© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/98 20. Februar 1998

 
 
Adenauer: Der Streit um die "Stationierungskosten" der US-Armee in Deutschland
Das beschlagnahmte Gold
von Alfred Schickel

Mitarbeiter der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt (ZFI) sind in US-amerikanischen Archiven auf neue Zeugnisse der Politik Adenauers … aus dem Jahr 1957 gestoßen. Das beherrschende Thema dieser in der Dwight-D.-Eisenhower-Library in Abilene aufbewahrten Dokumente waren Meinungsverschiedenheiten zwischen Bonn und Washington über Leistung und Höhe der sogenannten "Stationierungskosten" an die Vereinigten Staaten. Die amerikanische Regierung hatte in einer Note vom 23. Februar 1957 die Zahlung von 650 Millionen Mark "als Beitrag zu den Kosten der Stationierung amerikanischer Truppen in der Bundesrepublik" gefordert, obwohl die einschlägige Verpflichtung Bonns 1956 erloschen war. Ein Umstand, auf den Konrad Adenauer in einem persönlichen Brief an US-Präsident Eisenhower vom 23. März 1957 hinweist. Wörtlich schreibt er darin dem amerikanischen Staatschef: "Ich möchte einmal unterstreichen, daß die Verpflichtung der Bundesrepublik zur Zahlung von ‘Stationierungskosten’ im Vorjahr erloschen ist … Wir verhandeln jetzt auf der Grundlage des Artikels 3 des NATO-Paktes über Maßnahmen der gegenseitigen Hilfe …"

1957: Linker Wahlkampf mit pazifistischen Parolen

Klare und selbstbewußte Worte eines Deutschen, dessen Land der Adressat vor Jahren erklärtermaßen als Befehlshaber eines siegreichen Heeres besetzt und im Rahmen des "Alliierten Kontrollrates" als amerikanischer Militärgouverneur autoritär regiert hatte. Keine Spur von jenem Wesenszug, den eine amerikanische Geheimstudie aus dem Jahre 1944 ("Germany after the War)" den Deutschen als Charaktereigenschaft zugeschrieben hat: "Entwekommandiert der Deutsche, oder er dienert." Adenauer aber zeigte eine selbstbewußte Haltung gegenüber einem Partner.

Der Bundeskanzler setzte seinen Vorsprung an Erfahrung im diplomatischen Spiel durchaus berechnend ein und verstand seine Position als unverzichtbares Bollwerk gegen ein Auseinanderfallen der westlichen Verteidigungsgemeinschaft hinzustellen. Danach hätte die in Washington geforderte und von Adenauer abgelehnte Zahlung von "Stationierungskosten" nicht nur das "Tempo der deutschen Wiederbewaffnung wesentlich" beeinträchtigt und damit deutschen Interessen geschadet, sondern auch die Verbündeten nachteilig berührt, "zumal in einem Augenblick, in dem Großbritannien sich anschickt, seine Truppen auf dem Kontinent vu vermindern", wie der Kanzler dem amerikanischen Präsidenten klar machte, um dann geradeheraus festzustellen:

"Es ist mir jetzt auch nicht möglich, etwa den Verteidigungsetat insgesamt zu erhöhen. Einmal ist die finanzielle Belastung der Bundesrepublik mit Verteidigungsausgaben schon heute nicht mehr geringer als die vergleichbarer anderer Länder. (…) Im übrigen werden Sie verstehen, daß mir eine Erhöhung des Verteidigungshaushaltes, jedenfalls in diesem Jahr, in dem meine Bündnis- und Verteidigungspolitik in besonderem Maße der Diskussion ausgesetzt ist, unmöglich ist." Ein kaum verhüllter Hinweis auf den gerade stattfindenden Wahlkampf, in dem die Links-Opposition mit der pazifistischen Parole "Ohne mich!" allerhand Emotionen weckte.

Alle seine außen- und innenpolitischen Sorgen nochmals zusammenfassend, appellierte er abschließend an den amerikanischen Staatschef, von der erhobenen Forderung nach Weiterzahlung der "Stationierungskosten" Abstand zu nehmen und die vorgetragenen Sorgen entsprechend "zu berücksichtigen".

Wie die von der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt (ZFI) verwahrten Faksimilia der Adenauer-Korrespondenz und der dazugehörigen amerikanischen Regierungsakten ausweisen, entwarf der spätere US-Außenminister Christian Herter für Präsident Eisenhower die Antwort an den "Dear Mr. Chancellor" und legte den amerikanischen Standpunkt dar. Er wies auf die gespannte Haushaltslage der Vereinigten Staaten hin und bat seinerseits den deutschen Regierungschef um Verständnis für die Erwartungen Washingtons.

