© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/98 13. Februar 1998

 
 
Balkan: Sloweniens Außenminister Boris Frlec über Minderheiten, EU-Mitgliedschaft und Olympia
"Viele sprechen nicht mehr deutsch"
von Veronika Poderschnig

Herr Minister, das Problem, das zu Unstimmigkeiten zwischen Kärnten und Slowenien führte, scheint nun gelöst zu sein: die Anerkennung der altösterreichischen Minderheit in Slowenien. Sie selbst haben aber noch vor kurzer Zeit gesagt, daß es eine deutschsprachige Volksgruppe praktisch "nur auf Friedhöfen" gäbe. Was hat Sie zu dieser Meinungsänderung bewegt?

FRLEC: Ich habe niemals gesagt, daß die deutschsprachige Minderheit nur auf Friedhöfen existieren würde. Zu diesem Thema erschien eine meiner Meinung nach unethische Karikatur in einer slowenischen Zeitung. Solch eine Vorgehensweise wünsche ich nicht zu kommentieren, für mich ist das unzivilisiert. Wir hatten in Slowenien in der Zeit vor dem Ersten und während der beiden Weltkriege viele Deutsche, unter ihnen auch zweifellos zwei autochtone Minderheiten, eine in Kocevje (Gotschee), die einen eigenen Dialekt spricht, und eine in der (slowenischen, Anm. d. Red.) Steiermark. Unter ihnen natürlich auch eine Menge deutschsprechender Menschen, die bei uns Arbeit hatten oder Unternehmer, Großgrundbesitzer usw. waren. Nach den Wirren des Zweiten Weltkrieges flüchtete bzw. ging die Mehrheit fort. Geblieben sind nur einige wenige. Und wenn wir heute diesen Zustand beurteilen, dann können wir feststellen, daß wir in Slowenien noch immer Reste einer ehemaligen autochtonen Minderheit haben. Deshalb sprechen wir auch nicht mehr von einer Minderheit, sondern von einer deutschsprachigen Volksgruppe in Slowenien. Das ist ein Unterschied in der Definition nach internationalem Recht.

Welche Lösung müßte oder sollte Ihrer Meinung nach für diese Volksgruppe, deren Existenz laut jüngsten Untersuchungen erwiesen wurde, gefunden werden? Was wird von seiten Ihrer Regierung getan?

FRLEC: Nach Paragraph 61 der slowenischen Verfassung gewähren wir den Menschen alle individuellen Rechte, von Vereinsgründungen über die Ausübung ihrer Sprache bis zur Erhaltung ihrer eigenen Identität. Der Unterschied, der eben jetzt entstand, ist, ob wir diese Rechte auch auf einer amtlichen Ebene regeln werden. Mit Wolfgang Schüssel haben wir jetzt vereinbart, daß wir das in Form einer Vereinbarung, die alle Rechte dieser Menschen bestimmt, tun könnten. Interessant ist, daß eine ihrer ersten Forderungen Deutsch-Sprachkurse sind. Viele dieser Menschen, die zwar Deutsche sind, sprechen heute nicht mehr deutsch, oder aber sie sprechen einen Dialekt, den kaum jemand versteht, weil es ein sehr alter Dialekt ist. Die Wurzeln der Gotschee-Deutschen etwa reichen über 500 Jahre in die Geschichte zurück. Die Anerkennung einer Minderheit als Minderheit ist aber natürlich eine Angelegenheit, die viel Zeit benötigt und zu guter Letzt auch eine parlamentarische Entscheidung. Darauf wird man aber noch warten müssen.

Warum hat es so lange gedauert, bis Slowenien die Existenz einer deutschsprachigen Volksgruppe im Land anerkannt hat?

FRLEC: Nach der Verfassung werden in Slowenien zwei Minderheiten anerkannt: die italienische und die ungarische. Einen besonderen Status genießen die Roma, die aber keinen festen Wohnsitz haben, sondern über ganz Slowenien verstreut sind.

Slowenien will in die Europäische Union. Aber auch in Ihrem Land gibt es viele EU-Skeptiker. Wie wollen Sie diese Leute davon überzeugen, daß ein Beitritt der richtige Weg für Slowenien sei?

