© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/98 20. Februar 1998

 
 
Zeitgeschichte ohne Nostalgie: Zu Besuch im Christoph Links Verlag
Über unsere Bücher läßt sich streiten
von Frank Schüttig

Unterirdische Verbindungsgänge, blinde U-Bahn-Schächte, tote Regierungsbunker, Flucht- und Spionage-Tunnel – die Berliner Unterwelt birgt noch so manche Überraschung. "Dunkle Welten" heißt ein neues spannendes Buch aus dem Christoph Links Verlag, das Licht in die finsteren Kellergewölbe der Hauptstadt bringt, in denen lichtscheue Düsterlinge fröhlich-illegale Parties feiern. Das hervorragend bebilderte Buch könnte zum Dauerbrenner werden. Christoph Links, der Berliner Büchermacher, hat wieder mal ein feines Gespür bewiesen für Themen, die die Leute vom Hocker reißen. Links, "Ostdeutschlands erfolgreichster Verleger" (Welt am Sonntag), bringt jedes Jahr mit seinen drei Mitarbeitern rund 20 neue Titel heraus und hat mit seinem Umsatz inzwischen die Millionenmarke überschritten. Der studierte Lateinamerikanist, Jahrgang 1954, träumte schon in Honeckers Spät-DDR vom eigenen Verlag, wenigstens einer eigenen Zeitgeschichts-Reihe, bekam aber dafür weder Lizenz noch Papier. Mielkes Ministerium galt der im Aufbau-Verlag beschäftigte Selbstdenker als nicht ganz koscher. Als in der Herbstrevolution von ’89 Mauer und Zensur fielen, sprang Links aus den Startlöchern: Schon im Januar gründete er seinen Verlag, der seit März 1990 in einem Eckhaus in der Zehdenicker Straße im Prenzlauer Berg residiert. Die zweiteilige "Chronik der Wende", vom Fernsehen mit Christoph Links als Ko-Autor verfilmt, wurde der erste Paukenschlag. Inzwischen sind davon mehr als 50 000 Exemplare über die deutschen Ladentische gegangen. 1996 folgte mit Hans-Hermann Hertles "Chronik des Mauerfalls – Die dramatischen Ereignisse um den 9. November 1989" ein weiterer Bestseller zur Wende-Geschichte, der inzwischen schon die 6. Auflage erreicht hat.

Dennoch: Der Durchbruch war nicht leicht. Der Neuling mußte ein eigenes Vertriebsnetz aufbauen und gegen die mächtige Konkurrenz aus dem Westen ein eigenes Profil finden. Freunde plünderten ihre Sparbücher und stiegen als stille Teilhaber ein, für größere Werbekampagnen fehlte freilich das Geld. Und der Name Links, erinnert sich der Verleger, gab anfangs zu politischen Irritationen Anlaß: Sollte hier etwa die gerade so eindrucksvoll abgewirtschaftete Ideologie wiederbelebt werden? Christoph Links lächelt: "Einer meiner Vorfahren war Schmied in der Bukowina und Linkshänder."

Ein wichtiger Schwerpunkt des Verlages wurde die Aufarbeitung "weißer Flecken" der DDR-Geschichte. In der hellgrauen Reihe "Forschungen zur DDR-Gesellschaft erschienen Titel wie "Die politische Strafjustiz der Ära Ulbricht", "In Sachen Biermann" oder zuletzt Ehrhart Neuberts herausragendes großes Standardwerk über die "Geschichte der Opposition in der DDR". Seit 1995 gibt der Verlag zusammen mit der Gauck-Behörde die Reihe "Analysen und Dokumente" heraus, die die Verbrechen der Stasi aufhellen soll (u.a. Karl Wilhelm Frickes "Akteneinsicht"). Immer geht es um sachliche und seriöse Aufarbeitung. Auf den eine schnelle Mark verheißenden Ostalgie-Zug ist der Verlag nicht aufgesprungen. "Weil das keine Zukunft hat", sagt Lektorin und Presse-Frau Edda Fensch. "Das Interesse dafür läßt nach." Man setze stattdessen auf den gesamtdeutschen Markt. Mehr als die Hälfte der Links-Bücher würden im Westen Deutschlands abgesetzt. Das spiegelt sich wider in Themenbreite und Autoren. Heinz Rudolf Kunze veröffentlicht im Christoph Links Verlag seine Textbücher (jetzt gerade neu: "Heimatfront." Lieder und Texte 1995–1997). Rudi Dutschke ist eine Biographie gewidmet (Ulrich Chaussy: "Die drei Leben des Rudi Dutschke"). Weitere Sachbücher aus dem knallgelben Verlagskatalog beschäftigen sich mit Scientology, der Judenverfolgung in der ehemaligen Sowjetunion ("Hammer, Sichel, Davidstern"), der Verschmutzung der Ostsee, dem Skinhead-Phänomen. In der grünen Reihe "Literarische Publizistik" erscheinen die Kult-Bücher des witzig-geistreichen (Ost-)Berliner Starreporters Alexander Osang, der längst auch im Westen seine Fangemeinde hat.

Während eine kleine kulturhistorische Berlin-Reihe zum Flop wurde, hatte der Verlag mit brisanten zeitgeschichtlichen Bild-Text-Bänden eine glücklichere Hand. Sie behandeln u.a. das im 3. Reich geplante "Kraft-durch-Freude"-Massenbad auf Rügen, die Raketenforscher von Peenemünde ("Raketenspuren"), den "Mythos Reichsautobahn" und die düsteren "Geisterbahnhöfe", die die West-Berliner U-Bahnen bis 1989 täglich bei ihrer Fahrt unter dem Ostteil Berlins hindurch passieren mußten. Informativ und anschaulich präsentiert sich die Dokumentation "Die Grenze. Ein deutsches Bauwerk" von Peter Joachim Lapp (Text) und Jürgen Ritter (Fotos), das die 1393 Kilometer lange innerdeutsche Grenze und ihre tödlichen Sperranlagen noch einmal ins Gedächtnis ruft, damit ihre Unmenschlichkeit nicht vergessen wird.

Zu den wichtigsten Neuerscheinungen im Herbst 1997 gehörte "Die wundersame Welt des Schlafes. Phänomene, Entdeckungen, Träume" des israelischen Schlafforschers Peretz Lavie. Für das Frühjahr 1998 ist ein Buch von Stefan Wolle über "Die heile Welt der Diktatur" angekündigt, das den DDR-Alltag während der Honecker-Zeit zeigen soll. Christoph Links, inzwischen Mitglied im Aufsichtsrat der Frankfurter Buchmesse, will sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen.


 
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