften gesetzt werden, die in ihrer theologischen Einseitigkeit und Radikalität zur Selbstaufgabe der Bekennenden Gemeinschaften führen müssen. Sie werden mit einem Anspruch auf Unfehlbarkeit vertreten, der das sonst so heftig bekämpfte Unfehlbarkeitsdogma des Papstes weit in den Schatten stellt. Die rigorose Behauptung eines Standpunktes in der Konferenz Bekennender Gemeinschaften erinnert an die bekannte Definition, daß ein Punkt ein Kreis mit dem Radius Null ist. Auf einem derartigen zu einem Punkt geschrumpften Kreis kann man allenfalls noch stehen (deshalb Stand-Punkt), sich aber nicht mehr bewegen.

Es wäre die dogmatische Erstarrung der Bekenntnisbewegung und die freiwillige Kapitulation vor dem einstweilen noch immer gemeinsamen Gegner. Die Bekennenden Gemeinschaften sind zu höchster Wachsamkeit aufgefordert, um dieser Entwicklung entschieden zu wehren.


 
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