© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/98 27. Februar 1998

 
 
Sklaverei: Spielbergs
Afrozentrismus made in Hollywood
von Manfred Verwehen

Kino macht Politik. Diese Erkenntnis ist nicht neu, und man braucht sich aus dem Filmschaffen der letzten Jahre nur die Wirkung von Produktionen wie des schottischen Freiheitsepos "William Wallace" oder Spielbergs cineastischen Bestsellers "Schindlers Liste" zu vergegenwärtigen.

Steven Spielberg ist zweifellos stolz auf sein neuestes "Meisterstück", das im Dezember in den USA Premiere hatte und nun auch in deutschen Kinos zu sehen ist. "Amistad" hat einen Aufstand auf einem spanischen Sklavenschiff dieses Namens im Jahre 1839 zum Thema sowie die anschließende Verurteilung der Meuterer. Der auf historischen Ereignissen basierende, aufwendig gedrehte Film zielt auf das kollektive Gewissen weißer Amerikaner und zeigt die damalige Welt aus der Perspektive schwarzer Sklaven, die ihrer Freiheit und Heimat beraubt wurden. Ganz in der Tradition von "Schindlers Liste" scheint Spielberg auch diesmal mehr Wert auf die moralische Botschaft als auf die faktischen Realitäten zu legen. Insbesondere weicht er vom tatsächlichen Geschehen in bezeichnender Weise ab, wenn er unterschlägt, daß sich der Anführer der nach erfolgreichem Aufstand in einem US-Hafen angekommenen Sklaven nach richterlichem Freispruch und seiner Heimkehr nach Afrika ausgerechnet im Sklavenhandel betätigte.

In den Vereinigten Staaten haben viele Stimmen auf dieses gravierende Defizit hingewiesen, zumal dort das Thema Sklaverei in den Zeiten der sich schnell ausbreitenden afrozentristischen Ideologie mit Massenorganisationen wie Louis Farrakhans "Nation of Islam" ein hochpolitisches Reizthema ist.

Afrozentristen wie Glenn Lourie sehen die Sklaverei als die Ursache aller heutigen Probleme der schwarzafrikanischen US-Bürger, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung bei 12% liegt. Wie groß diese Probleme sind, zeigt die Statistik: Die "Afroamerikaner" haben das niedrigste durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen, die kürzeste Lebenserwartung, und drei von hundert befinden sich im Gefängnis. Die Quote unehelicher Geburten liegt bei 70 Prozent; bei den Asiaten in den USA macht sie zum Beispiel nur zwei bis drei Prozent aus.

Während Persönlichkeiten wie der Philosoph Francis Fukuyama oder der indischstämmige Dinesh D’Souza die geringe Präsenz der Schwarzen in akademischen Berufen im Vergleich etwa zu den Asiaten auch damit begründen, daß sich die letztgenannten einfach "weitaus mehr Mühe geben", laufen die Erklärungen der Afrozentristen immer auf das eine hinaus: "Die Sklaverei ist schuld!" Familien seien damals getrennt worden, und man habe Brutalität ebenso als Normalität verinnerlicht wie die das Selbstwertgefühl vernichtende Propagierung weißer Überlegenheit.

Der Afrozentrismus sieht in der Sklaverei ein einmaliges historisches Produkt des weißen Rassismus. Doch das ist nachweislich falsch. Sklaverei war eine weltweite Institution. Ganz besonders in Afrika bildete sie einen weitverbreiteten, integralen Wirtschaftsfaktor.

Kritiker des Afrozentrismus sehen in der auf Selbstmitleid und Geschichtsmythen basierenden Kultur der Verantwortungslosigkeit aus der Zeit der "Emanzipation" in den 60er Jahren die entscheidende Ursache für viele der heutigen Mißstände. Damals seien – bei aller Berechtigung der Kritik der US-Bürgerrechtler an rassisch bedingten Benachteiligungen – auch eine überzogene Anspruchsmentalität sowie ein radikales Protestpotential genährt worden, das heute in Gestalt der Rap-Subkultur in den Ghettos ein hochexplosives soziales Problem darstellt.

Was die Afrozentristen auch gern verschweigen, ist die Tatsache, daß die Sklaverei einzig in den westlichen Staaten entschieden bekämpft worden ist, weil der Gedanke eines moralischen Rechts auf individuelle Freiheit im abendländischen Kulturkreis wurzelt. In den Vereinigten Staaten wurde der Streit um die Sklaverei im Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 sogar zur Existenzfrage der Union. In anderen Kulturen war die Sklaverei dagegen kaum umstritten. Im Zuge des europäischen Kolonialismus in Afrika kam es nach 1885 wegen des Sklavenhandels sogar zu heftigen Kämpfen mit Einheimischen, und noch 1906 wurde eine Strafexpedition ins westafrikanische Benin entsandt, um dort Kannibalismus, Menschenopfer und den Sklavenhandel mit Waffengewalt zu unterbinden. Der Einwand, daß sich das Arbeitsverhältnis zwischen den Einheimischen und den fremden weißen Machthabern de facto von der Sklaverei kaum unterschieden hat, ist berechtigt, muß jedoch um den Hinweis ergänzt werden, daß zur viktorianischen Zeit auch die Rechte des Arbeiters in Europa erst noch etabliert werden mußten.

