© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/98 13. Februar 1998

 
 
Euro: Wirtschaftsexperten kritisieren vorschnelle Einführung
Am Rande des Abgrunds
von Thorsten Thaler

Für Nervosität in Bonner Regierungskreisen und Parteizentralen sorgt seit Montag dieser Woche eine Erklärung von 155 Wirtschaftsprofessoren zur geplanten Einführung des Euro am 1. Januar 1999. Darin kritisieren die Experten, daß die derzeitige wirtschaftliche Ausgangssituation "denkbar ungeeignet" sei für den Start in die Europäische Währungsunion. "Die Einführung zum jetzigen Zeitpunkt wäre ein Drama", sagte Roland Vaubel, Professor für Volkswirtschaft in Mannheim und Mitinitiator der Erklärung, zur jungen freiheit. Die Vorbereitungen auf die Währungsunion seien "nicht weit genug fortgeschritten", ergänzte sein Bochumer Kollege Wim Kösters gegenüber dieser Zeitung, "und deshalb kommt der Euro zu früh".

Zu den Initiatoren der Erklärung gehören neben Kösters und Vaubel die Hohenheimer Professorin Renate Ohr und der Bonner Wirtschaftswissenschaftler Manfred Neumann, der auch Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium ist. Von den insgesamt 31 Mitgliedern dieses Beratungsgremiums haben sechs Professoren den Appell zur Verschiebung des Euro unterzeichnet.

In ihrer Sieben-Punkte-Erklärung weisen die Wirtschaftsexperten darauf hin, daß es den Ländern trotz "zahlreicher Beispiele kreativer Buchführung" nicht gelungen sei, die im Maastricht-Vertrag vereinbarte Defizitgrenze "deutlich und nachhaltig" zu unterschreiten. Die durchschnittliche Schuldenquote in der Europäischen Union sei seit 1991 nicht gesunken, sondern sogar um 15 Prozent gestiegen. Sie liege heute weit unter dem Maastricht-Limit. "Das widerspricht dem Geist des Vertrages" heißt es in der Stellungnahme.

Seit 1991 sei die Arbeitslosigkeit zudem weiter gestiegen. Gerade Deutschland und Frankreich als die beiden "Motoren der europäischen Integration" seien nicht gut gerüstet für den verstärkten Strukturwandel und den härteren Wettbewerb in der Währungsunion. "Der Euro löst das europäische Beschäftigungsproblem nicht", warnen die Wirtschaftsexperten. Eine geregelte Verschiebung des Euro um einige Jahre müsse ernsthaft als politische Option in Erwägung gezogen werden. Sie sei keine Katastrophe und könne von niemandem als Signal eines Ausstiegs aus dem europäischen Integrationsprozeß gedeutet werden. "Der dauerhafte Erfolg des Euro ist wichtiger als der Zeitpunkt seiner Einführung", heißt es in der via Internet verbreiteten Erklärung.

Auf heftigen Widerspruch trifft der Appell bei führenden Vertretern der Bonner Regierungsparteien und der Opposition. Die Wortmeldung komme zu spät, eine Verschiebung des Euro hätte "verheerende Auswirkungen" auf die Finanzmärkte, und überhaupt sei der Weg in die gemeinsame Währung unumkehrbar. Diese letzte Behauptung der Euro-Befürworter hält der renommierte Berliner Wirtschaftsjurist Folkmar Koenigs jedoch für absurd. Auf Anfrage der jungen freiheit sagte der emeritierte Professor für Handels- und Wirtschaftsrecht an der Technischen Universität Berlin: "Nur weil man einen Meter vor dem Abgrund steht, ist man nicht verpflichtet auch zu springen." Die Währungsunion zum jetzigen Zeitpunkt werde zu erbitterten Auseinandersetzungen in Europa führen.

Der Bund Freier Bürger (BFB) des Maastricht-Klägers Manfred Brunner verurteilte unterdessen die vorschnelle Abqualifizierung des Aufrufs der 155 Wirtschaftsprofessoren. Sowohl die Bundesregierung als auch die Opposition setzten sich bedenkenlos über die fachliche Kritik an der Euro-Währung hinweg und reduzierten die Frage der wirtschaftlichen Sinn- und Vorteilhaftigkeit auf eine bloße Machtfrage der politischen Durchsetzung, erklärte der wirtschaftpolitische Sprecher der Partei, Bernd-Thomas Ramb. Die Bonner Maastricht-Politiker maßten sich eine Kompetenz an, die weit über ihren Sachverstand hinausginge und jegliche wirtschaftspolitische Beratung einer machtpolitisch willkürlichen Beurteilung unterwerfe.

Als Bestätigung für ihren Euro-kritischen Kurs werteten die Republikaner die Erklärung der Wirtschaftsexperten. Nicht von einer Verschiebung des Euro, sondern von "der überstürzten Einführung einer unstabilen Weichwährung" drohe Deutschland Schaden, erklärte Parteichef Rolf Schlierer. Es sei eine "unbegreifliche Borniertheit", wenn die Bundesregierung trotzdem an dem Projekt festhalte. Schlierer, der auch Fraktionsvorsitzender seiner Partei im Stuttgarter Landtag ist, forderte die baden-württembergische Landesregierung auf, sich für eine Aussetzung der Währungsunion stark zu machen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen