© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/98 13. Februar 1998

 
 
Prickelnder "Teufelswein": Ein kurzer Streifzug durch die Geschichte des Champagners
Mit dem Hals nach unten
von Veronika Poderschnig

Der Schaumwein wurde bereits im 17. Jahrhundert von Winzern in der Champagne hergestellt. Ein Zufallsprodukt, zunächst "Teufelswein" oder "Pfropensprenger" genannt, weil er sich allzu eigenartig verhielt. Als wahrscheinlicher "Vater" des edelsten aller Weine gilt Dom Pérignon (1683–1715), ein Benediktinermönch und Kellermeister der Abtei Saint Pierre von Hautviller, inmitten des Departements Champagne. Mit seinen Cuvées (Verschnitt von Weinen verschiedener Lagen und Jahrgänge) gelang es ihm, ein Getränk herzustellen, das selbst den Sonnenkönig Ludwig XIV. zu Lobpreisungen hinriß und so den Namen des Mönches und der Abtei unvergeßlich machte. Noch heute gilt der Dom Pérignon aus dem Hause Moët et Chandon als einer der besten Champagner aller Zeiten.

Nachdem der edle Tropfen gefunden war, galt es den schäumenden Wein unter Kontrolle zu bringen. Es mußte sowohl eine kräftige Flasche entwickelt werden, da der "Teufelswein" alle herkömmlichen sprengte, als auch ein kräftiger Verschluß, der dem Druck standhielt. Hier kam Dom Pérignon, so die Mär, der Zufall zur Hilfe: Einerseits sollen ihn zwei durchreisende spanische Mönche, deren Feldflaschen mit Naturkorken verschlossen waren, auf die Idee gebracht haben, seine Weinflaschen mit Korken zu versehen. Andererseits soll ein aus spanischer Korkeiche hergestellter Schuhabsatz einer auf Besuch weilenden Äbtissin ihn dazu inspiriert haben. Wie auch immer: Der Naturkorken als Flaschenverschluß konnte dem durch die Gärung verursachten Flaschendruck problemlos standhalten und darüber hinaus den prickelnden Inhalt über Jahre konservieren.

Das heutigen Anbaugebiet des Champagners, die Champagne, ist die nördlichst gelegene Weinbauregion Frankreichs. Sie erstreckt sich über die fünf Departements Marne, Aisne, Aube, Haut-Marne und Saint-et-Marne, deren Begrenzungen am 6. Mai 1919 gesetzlich festgelegt wurden. In diesen Departements produzieren rund 300 Gemeinden und Dörfer mit einer Gesamtanbaufläche von 34.000 Hektar Champagner. Die Wertigkeitsskala ihrer Weine unterliegt einer einzigartigen Hierarchie, dem Verkaufswert der Trauben. Der wird jedes Jahr zur Weinlese vom Comité Interprofessionel du Vin de Champagne, der "Champagnerregierung", festgelegt.

Champagner ist das strengstkontrollierte Getränk der Welt. Es dürfen ausschließlich Weine aus dem abgegrenzten Gebiet der Champagne verarbeitet werden. Nur Pinot Noir, Pinot Meunier und Chardonnay-Trauben sind dafür zugelassen. Im "Codex champenois" ist auch genau festgelegt, wie die Weinberge bearbeitet werden sollen. Vier bestimmte Rebschnitte sind erlaubt, der Abstand zwischen den Rebstöcken ist zentimetergenau festgelegt. Die Flaschen müssen mindestens ein Jahr, für Millesimé-Champagne mindestens drei Jahre, in den Kellern lagern. Erlaubt ist nur die natürliche Flaschengärung – "Méthode champenoise".

Die Herstellung des Champagners ist ein äußerst langwieriges und mühsames Verfahren. Die Trauben werden fast ausschließlich von Hand verlesen. Pro Rebstock muß eine Obergrenze an Traubengewicht eingehalten werden. Die Höchstmenge pro Hektar liegt bei 13.000 Kilogramm. Auch die Pressen haben ein vorgeschriebenes Fassungsvermögen von 4.000 Kilogramm. Es dürfen nur 2.666 Liter Most pro Preßvorgang verwendet werden. Ein entscheidender Vorgang bei der Herstellung des Champagners ist die Assemblage (Vermischung verschiedener Weine zu einer Cuvée), die nach dem ersten Gärungsprozeß erfolgt. Es werden rund vierzig Weine vermischt, mit dem Ziel, eine charakteristische Geschmacksrichtung zu erreichen.

Seitdem sind die Vorgänge Bestandteil der "Méthode champenoise". Nach Zugabe von Zucker und ausgewählten Hefekulturen wird der Wein zur zweiten Gärung gebracht, in Flaschen abgefüllt und mit Kronkorken verschlossen und in Kreidekellern gelagert. Zucker und Hefe tun ihr Werk – die Gärung setzt ein. Die aktive Hefe frißt den Zucker und läßt mit der Bildung von Kohlendioxid den Schaum entstehen, die "Geburtsstunde" der Perlen. Dem Gärungsprozeß folgt eine Ruhepause zwischen drei und fünf Jahren, die einmal pro Jahr durch ein kurzes und kräftiges Schütteln unterbrochen wird. Am Ende der Ruhezeit durchlebt der Champagner eine erneute unruhige Phase, die "Remuage" – das Rütteln. Die Flaschen werden in Rüttelpulte gebracht, wo sie anfangs fast waagerecht mit dem Hals etwas nach unten geneigt in ein Loch gesteckt werden. Über 8 bis 12 Wochen wird jede Flasche alle zwei bis drei Tage gerüttelt, dabei jeweils um 45 Grad verdreht und gleichzeitig immer steiler mit dem Kopf nach unten gestellt. Diese aufwendige Arbeit verrichten Reumeure (Rüttler), die mehr als 40.000 Flaschen am Tag so behandeln. Zu guter letzt wird der Champagner noch degordiert, das heißt die Hefe wird entfernt. Früher öffneten die Enthefer mit Lederschutz und Maske vor dem Gesicht die Flaschen, um sich so vor etwaigen Explosionen zu schützen.

Heute wird nach dem Verfahren "à la glace" degordiert: ein paar Zentimeter des Flaschenhalses werden eingefroren, um die am Korken befindlichen Sedimente als Pfropfen festzuhalten. Die dabei verlorengegangene geringe Menge Flüssigkeit wird mit einer Zucker-Wein-Lösung aufgefüllt, die schließlich den späteren Süßigkeitsgrad bestimmt.


 
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