Nach Angaben der US-Wissenschaftler Davidson und Rees-Mogg befanden sich vor der Ankunft weißer Kolonisatoren zwischen 70 und 75 Prozent aller männlichen Schwarzafrikaner irgendwann in ihrem Leben in Sklaverei. Besonders viele Sklaven lebten in den Königreichen von Ghana, Songhai und Mali. Insgesamt wurden zwischen 1440 und ca. 1860 von Afrika aus durch Portugiesen, Spanier, Briten, Franzosen und Holländer sowie ihre schwarzafrikanischen bzw. arabischen Helfershelfer etwa 13 Millionen Sklaven nach Nord- und Mittelamerika, in die Karibik und nach Brasilien gebracht. In die USA kamen eine halbe Million. Auch dort war die Sklaverei mitnichten eine rein "weiße Angelegenheit": Immerhin gab es im Jahre 1830 auch rund 3.500 schwarze Sklavenbesitzer, und Indianerstämme wie die Choctaws, Cherokees, Creek oder die Seminolen besaßen ebenfalls schwarze Arbeitssklaven.

Behandelt wurden die rechtlosen Arbeiter sehr unterschiedlich. Einer Studie von Fogel und Engerman aus den 70er Jahren zufolge ging man mit ihnen in den USA sogar überraschend gut um. Im Gegensatz zu den nach Lateinamerika verschleppten Menschen wurden die Schwarzafrikaner hier nur selten schlecht versorgt, sahen sich ungezügelter Brutalität ausgeliefert oder arbeiteten sich gar zu Tode. Zu groß war ihr "materieller" Wert. Trotz der allgemeinen psychologischen Erniedrigung und moralischen Perversion der Sklaverei befanden die Autoren der Studie, daß die Gesundheit und die Ernährung der afroamerikanischen Sklaven in den Vereinigten Staaten im Schnitt besser waren als bei den europäischen Arbeitern in den Fabriken und Minenschächten während der Epoche der Industriellen Revolution.

Doch Fernesehserien wie "Roots" mit eingängigen Bildern von vergewaltigten und ausgepeitschten schwarzen Sklaven prägten lange Zeit die Vorstellung von der Sklaverei in den USA. Tatsächlich trafen solche Eindrücke jedoch viel stärker auf die Verhältnisse in Lateinamerika zu, wo zahllose Sklaven so geschunden wurden, bis sie buchstäblich tot umfielen. Die Aufseher bekamen dort einen bestimmten Prozentsatz der Ernteerträge, und es mangelte nie an billigem Arbeitskräfte-Ersatz.

In bezug auf Brasilien wäre das von Hollywood entworfene Bild der Sklaverei zutreffend gewesen, hinsichtlich der Südstaaten der USA ist es eine Verzerrung der Realitäten. Dort hatten die Sklavenbesitzer meistens subtilere Methoden, um aus den schwarzen Arbeitern möglichst viel Kapital zu schlagen.

Der "Afroamerikaner" Thomas Sowell weist darauf hin, daß Sklavenbesitzer in den Südstaaten die unfreien Arbeiter durchaus mit freien Tagen, Whiskey, Kuchen und kleineren Geldbeträgen zu zusätzlicher Arbeitsleistung anzuspornen trachteten. Natürlich kam es auch zu Auspeitschungen sowie anderen Mißhandlungen, und entlaufene Sklaven wurden erbarmungslos gejagt und bestraft – aber all dies längst nicht im gleichen Ausmaß wie anderswo, was jedoch im Bewußtsein der meisten US-Amerikaner bis heute nicht präsent ist.

So nährt ein derart offensichtlich von den Vorgaben politischer Korrektheit bestimmtes Kinospektakel wie "Amistad" nur vorhandene undifferenzierte Sichtweisen und kollektive Schuldgefühle und leistet damit den bewußten Mythenbildungen und politischen Zielen heutiger Afrozentristen Vorschub. Spielberg liefert ein Paradebeispiel dafür, wie sehr die Meinungsmacher in Nordamerika (und Europa) inzwischen an Fähigkeit zu annähernd objektiven historischen Urteilen eingebüßt haben.

Ja, die Menschen werden durch diese Art des "Auffassungsmanagements" zu Vorurteilen und Denkverboten regelrecht hinerzogen.


 
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