Adenauer aber hatte die Antwort Washingtons gar nicht abgewartet, sondern hatte sich bereits drei Tage nach seinem ersten Schreiben erneut an Eisenhower gewandt, dem er am 26 März 1957 ein weiteres bundesdeutsches Anliegen vortrug. Es bezog sich auf die deutschen "Vorkriegsvermögen in den Vereinigten Staaten". Diese beliefen sich auf annähernd 600 Millionen Golddollar und wurde im Zweiten Weltkrieg von der Roosevelt-Administration beschlagnahmt. Mangels eines Friedensvertrages war über das endgültige Schicksal dieser "eingefrorenen" deutschen Vermögenswerte in den USA noch nicht entschieden. Wie der ZFI bekannt wurde, befanden sich darunter auch "Mündelgelder", die für gewöhnlich außerhalb staatlicher Zugriffsgewalt stehen und internationales Privatschutzrecht genießen. Den ungleich größeren Teil des in Frage gestandenen deutschen Vorkriegsvermögens machten freilich Liegenschaften und Betriebe aus, die auch für die Allgemeinheit von Bedeutung waren. Auf sie nimmt Adenauer in seinem Brief vom 26. März 1957 Bezug: "Von der Beschlagnahme sind auch bedeutende Werke betroffen, die auf deutschem Gebiet liegen. Sie beschäftigen eine sehr große Zahl von Menschen, die diese Werke nach 1945 mit eigenen Händen wieder aufgebaut haben und einen erzwungenen Übergang des Eigentums zwölf Jahre nach dem Ende des Krieges und angesichts der so freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern schwerlich verstehen würden."

USA beschlagnahmten riesige deutsche Vermögen

Adenauer war in dieser Sache bereits 1954 bei Eisenhower vorstellig geworden und hatte eine gewisse Bewegung in der Regelung dieser heiklen Frage bewirken können, bis ihm bekannt wurde, daß sich die amerikanische Administration gegen eine großzügige Lösung der Vermögensfrage sperrte und eine den deutschen Erwartungen entsprechende Regelung dem Kongreß nicht vorlegen würde.

Diese reservierte Haltung der US-Regierung beunruhigte Adenauer so sehr, daß er sogar während eines Auslandaufenthaltes aktiv wurde und am 26. März 1957 den einschlägigen Brief an Eisenhower in Rom schrieb, wo er gerade die "Römischen Verträge" zur Gründung einer "Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft" (EWG)
und einer "Europäischen Atomgemeinschaft" (Euratom) unterzeichnet
hatte.

Wie schon in seinem vorangegangenen Brief vom 23. März gab er Eisenhower auch in diesm Schreiben einen dezenten Hinweis auf das aktuelle Wahljahr in Deutschland, "in dem das politische Bewußtsein geschärft ist". Eisenhower und sein Außenminister John Foster Dulles verstanden diesen Wink mit dem Zaunpfahl sofort. Das dokumentiert die der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle in Faksimile vorliegende Denkschrift des US-Außenministeriums ("Memorandum for the President") vom 24. Mai 1957, in welcher von einem gewissen "Beistand" unter dem "Gesichtspunkt der Wahl" die Rede ist und John Foster Dulles freimütig vermerkte: "The Chancellor will hope that the final communiqué will be of assistance to him in Germany from an election viewpoint." In Washington sah man nämlich dem Besuch Adenauers im Mai 1957 entgegen und bereitete sich auf die aktuellen Gesprächsthemen vor. Zu ihnen gehörte seit dem "Rom-Brief" des Kanzlers nunmehr auch die Frage der beschlagnahmten deutschen Vermögenswerte. Folgerichtig ging Dulles in seinem Memorandum auf diesen Diskussionspunkt ein und empfahl, in die bevorstehenden Verhandlungen mit dem Kanzler den "General-Anwalt" (Attorney General) einzubeziehen.

Die Lösung der Frage war in Adenauers Sinne

Tatsächlich kam bei Adenauers Washington-Besuch diese Frage zur Sprache und brachte eine Regelung auf den Weg, die beide Seiten zufriedenstellen konnte. Sie berücksichtigte die amerikanischen "berechtigten Kriegsschadensansprüche gegen Deutschland" und sah zugleich einen "Gnadenakt für die ehemaligen Eigentümer der beschlagnahmten Vermögenswerte" in Gestalt "einer gerechten Entschädigung" vor.

Konrad Adenauer konnte mit diesem Kompromiß leben. Auch die Lösung der strittigen Frage nach der Höhe der amerikanischen "Stationierungskosten" fiel weitgehend nach den Wünschen des deutschen Kanzlers aus. Statt der von Washington ursprünglich geforderten 650 Millionen Mark hatte Bonn nach den eindringlichen Gegenvorstellungen Adenauers 1957 nur die Hälfte zu zahlen und damit einen fairen Ausgleich zwischen beiden Interessen erreicht.

Adenauer konnte sich das Ergebnis als diplomatischen Erfolg zuschreiben lassen, der dem "zweiten Bismarck" auch den in dieser Höhe seither nicht mehr erreichten Sieg bei der Bundestagswahl noch im selben Jahr eintrug. Das Gefühl war damals im deutschen Volk weitverbreitet, daß jemand an seiner Spitze stand, dem der abgelegte Amtseid mit der Pflicht, den "Nutzen zu mehren" und "Schaden von ihm zu wenden", mehr als nur eine zeremonielle Schwurformel bedeutete.


 
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