© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/98 13. Februar 1998

 
 
Sozialer Protest
von Dieter Stein

Am Wochenende sorgten gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen radikalen linken und rechten Jugendlichen in Magdeburg und Passau für überregionale Schlagzeilen. In Magdeburg hatte die "Antifa"-Szene zu einem Protestmarsch zum einjährigen Todestag eines Punkers geladen, der von mutmaßlich rechtsgerichteten Magdeburger Jugendlichen erschlagen wurde. In Passau und auf den Zufahrtsstraßen dorthin kam es zu bürgerkriegsartigen Szenen, als Protestierende aus der linksextremen Szene die Teilnahme von rund 5.000 Menschen an einem Kongreß der NPD zu verhindern suchten.

Was ist es, was besonders junge Leute aus Mitteldeutschland in Scharen zur radikalsten Partei des politischen Spektrums der Rechten treibt? Sind es wirklich schwarz-weiß-rote Fahnen, Nostalgie für das Dritten Reich und Rassismus, die anziehend wirken? Oder ist es vielmehr das Abenteuer, zu den gesellschaftlich Verfemten, der provozierendsten Truppe zu gehören, die schlicht den stärksten Widerspruch erregt – in einer Gesellschaft, in der Konflikte harmoniesüchtig übertüncht werden, in der politische Parteien fast ununterscheidbar geworden sind?

"Wir sind die, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben", war ein beliebter Spruch in der grün-alternativen Szene der achtziger Jahre. Dieses Lebensgefühl trifft genau jetzt auf die Szene zu, die sich in Passau traf. Es gibt offensichtlich Jugendliche, die sich angesichts von Massenarbeitslosigkeit, Lehrstellenmangel und Entfremdung von Umwelt und Heimat nicht ins Private verkrümeln wollen. Wo sollen sie sich dann aber engagieren, wenn sie sich nicht in staatlich geführten Jugendprojekten bevormunden lassen wollen?

Abenteurertum ist eine Alternative zu bürgerlicher Langeweile. Wo gibt es denn seitens konservativer Vereinigungen, Parteien, Initiativen soziale Projekte, die Identifikation mit der Gemeinschaft und Einsatz für eine gute Sache bieten? Es gibt solche Projekte, nur offensichtlich viel zu wenige, weil es "rechts" dafür noch immer eher an Sensibilität und Engagement mangelt.

Konservative und demokratische Rechte sollten aufhören, die "soziale Frage" als Vehikel zur Verwirklichung machtpolitischer Ziele anzusehen. Sie ist vielmehr die zentrale gesellschaftliche Frage, an der sich zeigen wird, ob die Rechte politikfähig ist und es ernst meint, eine Politik für Menschen und nicht für Institutionen zu machen. Diese Frage stellt sich mit Macht. Wo sind die konservativen Parteipolitiker, wenn 4,8 Millionen Menschen arbeitslos sind und auf den Straßen protestiert wird?


 
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