© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/98 13. Februar 1998

 
 
Planspiele: Schäuble denkt an eine große Koalition
Helmut, das war´s
von Hans-Georg Münster

Wolfgang Schäuble gilt als eines der letzten großen Rätsel der Bonner
Politik. Vor dem Leipziger CDU-Parteitag im Herbst prangerte er den Zustand von Regierung und bürgerlicher Koalition an und sprach von "gewissen Ermüdungserscheinungen". Doch Partriarch Helmut Kohl, von seinem Fraktionsvorsitzenden und Ausputzer oft genug traktiert, ernannte Schäuble sogar zum "Kronprinzen" für jenen St. Nimmerleinstag, an dem sich der "Ewige Kanzler" (Spiegel ) in den Ruhstand zurückzuziehen gedenkt (den Wahlsieg setzt Kohl als selbstverständlich voraus).

Spötter attestieren Schäuble bereits ein "Prinz -Charles-Syndrom": die unerreichbar bleibende Krone stets im Blick. Doch der Mann im Rollstuhl verbreitet andere Eindrücke. Regelmäßig kocht in Bonn der Verdacht hoch, Schäuble wolle die Macht kurzfristig an sich reißen — entweder direkt nach der Landtagswahl in Niedersachsen oder nach der Bundestagswahl am 27. September. Beiden Spekulationen ist gemeinsam, daß eine Große Koalition von Union und SPD die Grundlage für eine Kanzlerwahl des Wolfgang Schäuble sein würde.

Schäuble dementiert, was das Zeug hält. Er stehe fest zu Kohl (was nicht immer , aber im Moment wieder richtig ist) und zum Bündnis mit den Liberalen (was, wie Teilnehmer von Koalitionsrunden flüstern, völlig falsch ist). Und Zyniker wissen schon lange, daß nach den Spielregeln der hohen Politik ein volles Dementi das halbe Eingeständnis einer ganzen Wahrheit ist.

Es sind Schäubles Zeichen, die den Verdacht tröpfchenweise nähren. In der Debatte des Bundestages um die auf knapp unter fünf Millionen stehenden Arbeitslosenzahlen schonte er auffällig den SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine, der in einer großen Koalition sein Hauptgegenüber wäre. Denn Niedersachsens Gerhard Schröder hat schon abgewinkt: entweder als Kanzler oder gar nicht nach Bonn. Dabei hätte Lafontaine mit seinem schwachen Auftritt mehr als genug Angriffspunkte für den wegen seiner bissigen Rhetorik gefürchteten Schäuble geboten.

Anhängern des christlich-liberalen Bündnisses sind die Dezembertage des letzten Jahres noch in unheilvoller Erinnerung; damals stand das Regierungsbündnis kurz vor dem Bruch gestanden. Schäuble wollte in einer nächtlichen Vermittlungsrunde die Grenzen der Belastbarkeit der Koalition testen – wenn nicht sogar mehr: Als die Renteneinigung unter Dach und Fach war, strebte Schäuble nach einer "Großen Steuerkoalition" mit der SPD. Der Fraktionschef wollte mit den Genossen einen ersten Schritt der Steuerreform mit einer weiteren Mehrwertsteuererhöhung auf 17 Prozent und einer Anhebung der Mineralölsteuer um etwa zehn Pfennig durchsetzen. Dies wäre Gift für die Liberalen gewesen, die schon der Mehrwertsteuererhöhung auf 16 Prozent nur zähneknirschend zugestimmt hatten und bei ihrer Klientel im Wort stehen, weitere Belastungen zu vermeiden.

"An ein paar Pfennig" sei die Steuerreform letztlich gescheitert, lästerte Schäuble in einer eiligst einberufenen Fraktionssitzung. Neben dem Pfennigkram gab es einen weiteren Grund, etwa 150 Kilogramm schwer: Kohl, dem das Bündnis mit der FDP trotz aller Differenzen ans Herz gewachsen ist und der keine Große Koalition will, pfiff Schäuble persönlich zurück.

Auch im Hintergrund wirken mit Schäubles ausdrücklicher Duldung großkoalitionäre Kräfte: Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Hans-Peter Repnik, ein Schäuble-Vertrauter, war mit der SPD bereits über einen Abbau der sozialversicherungsfreien Nebentätigkeiten einig. Nach dem Kompromiß sollten Arbeitnehmer, die einen abgabenfreien Nebenjob mit mehr als 200 Mark brutto im Monat haben, in die Sozialabgabenpflicht einbezogen werden (derzeit liegt die Grenze bei 620 Mark). Nachdem Kohl die Große Steuerkoalition verhindert hatte, platzte auch dieser Plan wie eine Seifenblase.

Neue Spekulationen über eine Große Koalition richten sich auf die Wochen nach der Niedersachsen-Wahl. Sollte der "Junge Wilde" Christian Wulff nicht gut genug abschneiden, könnten Teile der CDU verfallen, weil sie dann am Abend der Bundestagswahl den persönlichen Machtverlust erwarten. Immerhin ist die Unruhe groß: Ausgerechnet Unions-Abgeordnete verlangen jetzt Beschäftigungsprogramme, vor denen alle Experten warnen und für die Waigel ohnehin keine Mark übrig hat.

Schäuble könnte, falls die Liberalen nicht in den Landtag in Hannover zurückkehren sollten, den Putsch gegen Kohl versuchen und die Sozialdemokraten ins Regierungsboot holen. Dies wäre Machterhalt nach dem Grundgesetz: Bevor im Herbst sowieso alle Privilegien, Pfründe und Posten weg sind, geben wir lieber ein paar an die SPD ab.

Angesichts der Verhaltens des Fraktionsvorsitzenden erscheint dieses Szenario möglich. Denkbar ist auch, daß Kohl erst unmittelbar nach der Bundestagswahl von Schäuble zum Abdanken gezwungen wird, falls die FDP nicht mehr zurückkommt, und eine rot-grüne Regierung nur mit Duldung der Kommunisten möglich wäre. Geheimgespräche zwischen Schäuble und Lafontaine müßten nicht lange dauern, um sich über Grundsätze einig zu werden.

"Danke Helmut, das war’s." Man kann sich vorstellen, daß Schäuble diese Worte zu Kohl sagen wird. Und irgendjemand wird dann auch schon mal den Wagen holen.


 
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