FRLEC: Die Skepsis erklärt sich aus der Angst vor dem Unbekannten. Man kann schwer sagen, daß in Slowenien eine generelle Angst herrscht. Die Slowenen haben in ihrer Unabhängigkeitserklärung deutlich ihre Zugehörigkeit zu Europa definiert, ihre zivilisatorischen und kulturellen Wurzeln in Mitteleuropa dadurch unterstreichen wollen, daß sie ein unverkennbarer einheitlicher Teil Gesamteuropas seien.

Viele EU-Gegner vergleichen die EU mit dem Schreckgespenst aus alten Zeiten und fürchten, die schwer erworbene Selbständigkeit wieder zu verlieren. Glauben Sie, daß diese Angst gerechtfertigt ist?

FRLEC: Diese Angst ist sicherlich gerechtfertigt, weil wir tatsächlich einen Teil unserer Souveränität an Brüssel abgeben. Wie ich schon sagte, bekommen wir aber im Zuge dessen die europäische Identität. In internationalen Beziehungen ist es eben so, daß man nichts erhält, wenn man nichts gibt.

Welche Entscheidung hat Slowenien schwerer getroffen, die Entscheidung der NATO oder die der EU, das Land nicht sofort aufzunehmen, sondern auf die Warteliste zu setzen?

FRLEC: Darüber kann man nur schwer sprechen. Jede negative Entscheidung erhält im politischen Raum eine große Publizität. Tatsache ist, daß Slowenien als selbständiges Land noch nicht ganz sieben Jahre alt ist und alles seine Zeit braucht. Wir sind Gott sei Dank in einem Prozeß, der klare Ziele aufweist, und in einigen Jahren werden wir diese Ziele auch erreichen.

Regierungschef Drnovsek hat vor einiger Zeit gemeint, daß Slowenien noch vor Inkrafttreten der letzten Stufe der Währungsunion, im Jahre 2002, Mitglied der Union werden könnte. Halten Sie das für einen realistischen Termin?

FRLEC: Das ist aus unserer Sicht und unsere Verhältnisse betrachtend ein realistischer Termin. Ob die EU, die inmitten der institutionellen Reform steht, fähig sein wird, neue Mitglieder aufzunehmen, ist eine andere Frage.

Was würden Sie den Österreichern sagen, die bei der Osterweiterung der EU Angst um ihre Arbeitsplätze haben?

FRLEC: Konkret kenne ich zufällig Daten hinsichtlich Kärnten und Slowenien. In diesem Augenblick sind 400 Kärntner in Slowenien und 90 Slowenen in Österreich beschäftigt. Das bedeutet, daß die Ströme nicht immer so verlaufen, wie sie vielfach dargestellt werden, sondern umgekehrt.

Erwarten Sie sich von seiten Österreichs Unterstützung bei Ihren Bemühungen um einen EU-Beitritt oder erwarten Sie sich mehr von Ihren Kontakten zu Deutschland, wie etwa zuletzt vom Besuch von Verteidigungsminister Rühe, zumal Deutschland auch NATO-Mitglied ist?

FRLEC: Wir benötigen sicherlich Unterstützung, denn schlußendlich müssen wir auch konsensuell aufgenommen werden. Eine Unterstützung vom Nachbarland Österreich ist uns besonders wertvoll, weil wir mit Österreich überaus gute freundschaftliche und klare Beziehungen haben.

Österreich hat Kärntens Olympia-Bewerbung zusammen mit Slowenien und Friaul zugestimmt. Ist die Angelegenheit in Slowenien auch in diesem Sinne abgeschlossen?

FRLEC: Slowenien unterstützte diese Idee von Anfang an. Es scheint uns, daß das eine Idee ist, die einen olympischen Geist aufweist, denn sie überschreitet Grenzen auf einem Gebiet, das im Ersten Weltkrieg mit Blut übergossen wurde. Wir hoffen sehr, daß wir diese Olympischen Spiele bekommen werden, denn dadurch würde sich die "Sicherheitsarchitektur des 21. Jahrhunderts" auf allerschönste Weise bereits an seinem Anfang zeigen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen