© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/98 20. Februar 1998

 
 
Euro: Ex-SPD-Bürgermeister Voscherau fordert Volksabstimmung / Bonn ignoriert Fachkritik
Alle jubeln dem nackten Kaiser zu
von Hans-Georg Münster

Die "Political Correctness", jenes aus Amerika importierte Phänomen, das verlangt, Wahrheiten nicht mehr oder höchstens noch ansatzweise auszusprechen, treibt immer bemerkenswertere Blüten.

"Heute verstößt gegen die Political Correctness, wer noch diejenige Position vertritt, die Bundeskanzler Helmut Kohl vor Maastricht am 6. November 1991 in einer Regierungserklärung im Bundestag präsentiert hat", weiß Henning Voscherau. Der Mann ist kein Niemand, sondern früherer Bürgermeister von Hamburg, altgedienter SPD-Funktionär und inzwischen ein weiterer prominenter Kritiker der zum 1. Janaur 1999 geplanten Einführung der Europäischen Währungsunion. Doch die PC wickelte auch Voscherau mühelos ab.

Man muß zuerst einmal wissen, was Helmut Kohl am 6. November 1991 über europäische Einigung und Währung erklärt hat: "Man kann dies nicht oft genug sagen. Die politische Union ist das unerläßliche Gegenstück zur Witschafts- und Währungsunion. Die jüngere Geschichte, und zwar nicht nur die Deutschlands, lehrt uns, daß die Vorstellung, man könnte eine Wirtschafts- und Währungsunion ohne politische Union auf Dauer erhalten, abwegig ist." Soweit Helmut Kohl.

Es ist fast überflüssig, daran zu erinnern, daß die politische Union seit Maastricht kaum vorangekommen ist. Dennoch sind die Staatsmänner Europas fest entschlossen, im Frühjahr den Eintritt in die Dritte Stufe der Währungsunion zu beschließen, nachdem man sich die Stabilitätskriterien passend hingebogen hat und obwohl Kohl gewarnt hatte, die politische Union dürfte kein "Luftschloß" bleiben.

Was hätte sonst regierungskritische Journaille aus diesen Widersprüchen eines Helmut Kohl alles machen können! "Wortbruch des Kanzlers", "Bonner Lügenpolitik", "Bürger werden an der Nase herumgeführt" hätten die Schlagzeilen lauten können. Eigentlich eine gute Geschichte, die man selbst in Bonn nicht jeden Tag hat: Prominenter SPD-Mann wechselt ins Lager der Euro-Kritiker und präsentiert hieb- und stichfeste Belege für politisch unanständiges Reden und Handeln von Regierenden. So was schreibt sich von alleine.

Weit gefehlt. Die Medien-Resonanz auf Voscherau und das von ihm präsentierte Buch der Euro-kritischen Wissenschaftler Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling, Karl Albrecht Schachtschneider und Joachim Starbatty war eher dürftig. Die Gründe lieferte der Ex-Bürgermeister gleich mit. Die vier Professoren, die beim Bundesverfassungsgericht Klage gegen das Euro-Abenteuer erhoben haben, seien ein "Fähnlein der vier Aufrechten", das gegen die ganze politische Klasse des Landes zu Felde ziehe: Von Helmut Schmidt über Helmut Kohl bis zur Grünen-Sprecherin Gunda Röstel sind alle politischen Führungskräfte für den Euro.

Wird sonst der Ruf nach Volksabstimmungen gerne vernommen, so verhallte die Forderung des SPD-Mannes nach einem Plebiszit über den Euro fast ungehört. Wer keine Grundgesetzänderung für die Volksabstimmung wage, setze sich Fragen aus. Und er, Voscherau, verlange "Antworten statt Ausweichmanöver".

Bonner Studioleiter und Korrespondenten geraten angesichts dieser Gemengelage in Bedrängnis. Die Positionen im öffentlich-rechtlichen Gewerbe sind fein nach Parteibuch-Proporz vergeben. Würde hier jemand mit Euro-kritischen Positionen aus der Deckung kommen, würde die nächste Rundfunkratssitzung einen schweren Tadel für den Autor mit sich bringen. Schützenhilfe wäre von keiner Seite zu erwarten. Man kann in Bonn zwar die anderen Parlamentsparteien beschimpfen. Dann ist man noch der Hilfe der eigenen Parteiseilschaften in den Rundfunkgremien sicher. Nur eine Position gegen die gesamte politische Klasse ist nicht durchhaltbar.

Die Selbstzensur führt dazu, daß Euro-kritische Berichte, wenn überhaupt, allenfalls in Meldungslänge produziert werden. Die Orientierung am politisch-publizistischen Mainstream ging soweit, daß sich die Wirtschaftsredakteurin des Deutschlandfunks, Ursula Welter, von der EU-Kommission gegen Honorar für Euro-Werbung anheuern ließ (Groupeuro). Bei den privaten Sendern funktioniert PC-gerechtes Verhalten sogar ganz ohne Rundfunkrat, was vielleicht noch diejenigen wundert, die sich von der Einführung privater Sender eine unabhängige Berichterstattung versprochen hatten.

Auch bei den Zeitungen gibt es bedenkliche Tendenzen. Mancher Bonner Korrespondent bessert sein Gehalt mit Nebentätigkeiten für Regierungs- und Parteistellen auf. Schließlich kennt man und hilft sich auch finanziell. Wer in Bonn noch unabhängig arbeitet, muß mit dem Ausschluß aus Hintergrundkreisen der politischen Klasse rechnen, wo exklusive Informationen über den Tisch gehen. Auf diese Weise isoliert, kann der Korrespondenten-Job in Gefahr geraten. Nur Schreiber mit starken Nerven halten dem Druck stand.

Nach allen Regeln der politischen Korrektheit wurde das Euro-kritische Memorandum von 155 deutschen Wirtschaftswissenschaftlern (inzwischen sind es 160) publizistisch beerdigt. Nach kurzen Vorabmeldungen begannen am Tag danach alle Berichte aus Bonn mit den Reaktionen der politischen Klasse auf die Euro-Kritik.

Wie dürftig diese Reaktionen waren, fiel im Kampfeslärm gar nicht weiter auf oder wurde bewußt übersehen. Außenminister Klaus Kinkel (FDP) kam mühelos mit seinem Hinweis über alle publizistischen Hürden, die Zeit sei "reif für den Euro". Dabei hat sich ausgerechnet dieser FDP-Politiker mit der Bezeichnung "Dorfwährung" für die Deutsche Mark in Wirtschafts- und Finanzfragen endgültig disqualifiziert.

Finanzminister Theo Waigel schaffte das Kunststück, in der zwei Seiten langen Reaktion seines Ministeriums auf die 155 Professoren mit keinem Wort auf den zentralen Kritikpunkt einzugehen. Die staatliche Schuldenquote, eines der Maastricht-Kriterien, sei "seit 1991 nicht gesunken, sondern um 15 Prozentpunkte gestiegen. Sie liegt heute weit über dem Maastricht-Limit. Das widerspricht dem Geist des Vertrages", hatten die Wissenschaftler bemängelt.

Vor Voscherau mußten bereits andere ehemalige oder vor der Rente stehende Politiker erleben, daß Kritik am Euro unter den Tisch gekehrt wird. Interessant dabei ist auch, daß Kritisches fast nur von Pensionären kommt – sieht man einmal von Stoiber und Biedenkopf ab. Offenbar greifen die PC-Mechanismen gegen Polit-Rentner nicht mehr. So schrieb der frühere CDU-Chef Rainer Barzel: "Ich warne mit Bedacht: Ein Fehlstart mit dem Euro wäre für Europa schlimmer als eine Verschiebung des Termins." Gemeinsames Geld könne ohne gemeinsame Politik nicht funktionieren, so Barzel.

Der frühere Finanzminister Hans Apel (SPD) nannte die Vorstellung, der Euro könne Lokomotove der europäischen Einigung sein, "naiv, sogar lebensgefährlich". Der Euro mache Milliarden-Transfers in ärmere Länder notwendig, so Apel, was Voscherau genauso sieht ("unglaublich großes,explosives Risiko"). Der FDP-Ehrenvorsitzende Otto Graf Lambsdorff und Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch erklärten, der Beginn der dritten Währungsstufe 1999 sei in Wirklichkeit "kein rechtlich verpflichtendes Datum". Hirsch und Lambsdorff scheiden im Herbst aus dem Bundestag aus.

Aktive Politiker und Funktionäre beginnen ihre Reden stets mit dem Hinweis: "Ich befürworte die Schaffung der Europäischen Währungsunion". Das erinnert an DDR-Zeiten. Dort hatten Funktionäre zuerst den Weltfrieden, den Sozialismus, die Freundschaft mit der Sowjetunion und den vorbildlichen Einsatz des SED-Zentralkomitees zu loben (jeweils zehn Minuten), ehe sie (wenn überhaupt) zur Sache kommen durften.

Genauso verhält sich Horst Köhler, Präsident des deutschen Sparkassen- verbandes und ehemals Staatssekretär bei Waigel: "Das nicht auszuschließende Risiko einer Krise bereits kurze Zeit nach Beginn der Währungsunion aufgrund enttäuschter Erwartung oder auch eines ‘Liebesentzugs’ durch die Finanzmärkte sollte gerade die Außenpolitik nicht auf die leichte Schulter nehmen." Auch die Dauerhaftigkeit gesunder Staatsfinanzen, eine Grundvoraussetzung für die gemeinsame Währung, ist nach Ansicht von Köhler "in vielen europäischen Ländern noch nicht erreicht".

Köhler und Euro-Kläger Nölling hauen in dieselbe Kerbe, daß der Wegfall der soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten ausgleichenden Wechselkursmechanismen den Druck auf Arbeitsplätze in Deutschland verstärkt. Während Köhler höflich von "Anpassungsflexibilität" spricht, sagt Nölling drastischer, den deutschen Arbeitnehmern bleibe nur die Wahl zwischen weniger Lohn für die alte Arbeit oder Verlust des Arbeitsplatzes.

Das Verhalten der politischen Klasse erinnert immer mehr an das Märchen "Des Kaisers neue Kleider". Alle jubeln, obwohl der Kaiser nackt ist. Leider reichen nur im Märchen Kinderstimmen, um den Schwindel zu beenden.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen